Bonner Theologen erklären Nur wenige Bonner kommen Pfingsten in die Kirche

Bonn · Am Wochenende steht das Pfingstfest an. Die Feiertage gehören zu den höchsten der christlichen Religion. Doch nur noch wenige Gemeindemitglieder in Bonn finden zu diesem Ereignis den Weg in die Kirchen.

Im vergangenen Jahr habe ich einem eher spärlich besuchten Pfingstgottesdienst beigewohnt. Täuscht der Eindruck oder fremdeln die Menschen mit diesem christlichen Fest?

Dominik Schultheis: Mein Gefühl ist, dass Ihr Eindruck mit Blick auf Gottesdienste in Pfarreien zutrifft. Weihnachten und Ostern ist die Hütte noch voll. Zu Pfingsten kommen hingegen kaum noch Leute in die Kirchen, weil ihnen nicht mehr im Bewusstsein ist, dass Pfingsten eigentlich die Geburtsstunde der Kirche ist. Bei den Pfadfindern, für die ich unter anderem zuständig bin, ist es genau umgedreht. Pfingsten ist dort Anlass, ins Zeltlager zu fahren, und da gehört ein lebendiger Pfingstgottesdienst mit dazu. Zwei ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Pfingsten also.

Tobias Mölleken: Schon die Besucherzahlen an Ostern gehen ja im Vergleich mit Weihnachten spürbar zurück. Pfingsten ist es noch einmal weniger. Es gibt inhaltliche Gründe für diese Rangfolge im Bewusstsein der Menschen. Die Osterbotschaft vom Kreuz, das Nachdenken über den Tod ist vielen Leuten heute fremd geworden. Die Pfingstbotschaft vom Heiligen Geist ist den meisten nicht mehr so vertraut. Die Weihnachtsbotschaft von der Geburt Jesu Christi ist viel einfacher zu begreifen. Ganz pragmatisch kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Die Menschen reisen mehr als früher und nutzen dafür die Oster- und Pfingstferien.

Warum ist der Heilige Geist so schwer zu vermitteln?

Schultheis: Unter „Gott Vater“ kann man sich ebenso etwas vorstellen wie unter „Jesus Christus“. Der „Heilige Geist“ aber ist eine nicht so greifbare Größe. Meine Schülerinnen beispielsweise sprechen oft mehr von „Energie“ statt von der dritten Person der göttlichen Dreifaltigkeit, wie es das Glaubensbekenntnis ja eigentlich nahelegt.

Was verbirgt sich denn hinter dem Heiligen Geist. Wo wird er greifbar?

Schultheis: Es geht beim heiligen Geist um Inspiration, um das Einhauchen einer göttlichen Kraft in uns hinein. Vergleichbar mit einem Glücksgefühl, das einen über den Tag trägt, ohne dass wir genau sagen könnten, woher es kommt. Wenn beim Fußball die La-Ola-Welle losgeht, muss diese Stimmung schließlich irgendwo herkommen. Dieser Spirit wäre für mich vergleichbar mit dem Wirken des Heiligen Geistes.

Herr Mölleken, ist die Spiritualität, von der Herr Schultheis spricht, noch ein modernes Thema?

Mölleken: Es wird immer wieder gesagt, dass es einen Hype um spirituelle Fragen gibt. Wenn ich in meinen eigenen Freundeskreis schaue, bin ich da skeptisch. Ein riesiges spirituelles Bedürfnis kann ich da nicht erkennen.

Schultheis: Ich sehe das anders: Über den 1. Mai waren wir mit 3500 Pfadfinderleiterinnen und -leitern auf einem Bundestreffen in Westernohe. Dort gab es neben einem bewegenden Gottesdienst auch spirituelle Workshops, die sämtlich brechend voll waren. Auch in der Schule beobachte ich, dass Religiosität durchaus ein Thema bei jungen Menschen ist. Nicht immer ist deren Suche aber vereinbar mit unseren kirchlichen Strukturen und klassischen Formen. Das belegen auch Fahrten mit meinen Schülerinnen nach Taizé. Dort erlebe ich ein hohes Interesse, über spirituelle Themen ins Gespräch zu kommen.

Mölleken: Nun muss man sagen, dass beispielsweise die Fahrten mit den Pfadfindern in einem binnenkirchlichen Milieu stattfinden. Dass Menschen auf spirituelle Art ansprechbar sind, will ich auch nicht infrage stellen. Aber beileibe nicht alle nehmen die Kirche von sich aus als spirituelles Angebot wahr, außer sie stolpern wie zufällig hinein.

Was kann die Kirche tun, um gerade junge Leute besser anzusprechen?

Schultheis: Ich denke, wir müssen als Kirche umdenken. Wir glauben immer, Angebote schaffen zu müssen und dann kommen die Leute schon zu uns. Wir sollten jedoch mehr zu den Leuten gehen, dahin, wo sie sind und leben, und unsere alten Strukturen aufbrechen. Letztlich müssen wir verstehen, dass Kirche nicht nur dort ist, wo Pfarrgemeinde ist. Kirche ist überall dort, wo Menschen sich im Namen Jesu versammeln, auf sein Wort hören und Gottesdienst feiern. Also auch in Schulen, in Krankenhäusern, in den Jugendverbänden, selbst auf der Straße. Die ökumenische Nacht der Kirchen ist für mich ein Paradebeispiel, wo Kirche im Hier und Jetzt, im Alltag der Menschen in Bonn anzutreffen ist. Die Liebfrauenschule wird beispielsweise mit zwei Bonner Pfadfinderstämmen auf dem Kaiserplatz präsent sein, zwei Pfadfinder-Zelte aufbauen und mit den Menschen in Kontakt treten. Kirche sollte lernen, auf Menschen zuzugehen auch außerhalb unserer steinernen Kirchen, die oft als muffig wahrgenommen werden.

