Interview mit Peter Ruhenstroth-Bauer Mutlosigkeit als "Bonner Krankheit"

BONN · GA-Serie "Heißer Stuhl: Nur 30 Sekunden Zeit hat der Interviewte pro Antwort Zeit. OB-Kandidat Peter Ruhenstroth-Bauer (SPD) stellt sich 14 Fragen. Er kritisiert Mangel an Perspektiven und Entscheidungsmöglichkeiten

Am 13. September wählen die Bonner ihren neuen Oberbürgermeister. Die Redaktion hat mit den drei aussichtsreichsten Kandidaten Interviews nach besonderen Spielregeln geführt die Faktensicherheit und pointierte Stellungnahmen verlangten. Die Kandidaten saßen sozusagen auf dem heißen Stuhl. Die Fragen an Peter Ruhenstroth-Bauer (SPD) stellten Cem Akalin und Andreas Baumann.

Das Gesprächskonzept Politiker, Unternehmenschefs, Behördenleiter und andere Gesprächspartner können bei deutschen Medien traditionell auf die Regel der Autorisierungspflicht bauen. Heißt: Bei Wortlautinterviews dürfen sie ihre verschriftlichten Antworten gegenlesen, ändern oder streichen. Diesmal war alles anders: Die Redaktion hat mit den drei OB-Kandidaten vereinbart, auf die Autorisierung zu verzichten - es galt das gesprochene Wort. Alle drei bekamen bei getrennten Treffen dieselben Fragen gestellt, die sie vorher nicht kannten. Sie hatten jeweils 30 Sekunden Zeit für eine Antwort. OB-Wahl-Kandidatencheck: Peter Ruhenstroth Bauer

Was ändern Sie als OB als erstes?
Peter Ruhenstroth-Bauer: Die Mutlosigkeit in dieser Stadt. Das, was Bonn im Moment ausmacht, ist eine Bonner Krankheit: keine Entscheidungsmöglichkeit, keine Perspektive, keine Dinge, die wirklich wichtig sind für die Zukunft dieser Stadt. Und ich glaube, das müssen wir als erstes ändern. Wir müssen die Stadtgesellschaft so mobilisieren, dass sie gemeinsam mit dem Oberbürgermeister, dem Rat und der Verwaltung diese Perspektiven entwickelt.

In Bonn gibt es nicht genug preiswerte Wohnungen, vor allem bei Sozialwohnungen klafft eine Lücke: Wie wollen Sie das ändern?Ruhenstroth-Bauer: Ich habe einen Masterplan "10 000 Wohnungen für Bonn" aufgestellt, in dem ganz unterschiedliche Instrumente in Angriff genommen werden, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wir wachsen, wir sind eine wachsende Stadt, und das bedeutet, dass wir sehr auf Wohnraum achten müssen. Wir brauchen im Jahr 1250 öffentlich geförderte Wohnungen. Wir bauen 200. Da sieht man schon: Die Lücke klafft. Wir müssen jetzt damit anfangen, damit wir als wachsende Stadt die richtigen Antworten haben.

Bonns Bäder sind marode: Kann sich die Stadt auf Dauer wirklich zehn Bäder leisten?
Ruhenstroth-Bauer: Man muss ein bisschen vergleichen, wie das mit den Bonner Bädern aussieht und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen. Da hat ja dankenswerter Weise der Stadtsportbund mal einen Vergleich aufgestellt. Und wenn bürgerschaftliches Engagement dahin geht, dass Vereine sagen "Wir wollen prüfen, ob wir Bäder übernehmen", dann ist es nicht einzusehen, dass die Stadt über ein halbes Jahr braucht, um die Zahlen zur Prüfung vorzulegen. Ich glaube, dass wir da sehr genau hingucken müssen. Ehe wir etwas schließen, müssen wir wissen: Haben wir ein Konzept?

Die Ratsmehrheit verlangt, dass die Stadtverwaltung Millionen bei den internen Kosten spart: Wie machen Sie das?
Ruhenstroth-Bauer: Interne Kosten muss man sehr wohl und kann man immer wieder auf den Prüfstand stellen. Ich habe das beispielsweise so gemacht, dass ich ein Kostencontrolling eingeführt habe, und habe da sehr gute Stellen gefunden in den verschiedenen Haushalten, in denen ich tätig war, wo beispielsweise noch Geld vorhanden war - was man einsetzen kann für die Stadt. Das gilt nicht nur bei den Sachmitteln. Das gilt auch beim Personal, wenn man das genau überprüft hat.

