Neue Wege beschreiten Pause vom belastenden Pflegealltag

BONN · In einem neuen Selbsthilfeprojekt können Angehörige schreiben, wandern, stricken und malen.

 Amélie Flow spricht mit Stefan János Wágner über das Angebot für Pflegende.

Amélie Flow spricht mit Stefan János Wágner über das Angebot für Pflegende.

Foto: BARBARA FROMMANN

Das neue Pflegeselbsthilfe-Projekt von Stefan János Wágner kommt jetzt richtig in Fahrt. Der Mitarbeiter beim Paritätischen Wohlfahrtsverband zeigte auf eine Reihe druckfrischer Flyer. "In unserer Reihe 'pflegende!aktiv' haben wir verschiedene Formate entwickelt, die Pflegende an besondere Orte einladen, um Begegnung zu ermöglichen", erläuterte Wágner.

In Kooperation mit dem Kunstmuseum Bonn geht etwa ab September der Kreativ-Workshop "pflegende!malen" an den Start. Der Eifelverein Bonn lädt bei "pflegende!wandern" zu gemeinsamen Spaziergängen ein. Beim Angebot "pflegende!stricken" können Handarbeitsbegeisterte ihrem Hobby nachgehen - und sich gleichzeitig mit anderen Menschen in einer vergleichbaren Lebenssituation austauschen.

"Entscheidend ist der gemeinsame Nenner: Alle Personen pflegen einen Angehörigen. Und das im weiten Spannungsfeld zwischen Liebe und Verzweiflung", weiß Wágner.

Man wolle neue Wege beschreiten, damit Menschen in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, die anderen in der Pflegesituation beistehen, sich austauschen, Abstand gewinnen und Hobbys pflegen können.

Seit November vergangenen Jahres ist Wagner in der Lotharstraße 95 mit der Koordination des Kontaktbüros Pflegeselbsthilfe in der Region Bonn/Rhein-Sieg beauftragt. Diese Büros werden zur Stärkung der Selbsthilfe pflegender Angehöriger vom Land NRW und den Landesverbänden der Pflegekassen gefördert.

Die Büros informieren Interessierte über bestehende Hilfsangebote, begleiten sie in ihrer Arbeit und unterstützen die Gründung und den Aufbau neuer kostenloser Selbsthilfegruppen. "In Bonn gibt es bislang Gesprächsgruppen, in denen sich die Gruppenmitglieder untereinander austauschen", sagte Wágner.

Diese "pflegende!reden"-Gruppen seien aber nicht unbedingt jedermanns Sache. Nicht jeder suche sofort das Gespräch mit ebenfalls Betroffenen. Deshalb habe er mit der Gruppe "pflegende!schreiben" seit Mai eine erste Gruppe initiiert, in der Interessen und Neigungen Pflegender gezielt angesprochen werden, und sei seither offen für weitere Gruppen, die gefördert werden können.

In der Schreibwerkstatt, die in Kooperation mit der Caritas gebildet wurde, könne also jeder seine Erfahrungen in der Pflege in Textform verarbeiten. "Diejenigen, die sich seither treffen, lesen aus Tagebüchern vor oder aus Texten, die sie spontan geschrieben haben", so Wágner. Automatisch gerate die Gruppe darüber in ein angeregtes und anregendes Gespräch.

Und wer kommt in die offene Gruppe? "Die Ehefrau eines inzwischen dementen Mannes ebenso wie der Sohn, der sich um seine pflegebedürftige Mutter kümmert", antwortete der Initiator. Im Rahmen von Veranstaltungen oder auf der Website können die Ergebnisse auch veröffentlicht werden.

Die Initiative werde inzwischen vom bekannten Moderator Eckart von Hirschhausen gelobt, der dazu anmerke: "Sich etwas von der Seele zu schreiben ist eine wunderbare Art, mit belastenden Situationen umzugehen." Zu allen schon gebildeten Gruppen seien auch weitere Interessierte eingeladen, sagte Wágner.

An eine der wichtigsten Sorgen in diesem Zusammenhang werde natürlich auch gedacht, nämlich an die Frage: "Wer kümmert sich um meinen Angehörigen, wenn ich mich um mich selbst kümmere?" Zur Versorgung und Betreuung des pflegebedürftigen Angehörigen während der Nutzung eines Selbsthilfeangebots suche das Büro Plätze in Tagespflegeangeboten, erläutert Wágner. Etwa im "Kessenicher Wohnzimmer" im Margarete-Grundmann-Haus vis-à-vis dem Selbsthilfebüro.

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