Interview zum Berlin-Bonn-Gesetz Region will Vertrag über den Verbleib der Ministerien

Bonn · Die Verwaltungschefs der Stadt Bonn und des Rhein-Sieg-Kreises fordern einen Vertrag, der die Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes regeln soll. Eine Öffnungsklausel im Gesetz ermögliche eine Zusatzvereinbarung, erklärten Ashok Sridharan und Sebastian Schuster im GA-Interview.

Die Ministerin hat ihren Statusbericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Ist damit die Debatte um einen Umzug nach Berlin beendet?

Ashok Sridharan: Der Bericht ist in der Ressortabstimmung. Die Ministerin hat uns gesagt, dass sie ihn im Januar dem Kabinett vorlegen wird zur Kenntnisnahme. Sie will keine Handlungsempfehlung abgeben. Ich bin gespannt, wie das Kabinett reagiert, gehe aber davon aus, dass das Thema nicht vom Tisch ist. Es wird uns im nächsten Jahr sicher intensiv beschäftigen.

Ist die fehlende Handlungsempfehlung ein gutes Zeichen für Bonn?

Sridharan: Ich möchte das nicht interpretieren. Ich würde mich freuen, wenn wir nach unserem Positionspapier im Gespräch bleiben würden, um einen weiteren Rutschbahneffekt zu verhindern. Wir möchten zu verlässlichen Vereinbarungen kommen und nicht permanent die Diskussion haben über Komplettumzug ja oder nein.

Wie ist aus Ihrer Sicht das Verfahren gelaufen?

Sridharan: Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr beteiligt worden wären. Ein paar Punkte hätte ich gerne komplett anders gehabt. Etwa nur die Leitungsebene zu befragen, die ja regelmäßig zwischen Berlin und Bonn pendelt, das gibt kein umfassendes Bild. Die Dienstreisen so in den Vordergrund zu stellen, halte ich auch dann für verkürzt, wenn wir nicht gleichzeitig die Dienstreisen daneben legen, die man erspart, weil Bonn so nah an Brüssel liegt.

Hat der Bericht eine Tendenz?

Schuster: Keine. 2015 hatte die Ministerin mir euphorisch berichtet, was sie mit dem Statusbericht bezweckt. Wenn man das am vorgelegten Papier misst, ist das eine reine Enttäuschung. Sie hat wohl nur noch so wenig Spaß an dem Thema, dass sie ohne Handlungsempfehlung ins Kabinett geht. Sie war ja angetreten mit dem Anspruch, das Thema dauerhaft und zur Zufriedenheit aller zu regeln.

Was kann man tun?

Schuster: Wir müssen abwarten, dass aus dem Kabinett der Impuls kommt zu verhandeln. Das Zeitfenster wird aber kleiner, wenn wir das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten wollen.

Wäre es nicht an der Zeit, einen grundsätzlichen Strategiewechsel zu vollziehen?

Sridharan: Das müsste von der Bundesregierung kommen. Wir als Region haben unsere Positionen dargestellt. Wenn der Bund die Rechtslage ändern möchte, ist es Aufgabe des Bundes, damit auf uns zuzukommen. Uns ist das, was im Berlin-Bonn-Gesetz steht, gut genug. Wir sind dankbar für die Unterstützung des Bundes in Sachen Sitz der Vereinten Nationen in Bonn. Das ist ein gutes Signal für den zweiten Bundesstandort.

Laut einer Umfrage des Bundes der Steuerzahler halten 80 Prozent der Bürger die Teilung der Regierung nicht mehr für zeitgemäß...

Sridharan: Ich glaube, dass man keine Mehrheiten in zwei Bundesländern bekäme, wenn unser Positionspapier Blödsinn enthalten würde. Der Chef des UN-Freiwilligenprogramms sagt: Wir sind hier gut aufgehoben, weil die Bundesregierung da ist. Und das gilt für andere Organisationen auch. Das gehört in die Waagschale. Beim Thema Digitalisierung gibt es noch Nachholbedarf. Aber dass die Zusammenarbeit auch an unterschiedlichen Orten hervorragend funktioniert, das machen uns weltweit jede Menge Konzerne vor.

Gegen eine öffentliche Meinung ist aber schwer anzukommen, oder?

Schuster: Wenn man von außen auf uns blickt, mag man sagen, wir jammern auf hohem Niveau. Aber es ist doch interessant, dass der Statusbericht auch aus einer Reihe von Berliner Ressorts Gegenwind bekommen hat, aber auch aus den Landtagen. Dass sich zwei Landesregierungen unser Positionspapier zu eigen machen, zeigt doch, dass wir mit unserer Auffassung zu Bonn-Berlin nicht alleine stehen.