Wir haben eine große Chance vertan

Ein Festspielhaus wird es wohl nicht geben. Welche Variante der Beethovenhallen-Sanierung kann sich Bonn leisten? Die bis 40 Millionen oder bis 70 Millionen?
Ruhenstroth-Bauer: Ich habe gerade mit den "Bürgern für Beethoven" darüber gesprochen. Aber ich habe auch mit den engagierten Bürgerinnen und Bürgern von der Beethovenhalle gesprochen. Wir haben eine große Chance vertan für diese Stadt. Jetzt müssen wir gemeinsam sehen, was können Bund, Land und Kommune tun. Denn 2020 ist kein Endpunkt, sondern das ist ein Startpunkt für die Beethovenstadt Bonn. Ob die Beethovenhalle da das Richtige ist, wird sich genauso zeigen wie beispielsweise beim Standort WCCB.

Grundsteuer erhöht, Parkgebühren rauf: Warum rufen Stadt und Rat immer nach höheren Einnahmen, anstatt Ausgaben konsequent zu kürzen?
Ruhenstroth-Bauer: Ausgaben kürzen bedeutet immer, dass man vorher eine Überlegung haben muss: Wo will ich hin? Wenn ich beispielsweise in Bad Godesberg die Kammerspiele dicht mache, dann spare ich. Wenn ich das Bürgeramt dicht mache, dann spare ich. Wenn ich möglicherweise die Bibliotheken infrage stelle, dann spare ich. Wenn ich die Kurfürstenzeile verkaufe, dann spare ich. Dann gehe ich aber auch Gefahr, dass ein ganzer Stadtteil kippt. Dann muss ich morgen, spätestens übermorgen in Jugendsozialarbeiterkosten investieren, die viel höher sind als das, was ich gespart habe.

Stichwort Stau: Braucht die Region die Südtangente?
Ruhenstroth-Bauer: Ich bin ja hier fünf Minuten zu spät angekommen, weil ich im Stau stand. Das ist Berufsverkehr. Wir haben in der Stadt keinen Platz für weitere Straßen. Wir brauchen, und das habe ich vorgeschlagen, ein integriertes Verkehrskonzept. Den Platz, den wir für die Südtangente belegen, damit sie in 15 Jahren möglicherweise kommt, den brauchen wir heute zum Wohnen. Wir brauchen preiswerten Wohnraum. Deshalb glaube ich, wir müssen ein integriertes Verkehrskonzept betreffend Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis entwickeln.

Flüchtlinge benötigen Unterkunft und kosten Geld, das zum Großteil die Kommune aufbringt: Wie viele Menschen kann Bonn noch aufnehmen?
Ruhenstroth-Bauer: Erst einmal bin ich dankbar, und ich finde das ganz toll, wie viele Menschen, wie viele Bonnerinnen und Bonner Flüchtlinge aufnehmen in unserer Stadt, wie engagiert sie sind. Und wir werden damit umgehen müssen, dass wir noch wesentlich mehr Menschen in dieser Stadt aufnehmen müssen, die Obdach suchen. Da kann ich Ihnen keine Zahlen nennen. Ich weiß aber: Ich muss dafür sorgen, wir müssen dafür sorgen, dass beide gut ankommen und nicht die überfordern, die schon hier sind.

Standortqualitäten für große Unternehmen

Zurich und Haribo wandern ab: Was läuft schlecht bei der städtischen Wirtschaftsförderung?
Ruhenstroth-Bauer: Ich habe vorgeschlagen, dass man eine Art One-Stopp-Agency einführt, also einen Schalter, bei dem der Investor ankommt und nach einer gewissen Zeit durch alle Institutionen dieser Stadt geführt wird, damit er nach einem gewissen Zeitraum eine Entscheidungsgrundlage hat. Wir haben schon etwas, was in diese Richtung geht, aber da ist noch viel Luft nach oben. Wir müssen auf alle Fälle freundlicher werden gegenüber der Wirtschaft. Denn wir sind eine Stadt mit unheimlich vielen Standortqualitäten für große Unternehmen.

