83. Jahrestag der Bücherverbrennung „Reden wir von Schande“

BONN · 83 Jahre nach der Verbrennung „undeutscher“ Bücher lesen Studenten auf dem Bonner Marktplatz aus diesen Titeln. Oberbürgermeister Ashok Sridharan ruft zu Wachsamkeit auf.

 Erinnerung an die Bücherverbrennung: Pia Seffarth zitiert auf der Rathaustreppe Bertolt Brecht.

Erinnerung an die Bücherverbrennung: Pia Seffarth zitiert auf der Rathaustreppe Bertolt Brecht.

Foto: MLH

Die Nazis hatten gerade die Macht ergriffen, da berichtete der GA am 10. Mai 1933 schon, dass Studenten der Bonner Universität am Abend vor dem Alten Rathaus alle nur greifbaren Bücher „wider den undeutschen Geist“ verbrennen würden. Trotz strömenden Regens habe sich dort dann eine applaudierende Menge versammelt, „um jeglichen undeutschen Geist auszurotten“, wie Astrid Mehmel am gestrigen 83. Jahrestag der Bücherverbrennung verlas. Und das tat die Leiterin der Gedenkstätte Bonn am Fuß der Rathaustreppe, an dem damals johlende Studenten mitsamt Germanistikprofessor Hans Naumann Weltliteratur von Bertolt Brecht über Ernest Hemingway und Irmgard Keun bis Arthur Schnitzler in die Flammen warfen. Nicht ohne noch die erste Strophe des Deutschlandlieds anzustimmen.

Genau aus Büchern dieser verfemten Dichter lasen nun am Dienstag Germanistikstudenten von heute. Und es fuhr den zahlreichen Gästen kalt über den Rücken, als eine von ihnen oben von der Treppenspitze Bertold Brechts Anklage weit über den Marktplatz schallen ließ: „Was seid Ihr doch für Menschen, lasst Euch von Halbwilden herumkommandieren“, las die junge Frau. „Reden wir nicht von Unglück. Reden wir von Schande.“ Germanistikprofessor Jürgen Fohrmann erinnerte denn auch an die „fatale Rolle“, die auch seine Vorgänger ein paar Schritte weiter in der Universität vor 83 Jahren gespielt hatten. Man mache sich klar, dass diese Fanatiker sich damals aufmachten, den gesamten Textkanon der Weltliteratur zu vernichten. „Wir sollten uns dessen mit Blick auf die gegenwärtige Situation gewahr werden.“

Erinnerungsmal auf dem Markt

Oberbürgermeister Ashok Sridharan bekannte für die Stadt ebenfalls mit Scham, dass damals unzählige Bürger die hiesige Bücherverbrennung beklatscht hätten. Jeder Rest sogenannten undeutschen Geistes habe in Schutt und Asche aufgehen sollen. Zur Sicherung des Gedenkens an diesen monströsen Akt habe man 2013 an genau dieser Stelle das passende Erinnerungsmal installiert, aus dessen Büchertruhe gleich Titel verfemter Dichter an die Bürger weitergegeben würden erläuterte Sridharan. „Wer in der Demokratie schläft, der wacht in der Diktatur wieder auf“, warnte er. Da, wo auch heute wieder die Meinungsfreiheit geknebelt werde, würden dadurch auch Menschen geknebelt und eingesperrt.

Die Bücherverbrennung dürfe nicht vergessen werden, meinte unter den Zuhörern Berthold Lange dem GA gegenüber. „Die meisten heute lebenden Bürger trifft keine Schuld, aber sie tragen Verantwortung.“ Heute über eine sogenannte deutsche Leitkultur zu reden, sei mit Blick auf das Geschehene verantwortungslos und letztlich absurd. „Denn wer ist denn ein Deutscher? Wir sind doch ein buntes Gemisch. Und die Vielfalt der Kulturen ist doch gerade ein Geschenk.“

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