Wie war die Region am Prozess beteiligt?

Schuster: Die Ministerin hat uns gegenüber ihre Zusagen nicht eingehalten. Vor einem Jahr hat sie uns in Aussicht gestellt, dass sie mit uns das Gespräch suchen würde in der Zeit zwischen Fertigstellung des Statusberichts und Befassung der Ressorts. Wir haben das in Erinnerung gebracht, aber überhaupt keine Rückmeldung bekommen. Wenn sie jetzt sagt, ihr habe das Signal der Gesprächsbereitschaft aus der Region gefehlt, dann ist das grundverkehrt.

Weiß man eigentlich, warum das Thema überhaupt auf die Tagesordnung gekommen ist?

Schuster: Wir haben nur gehört, dass die Ministerin es unter Sonstiges zwei Mal im Kabinett angestoßen haben soll. Es gab keinen Beschluss oder Auftrag aus dem Kabinett. Sie hat mir einmal gesagt, sie sehe sich verpflichtet, die Standortdiskussion zu beenden und in geordnete Bahnen zu führen. Sie wolle belastbare Strukturen schaffen, und das könne sich auch über 15 oder 20 Jahre erstrecken. Aber es solle für alle Beteiligen klar und nachvollziehbar sein.

Wie lautet Ihr Fazit?

Schuster: Wir waren auf alles gefasst, auch auf das Worst-Case-Szenario, das da Komplettumzug heißt. Dass aber gar nichts drinsteht und gar keine Herangehensweise vorgeschlagen ist, das enttäuscht mich persönlich.

Wie zufrieden sind Sie mit der Unterstützung aus der Region und darüber hinaus?

Sridharan: Wir sind sehr zufrieden, denn die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben uns über die Länder- und Parteigrenzen hinweg bestärkt. Ich gehe davon aus, dass angesichts der anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen das Thema weiter diskutiert werden wird.

Schuster: Für mich birgt es eine große Gefahr, wenn das Thema hinter die Bundestagswahl gebracht wird. Weil wir dann eine neue Koalition und eine neue Generation an Bundestagsabgeordneten haben. Wir haben ja laut einem juristischen Gutachten nichts in der Hand: Wir können die Einhaltung des Berlin-Bonn-Gesetzes nicht einklagen. Ein Gesetz kann man zudem ändern oder auflösen. Ich befürchte, dass es nicht mehr zu einer großen Diskussion kommt, weil wir in Berlin keine große Lobby mehr haben. Deshalb müssen wir das Thema vor der Wahl abräumen.

Was wäre eine sinnvolle Vereinbarung?

Sridharan: Es gibt im Berlin-Bonn-Gesetz eine Öffnungsklausel, die eine ergänzende Vereinbarung auf vertraglicher Basis zulässt. Wir können also einen Zusatzvertrag schließen, ohne dass das Gesetz geändert werden muss. Und den Vertrag können wir einklagen. Wir hätten dann ein scharfes Schwert.

Was könnte der Vertrag enthalten?

Schuster: Welche Politikbereiche hierbleiben, welche Stellen, welche Organisationshoheit. Wenn man das Positionspapier liest, kann man herauslesen, was wir für den Fortbestand der Region für nötig halten.

Welches Interesse sollte die Bundesregierung haben, sich an einen solchen Vertrag zu binden?

Sridharan: Der Vertrag nutzt ja nicht nur der Region. Es ist für die gesamte Bundesrepublik von Nutzen, wenn die Vereinten Nationen hier sind und wenn wir internationale Unternehmen hier haben, die sich mit dem Thema IT-Sicherheit befassen. In dieser Region leben mehrere Millionen Menschen. Als Regierung ist man in erster Linie den Menschen verpflichtet, denen man nicht den Boden unter den Füßen wegziehen sollte.

Schuster: Bei der ganzen Diskussion zu kurz gekommen ist meiner Meinung nach der Föderalismusgedanke. Wir sagen ja gar nicht, alles muss in Bonn bleiben. Aber Deutschland hat nach dem Krieg sehr gut mit dem dezentralen Aufbau gelebt. Bei den Gerichten, Banken und so weiter. Wenn man sieht, was in den Nachbarländern der Zentralismus für schlechte Auswirkungen hat, sollten wir darauf hinwirken, dass das bei uns anders bleibt. Dass die Region hier ihre Verdienste darum hat, sollte auch festgeschrieben werden.

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