Lärmgeplagte Anwohner haben es geschafft, allein mit Klagedrohungen die Klangwelle aus der Stadt zu treiben: Hätten Sie als OB auch so schnell nachgegeben?
Ruhenstroth-Bauer: Wenn das Rechtsamt dem Oberbürgermeister sagt, da darfst du keine Zustimmung geben, dann kann man das so machen. Man kann aber auch, und das würde ich machen, in die Gerichtsverhandlung gehen und als Oberbürgermeister dem Gericht den Unterschied erklären zwischen Stadtlust und Stadtfrust. Das ist wichtig. Ein deutliches Signal! Dann kann man zwar immer noch verlieren, aber man macht deutlich, dass das gilt, wo ich groß geworden bin - in der nördlichsten Stadt Italiens.

Viele junge Menschen klagen, dass es in Bonn zu wenig Angebote für sie gebe. Was antworten Sie?
Ruhenstroth-Bauer: Ihr habt vollkommen Recht. Ihr, die 14-Jährigen bis 19-, 20-Jährigen dieser Stadt seid relativ arm dran, was die Angebote für Jugendliche betrifft. Da müssen wir verstärkt drauf gucken. Wir müssen beispielsweise diejenigen, die sich dort als Träger engagieren, wir müssen bei den Jugendzentren gucken, was können wir da tun. Aber wir müssen auch die vielen Freien, die Angebote machen, unterstützen, weil vollkommen klar ist, wenn kein Angebot da ist, dann haben wir ein Problem.

Stadthaus, Oper, Beethovenhalle, Schulen: Über Jahrzehnte ist in städtischen Gebäuden ein Sanierungsstau von mindestens 500 Millionen Euro aufgelaufen. Wie gehen Sie vor, um diese Wertvernichtung endlich zu stoppen?
Ruhenstroth-Bauer: Da gilt das, was ich vorhin gesagt habe: Das ist Ergebnis der "Bonner Krankheit". Entscheidungslosigkeit, Mutlosigkeit. Wir müssen Stück für Stück abarbeiten. Wir müssen eine Prioritätenliste aufstellen - und müssen dann auch tatsächlich umsetzen. Das heißt: Was wir tun können, jetzt tun, um die Sanierungen tatsächlich vorzunehmen, weil die Kosten in Zukunft viel, viel höher werden als das, was wir vergegenwärtigen. An den Schwimmbädern sehen wir es.

Ruhenstroth-Bauer setzt auf Erfahrungen

Die Bonner sind streitbar, selbst eine simple Zusammenlegung der Bürgerämter löst Proteste aus. Sie müssen aber die Stadtfinanzen sanieren: Wollen Sie sich das als möglicher OB wirklich antun?
Ruhenstroth-Bauer: Ich habe regelmäßig vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages einen Fünf-Milliarden-Haushalt vertreten, in die Politik gegossen und übers Jahr hin übersetzt. Ich traue mir das zu. Ich glaube im Übrigen, da ist Abschreiben erlaubt. Andere Städte bieten auch bürgernahe Dienstleistungen an. Beispielsweise in Mannheim: 16 Schreibtische verteilt über die Stadt, wo man 90 Prozent der bürgernahen Dienstleistung bekommt. Das geht also eigentlich ganz gut. Man kann auch intelligent sparen.

Warum sollen die Bonner Sie wählen?
Ruhenstroth-Bauer: Ich bin ein Bonner, der immer hier gelebt und trotzdem Bonn Richtung Berlin verlassen hat und wieder zurückgekommen ist nach Bonn. Jemand, der Erfahrungen außerhalb dieser Stadt gemacht hat, aber immer in Bonn geblieben ist, und letztlich, der nicht unmittelbar in der Bonner Kommunalpolitik tätig war. Ich glaube, dass ich diese Erfahrung, die ich da auf den verschiedenen Stationen gemacht habe, auch gut in Bonn einbringen kann.

Zur PersonPeter Ruhenstroth-Bauer ist am 30. Mai 1956 in Bonn geboren. Er ist verheiratet und hat vier Söhne. Der 58-Jährige ist Anwalt und Strategieberater. 1999 ging er mit der Bundesregierung nach Berlin, war aber wegen der Familie immer auch in Bonn. Er war von 2002 bis 2005 Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Ruhenstroth-Bauer engagiert sich unter anderem im Verein "Gesicht zeigen - Für ein weltoffenes Deutschland" gegen Antisemitismus und Rassismus und ist seit 41 Jahren Mitglied der SPD.

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