Obdachlosigkeit in Bonn Nachtquartier im Hauptbahnhof

Bonn · Eine rumänische Familie übernachtet seit Wochen auf dem Fußboden der Halle. Bundespolizei und Deutsche Bahn lassen sie gewähren, da sie niemanden belästigen. Die Stadt Bonn bietet ihnen nun eine Unterkunft für wohnungslose Familien an.

 5.30 Uhr im Bonner Hauptbahnhof: Eng aneinandergeschmiegt verbringt ein Teil der rumänischen Familie die Nacht in Schlafsäcken.

5.30 Uhr im Bonner Hauptbahnhof: Eng aneinandergeschmiegt verbringt ein Teil der rumänischen Familie die Nacht in Schlafsäcken.

Foto: Martin Wein

Hauptbahnhof, Ende vergangener Woche kurz vor 6 Uhr morgens: Ein Dutzend Pendler wärmt sich mit dampfendem Kaffeebecher vor dem „Wiener Feinbäcker“ in der geheizten Bahnhofshalle. In der Buchhandlung schneidet ein Mitarbeiter Bündel druckfrischer Tageszeitungen auf. Niemand nimmt erkennbar Notiz von den vier Menschen, die dicht aneinander gekuschelt in billigen Schlafsäcken vor der Buchhandlung in dem kleinen Gang liegen, der zum Gleis 1 führt. Etwas abseits haben sich zwei weitere Schläfer dazu gesellt. Die vier – darunter ein halbwüchsiger Junge – wirken vollkommen erschöpft und viel zu müde, als dass man sie wecken möchte.

Seit einiger Zeit kommt die Familie jeden Abend mit ihren wenigen Habseligkeiten zum Schlafen in den warmen Hauptbahnhof. „Wir haben sie überprüft. Die Leute kommen aus Rumänien. Sie sind aber nicht negativ aufgefallen und haben niemanden belästigt“, sagt ein Sprecher der Bundespolizei in Köln, die für die Sicherheit auf den Bahnhöfen zuständig ist. Eine Handhabe gebe es damit nicht – und zunächst auch keinen Grund zum Eingreifen.

Die Bahn drückt ein Auge zu

Auch bei der Bahn selbst ist die Gruppe naturgemäß aufgefallen. „Wir machen in solchen Fällen aber nur sehr sensibel von unserem Hausrecht Gebrauch“, erklärt eine für Nordrhein-Westfalen zuständige Bahnsprecherin in Düsseldorf. Gerade in den Wintermonaten bleibe das Gebäude auch nachts geöffnet, um Menschen notfalls eine Bleibemöglichkeit zu geben. „Wir wissen natürlich, dass manche Pendler das stört. Es ist eine Güterabwägung. Morgens wecken unsere Mitarbeiter die Menschen und erteilen auch Platzverweise.“

In den vergangenen Wochen sei der Bahnhof in mancher Nacht ein regelrechter Schlafsaal gewesen, hat der Verkäufer in einem der Bahnhofsgeschäfte beobachtet. Auch Gregor Bünnagel kennt grundsätzlich das Problem. Mit der Familie hatte der Leiter der Bonner Bahnhofsmission, einem Angebot des Caritasverbands Bonn, aber direkt noch keinen Kontakt. „Es gibt im ganzen Stadtgebiet Menschen, die im Freien nächtigen. Manche machen das aus freien Stücken, die meisten aber nicht“, sagt er. Werden Obdachlose im Bonner Loch von Mitarbeitern der Wache Gabi entdeckt, werden sie für eine Nacht in die Notunterkunft der Stadt an der Sebastianstraße eingewiesen. Betrieben wird das Haus vom Verein für Gefährdetenhilfe.

Zukunft der Familie ungewiss

Auch Bünnagel schickt Hilfe Suchende dorthin oder vermittelt Kontakt zu anderen Fachdiensten. „Das Angebot steht aber nur Bonner Bürgern offen.“ Als Alternative nimmt das Prälat-Schleich-Haus der Caritas Männer ohne Obdach notdürftig auf, aber eben keine Familien. Für die Familie aus Rumänien gebe es in der Stadt keine notdürftige Bleibe, bedauert Bünnagel.

Dem widerspricht das Presseamt der Stadt: „Familien ohne Obdach bringen wir in der Notunterkunft an der Gerhard-Hauptmann-Straße unter.“ Bislang habe die Wache Gabi, bestehend aus Ordnungsamt und Polizei, die Familie aber noch nicht nachts im Bahnhof angetroffen. Später ergänzte das Presseamt: „Der Fall ist dem Jugendamt bekannt. Straßensozialarbeiter der Stadt waren auch schon im Hauptbahnhof.“ Gestern Nacht wollten die Kollegen noch einmal einen Versuch unternehmen und die Familie ansprechen.

Was wird nun aber mittelfristig aus einer Familie, die dank europäischer Freizügigkeit in die Stadt kommen konnte, aber hier keine Perspektive sieht? Gregor Bünnagel von der Bahnhofsmission: „Es gibt Fälle, in denen die Leute wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Aber manche hoffen lange auf ein besseres Leben, obwohl sie hier ohne jede Perspektive sind.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort