Polizisten erschossen vor drei Jahren Bonnerin in Tunesien Post verliert Beweismittel im Fall Ahlem Dalhoumi

BONN · Im Fall der 2014 durch Schüsse von Polizisten im tunesischen Kasserine gestorbenen Ahlem Dalhoumi haben die deutschen Behörden Beweismittel verloren.

Der Tod von Ahlem und Ons Dalhoumi, die vor drei Jahren im tunesischen Kasserine von Polizisten erschossen wurden, ist noch immer nicht aufgeklärt. Zwar haben die deutschen Behörden die Ermittlungen vorangetrieben, doch jetzt droht eine Panne alle Anstrengungen zunichte zu machen: Auf dem Postweg sind Beweismittel verloren gegangen. Für die in Bonn lebende Familie von Ahlem Dalhoumi ein herber Rückschlag. „Unser Glaube an die deutsche Justiz ist erschüttert“, sagt Tante Fadhila Dalhoumi.

Was am 23. August 2014 in Tunesien geschah, lässt die Familie auch mehr als drei Jahre später nicht los. Sondes, die Schwester von Ahlem, fährt das Auto auf dem Rückweg von einer Hochzeitsfeier nach Kasserine. Die 21-jährige Ahlem ist Beifahrerin. Im Fond sitzen die Cousinen Ons aus Tunesien und Yasmin, die wie Ahlem in Beuel aufgewachsen ist. Es quetschen sich noch drei weitere Freunde und Verwandte ins Fahrzeug.

Plötzlich springen schwarz gekleidete Männer auf die Fahrbahn. Dass es Polizisten sind, kann Sondes nicht erkennen. Zwei der insgesamt dreizehn Beamten ziehen ihre Pistolen. Halten die Insassen für Terroristen, wie sie später zu Protokoll geben. Sondes tritt aufs Gaspedal, will fliehen. Die Männer schießen von hinten auf das davon fahrende Auto. Patronen treffen Ahlem, Ons und Yasmin. Ahlem ist sofort tot. Ons stirbt noch in der Nacht an ihrer schweren Kopfverletzung. Yasmin überlebt schwer verletzt, eine Kugel bohrt sich in ihre Schulter.

Das Projektil wird ihr kurze Zeit später in Bonn von Ärzten herausoperiert. „Ein wichtiges Beweismittel, da die Kugel dem Schützen zugeordnet werden kann“, sagt Rechtsanwalt Michael Hakner, der die Familie von Beginn an juristisch vertritt. Die Bonner Staatsanwaltschaft lässt das Projektil forensisch untersuchen und fertigt einen Bericht an, den sie nach eigener Aussage auch an die tunesischen Ermittler weiterleitet. Ebenso wie die Zeugenaussagen der Bonnerinnen Sondes und Yasmin Dalhoumi. Viele Monate vergehen, in denen unter anderem der als Schütze hauptverdächtigte Mourad H. in einem tunesischen Gefängnis festgehalten wird. Seine Kollegen sind frei und dürfen nach kurzer Auszeit wieder auf Streife gehen. Schließlich wird auch Mourad H. wieder freigelassen – weil Beweismittel fehlen. In Tunesien seien die Zeugenaussagen nie angekommen.

Deshalb richten die tunesischen Ermittler im März 2017 ein Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft Bonn, mit der Bitte, ihnen die Zeugenaussagen und die Projektilsplitter aus Yasmin Dalhoumis Arm zuzuschicken. Doch im Bundesamt für Justiz, das die Projektilsplitter für die internationale Übergabe an das Auswärtige Amt weiterleiten soll, kommen die wenige Millimeter kleinen Teile nicht an. „Die entsprechende Postsendung war beschädigt“, erklärt das Bundesjustizministerium auf GA-Anfrage. Das Plastikröhrchen mit den Kugelfragmenten, das vom Landesjustizministerium in Düsseldorf an das Bonner Bundesamt für Justiz geschickt wurde, ging verloren. Mittlerweile ist es wieder aufgetaucht – allerdings ohne Inhalt.

Bei der Frage nach der Verantwortung ducken sich die beteiligten Behörden weg. „Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor“, teilt eine Sprecherin des Bundesamtes mit. Es sei üblich, dass Beweismittel mit der Post und nicht mit Kurieren verschickt würden. „Jedenfalls in der internationalen Rechtshilfe in strafrechtlichen Angelegenheiten.“ Ausnahmen gebe es beim Transport von gefährlichen Gütern wie Waffen.

Für die Familie Dalhoumi und Anwalt Hakner ist das unbegreiflich. „Dass so wichtige Beweismittel in einem Tötungsdelikt einfach verloren gehen, ist schlicht ein Skandal“, sagt Hakner. Für die Ermittlungen in Tunesien hat das möglicherweise verheerende Folgen, weil man dort aufgrund der mangelnder Beweislage das Verfahren einstellen will. „Wir versuchen die tunesischen Behörden dennoch dazu zu bewegen, das Verfahren voranzutreiben“, so Hakner. Die Hoffnung auf Gerechtigkeit lässt die Familie weiterkämpfen. „Wir geben nicht auf“, sagt Fadhila Dalhoumi.

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