Nadera Sydiq aus Bonn Mit großer Leidenschaft für den Rechtsstaat

Bad Godesberg · Seit 2008 arbeitet Nadera Sydiq ehrenamtlich bei der Awo in Bonn. Die 65-Jährige flüchtete 1993 aus Afghanistan. Im Rahmen unserer Serie "Bonner Köpfe" stellen wir Sydiq vor.

 Ehrenamtlich arbeitet Nadera Sydiq bei der Awo-Beratungsstelle in Bad Godesberg.

Ehrenamtlich arbeitet Nadera Sydiq bei der Awo-Beratungsstelle in Bad Godesberg.

Foto: Ebba Hagenberg-Miliu

Neulich ging es bei der Integrationsagentur der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in einem Kurs um die Frage „Wie finden Sie die Deutschen?“ Und plötzlich wollten die Flüchtlinge aus Tadschikistan, Afghanistan und dem Iran das auch von ihrer Übersetzerin Nadera Sydiq wissen. „Ich bin 1993 aus Afghanistan geflohen“, erklärt die 65-Jährige nun im GA-Gespräch und liest aus dem Papier, das sie auf die Anfrage der Gruppe formuliert hat, Sätze wie: „Jeder Mensch, egal, welcher Herkunft, kann gute und schlechte Eigenschaften haben.“ Aber auch glasklare Bekenntnisse zum Rechtsstaat sind darin enthalten: „Was mich am deutschen System besonders interessiert, ist das Prinzip von Regeln und Rechten.“ Jeder habe hier Rechte, Männer, Frauen, Kinder, selbst Tiere und Pflanzen. „Jeder kennt seine Rechte, steht für sie ein und nutzt sie“, so Sydiq.

Das sei leider in vielen Ländern anders, wo es nur eine dominierende Gruppe, die Männer, gebe. „Frauen müssen sich ihr Leben lang in dunklen Gewändern verschleiern, damit die Männer sich wohl fühlen. Was ist das für eine Logik?“, fragt die gebürtige Afghanin mit entwaffnender Offenheit. Sydiq ist seit 2005 deutsche Staatsbürgerin und engagiert sich seit elf Jahren ehrenamtlich bei der Awo: Sie leitet für Menschen aus aller Herren Länder einen Malkurs für Kinder, einen Handarbeitskurs und eine Spielgruppe für Frauen. „Das tue ich, weil ich und meine Familie selbst einmal Flüchtlinge waren und weil ich jetzt die Hilfe, die wir bekamen, zurückgeben will“, sagt die 65-Jährige. Doch ein wenig stolz zeigt sie hinüber auf das großformatige bunte Bild ihrer Kindergruppe, auf dem die kleinen Picassos sie, ihre Lehrerin, liebevoll in die Mitte gemalt haben.

Die Kursleiterin stellt eigene Werke aus

Im Godesberger Bildungs- und Beratungszentrum der Awo sind zahlreiche eigene Werke der Kursleiterin ausgestellt. „Man nennt mich die Blumentante“, sagt die Malerin lachend und weist auf Stillleben, zarte Blütenbilder und expressive Werke. „Frau Sydiq hat eine beeindruckende Fluchtgeschichte und ist auch darüber zu einer ungeheuer starken Frau mit einem geschärften Blick auf ihre Herkunfts-, aber auch auf ihre Aufnahmegesellschaft geworden“, erklärt Peter Kox, Leiter des Zentrums, über seine Mitarbeiterin. Die 65-Jährige seufzt. Die schrecklichen Erinnerungen im zerbombten Kabul wird sie nie vergessen, als sie sich mit den Ihren nur noch im Keller unter einem Tisch verstecken konnte. Ihr erstes Kind ist im Krieg umgekommen. Daraufhin brach die studierte Lehrerin mit ihrem Mann und dem zweiten Kleinkind zur Flucht über Pakistan und Russland auf. „Wir mussten da raus.“ Unterwegs gebar sie noch eine Tochter.

„Zwei Jahre und zwei Monate waren wir unterwegs. Es war alles eine einzige Katastrophe“, berichtet Sydiq nach einer Pause. Über Pakistan und Russland habe die kleine Familie geglaubt, in den Westen gelangen zu können – und sei viele Male an Russlands Grenzen zurückgeschickt worden. „Was wir mit Schleusern erlebt haben, war so furchtbar.“ Sydiq seufzt – und berichtet dann vom Anfang in Bonn, als ihr Mann erkrankte und die Familie nur von Duldung zu Duldung lebte. „Die Rettung war, als mein Mann gesund wurde und ein freundlicher Arbeitgeber genau ihn verpflichten wollte“, sagt die 65-Jährige dankbar. Sie selbst habe sich Deutsch weitgehend selbst beigebracht, fügt sie dann fast akzentfrei hinzu. „Mit Kinderkassetten und Büchern vom Flohmarkt.“

Und irgendwann habe sie, die Lehrerausbilderin war, dann auch in Teilzeit Arbeit in Bonn gefunden: erst als Küchenhilfe, dann als Erzieherin in einem Kindergarten und als Persisch-Lehrerin beim Deutschen Akademischen Austauschdienst. In ihrer Heimat fühle sie sich inzwischen fremd. Die dortige Gewalt, der Fanatismus, all das tue ihr im Herzen weh. „Ich erinnere mich noch an das friedliche Kabul. Wir Frauen trugen auch kurze Röcke und zeigten unsere Haare“, sagt Sydiq. Sie lebe heute gerne in Bonn und freue sich, dass der Sohn Journalist und die Tochter Architektin wurde. Und dann zitiert die gebürtige Afghanin noch einmal aus ihrem Text. Regeln und Recht seien hier für alle gleich. Wer sich nicht daran halte, werde bestraft. Fühle sich jemand ungerecht behandelt, werde etwas am System geändert. „Für mich ist alles andere absurd“, liest Sydiq. „Von Gesellschaften, in denen eine Gruppe dominiert und die Mehrheit der Bevölkerung vernachlässigt wird, erwarte ich nichts.“

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