Sie, Herr Mölleken, haben in der Vergangenheit die Botschaften der Bibel in Form von Poetry Slam in Ihre Endenicher Gottesdienste gebracht. Nehmen die Jugendlichen das an?

Mölleken: Die frühe religiöse Sozialisierung ist ein wichtiger Punkt. Wir haben die Aufgabe, Familien und Kinder anzusprechen. Der Gottesdienst mit säkularen, weltlichen Poetry-Künstlern aus Bonn war da ein Versuch. Poetry ist literarische Kleinkunst und hat Parallelen zu unserer Arbeit als Prediger. Beide arbeiten wir mit dem Wort. Die Idee war, mit Poetry in der kirchlichen Umgebung ein religiöses Gefühl auszulösen. Die Kirchen waren an diesen Abenden jedenfalls voll. Es gibt einen Spruch von Nietzsche, der sinngemäß sagt, dass er an den Erlöser glauben könnte, wenn diejenigen, die an ihn glauben, auch erlöster schauen würden. Kirche muss insgesamt eine fröhlichere Ausstrahlung haben. Es muss mehr gelacht werden. Das hat auch viel mit Pfingsten und der Begeisterung für die Sache zu tun.

Das Pfingstwunder erzählt die Geschichte, wie Gott den Heiligen Geist auf die Erde schickte und die Menschen einander besser verstanden. Welche Bedeutung hat die Sprache für die Arbeit der Kirchen?

Mölleken: Es ist von großer Bedeutung, dass die kirchliche Sprache nicht dogmatisch domestiziert ist. Damit können viele nichts mehr anfangen. Deshalb funktioniert Poetry Slam, weil dort eine Sprache zum Ausdruck kommt, die den Menschen vertraut und verständlich ist.

Schultheis: Die aufgeblähten Worthülsen, die Theologen gerne gebrauchen, auch ich, sollten weniger werden. Vielleicht wird insgesamt in unseren Kirchen zu viel geredet. Die Gottesdienste in Taizé zeigen mir, dass es auch anders geht. Statt einer Predigt gibt es dort eine etwa siebenminütige Stille. Wenn bis zu 5000 Jugendliche auf dem Boden sitzend in Stille verharren und das Wort Gottes nachklingen lassen, mag vordergründig nicht viel passieren. Und doch geschieht gerade dann oft Wesentliches, wie mir die Jugendlichen immer wieder berichten, nämlich in ihnen. Für viele sind es gerade diese stillen Phasen, gepaart mit den einfachen, meditativen Gesängen, die etwas in ihnen auslösen. An dieser Stelle scheint Schweigen viel mehr wert zu sein als Reden.

Sind Gemeinden in ihrer heutigen Form aus Ihrer Sicht ein Auslaufmodell?

Schultheis: Ich halte es für eine kühne Behauptung, dass flächendeckende Gemeinden in der Form, wie wir sie kennen, eine Zukunft haben werden. Wir werden mehr von „Kirchenorten“ sprechen müssen. Also von Orten, an denen Kirche präsent ist. Das kann die Gemeinde sein, aber genauso auch eine Schule, ein Verband oder ein Gefängnis, wo Seelsorge betrieben wird. Verinselte Standorte, wo Menschen mit Kirche in Berührung kommen. Eine stärkere Vernetzung unter diesen Inseln zu Inselgruppen wäre wichtig und damit verbunden die Frage, wer was am besten kann. Es muss ja nicht jeder Kirchort alles machen. Die Kirche steht zweifelsohne im Umbruch, und ich würde mir für die anstehenden Veränderungen den pfingstlichen Mut der Stunde Null wünschen, ohne die es Kirche nie gegeben hätte.

Mölleken: Als Vikar stehe ich noch am Anfang im Beruf. Mir scheint wichtig zu sein, dass Gemeinden eine milieusensible Ausrichtung haben. Was wird vor Ort gebraucht, was spricht die Gläubigen an? In einer strukturschwachen Gemeinde kann ich keine hochtrabenden intellektuellen Kulturveranstaltungen anbieten und muss vielleicht den Fokus auf seelsorgerische Arbeit legen. In meiner Gemeinde in Endenich ist das gemeindliche Zusammenleben sehr stark und bunt ausgeprägt. Wenn ich mir vorstelle, die Menschen müssten an andere Orte gehen, halte ich das für keinen guten Ansatz. Man muss eben genau auf die jeweiligen Bedürfnisse schauen. An Weihnachten stimmt das Angebot. In Endenich wird auch viel getauft. Da spricht die Kirche die Bedürfnisse an. Es müsste eben gelingen, die gesamte Gemeindearbeit besser auf die Bedürfnisse zuzuschneiden.

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