Debatte um den Bonner Straßenstrich Prostituierte fühlen sich unsicher

BONN · Kann der Bonner Straßenstrich bleiben, wo er ist, oder muss nach einem anderen Platz gesucht werden? Nach Antworten auf diese Frage wollen Politik und Verwaltung demnächst bei einem Ortstermin an der Immenburgstraße suchen.

 Die Anbahnungszone entlang der Immenburgstraße wird nicht überwacht, dort patrouillieren regelmäßig Ordnungsamt und Polizei.

Die Anbahnungszone entlang der Immenburgstraße wird nicht überwacht, dort patrouillieren regelmäßig Ordnungsamt und Polizei.

Foto: Nicolas Ottersbach

Es ist ein guter Abend für die Prostituierten an der Immenburgstraße. Der Sexsteuer-Automat ist kaputt. „Es ist nicht viel, aber so sparen wir uns in dieser Nacht sechs Euro“, erzählt eine Prostituierte. Dabei arbeitet sie heute gar nicht, sondern sitzt in ihrem Auto und wärmt ihre Freundinnen auf. Die stehen bei Minusgraden in kurzen Röcken auf dem Bordstein, mehrere Strumpfhosen schützen vor der Kälte. „Die ist unser geringstes Problem, der Strich hat sich mit den Jahren verändert“, erzählt die Frau Mitte 30. Und jetzt diskutiert die Politik auch noch darüber, ob und wohin der Straßenstrich verlegt werden könnte.

Entgegen der Einschätzungen von Ordnungsamt und Polizei hat der Bonner Straßenstrich offenbar ein Sicherheitsproblem. Zwar beauftragt die Stadt in den Nächten einen Wachdienst, seit 2011 die Verrichtungsboxen errichtet worden sind, in denen die Freier mit den Frauen verkehren können, einige der Prostituierten fühlen sich deshalb aber nicht sicherer. „Oft achtet das Personal gar nicht darauf, wer auf das Gelände fährt und ob wir auf dem Beifahrersitz sind“, erzählt die Frau.

Die Anbahnungszone auf dem 320 Meter langen Teilstück der Immenburgstraße wird nicht überwacht, dort patrouillieren Polizei und Ordnungsamt in regelmäßigen Abständen. „Die können aber auch nicht immer da sein, deshalb regeln wir vieles untereinander.“ Was das auf dem Straßenstrich bedeutet? „Es gibt immer Mittel und Wege. Aber es wird gefährlicher, weil immer mehr Prostituierte und Zuhälter aus Osteuropa hierhin kommen.“

Christa Skomorowsky von der Aids-Initiative Bonn, die die Frauen auf dem Strich und einen von der Stadt gestellten Sozialcontainer betreut, nennt das die Wandlung vom „Hausfrauenstrich zum Armutsstrich“. Die Betreuer hätten immer häufiger Verständigungsprobleme, weil die Frauen nur schlecht oder gar kein Deutsch sprechen. Eine vernünftige Sozialarbeit werde zusätzlich dadurch erschwert, dass die Prostituierten nur noch wenige Wochen in Bonn bleiben und dann von ihren Zuhältern in eine andere Stadt gebracht würden.

Die Bonner Polizei bewertet die Situation nach Fallzahlen. „Demnach hat sich die Sicherheitslage positiv entwickelt“, sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Es gebe einen leichten Rückgang der Hoheits- und Gewaltdelikte, rund 30 wurden im Jahr 2016 registriert. Häufigster Grund seien Streitereien zwischen den Prostituierten.

„Da wird die Polizei aber oft gar nicht gerufen, weil es zu lange dauert, bis die hier sind“, erzählt eine Prostituierte. Solche Revierkämpfe entstünden dann, wenn neue Frauen auf den Strich kämen. „Die haben keinen Respekt und stellen sich einfach auf unsere Plätze. Da wird auch nicht gefragt.“ Ärger scheint programmiert.

„Das passiert, wenn die Anbahnungszone zu klein ist und die Frauen sich auf den Füßen stehen“, sagt SPD-Ratsherr Peter Kox. Er hat mit den Politikern der anderen Ratsfraktionen im Sozialausschuss einen Antrag gestellt, in dem sich die Stadtverwaltung frühzeitig mit der Verlegung des Straßenstrichs beschäftigen soll. „Es zeichnet sich ab, dass die Gewerbeentwicklung in diesem Bereich den Strich verdrängen könnte“, sagt er. Konkrete Pläne gebe es aber noch nicht.

Wohl aber Überlegungen, wo Platz für den Straßenstrich sein könnte: einige Meter weiter am Kreisel, wo Siemensstraße, Am Propsthof und Am Dickobskreuz aufeinandertreffen. Die Verrichtungsboxen könnten auf das alte Güterbahnhofsgelände hinter dem VfG-Wohnheim umziehen. „Wir wollen das sozialpolitisch diskutieren, aber bevor die Pfähle festgesteckt sind“, sagt Kox. In den nächsten Wochen werde es einen Ortstermin mit Stadtverwaltung, Politik und den sozialen Betreuern der Aids-Initiative sowie der Organisation Solwodi geben, die sich für Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung einsetzt. Und auch die Prostituierten selbst sollen befragt werden.

Auf dem früheren Arkema-Gelände zwischen Siemensstraße und Am Propsthof wird gerade ein neues Stadtquartier mit Hunderten von Wohnungen geplant. Die Erschließungsarbeiten sollen noch 2017 beginnen. Erinnert sei auch an den Ratsbeschluss von Dezember 2009, demzufolge die Anbahnungszone aus dem Gebiet Am Propsthof/Ger-hard-Domagk-Straße in die Immenburgstraße verlagert wurde.

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