Beethovenfest Revolutionäre Kargheit

Bonn · Lucinda Childs kam mit ihrem Ensemble und dem Klassiker „Dance“ für zwei Vorstellungen nach Bonn. Wer wollte, konnte sich mit der Linie 16 von Köln zum Bonner Opernhaus chauffieren lassen und dabei in der Bahn Performances von jungen Tänzern der Kölner Hochschule für Musik und Tanz beiwohnen.

Es war eine hübsche Idee, die Straßenbahnlinie 16 als verknüpfendes Band für die „Kollaborationen“ der Kölner Philharmonie und des Bonner Beethovenfestes zu nutzen. Hand in Hand machen die Intendanten beider Institutionen, Louwrens Langevoort und Nike Wagner, derzeit ihr Publikum mit den spannenden, Fluxus-bewegten Ideen des American Postmodern Dance vertraut, der hierzulande immer im Schatten des von Pina Bausch geprägten Tanztheaters stand.

Nachdem in Köln in der Philharmonie bereits Deborah Hays Choreografie „Figure A Sea“ in einer Aufführung des Cullberg Ballet zu sehen war, kam am Wochenende Lucinda Childs mit ihrem Ensemble und dem Klassiker „Dance“ für zwei Vorstellungen nach Bonn. Und welche Rolle spielte die Linie 16? Wer wollte, konnte sich am Samstag mit einem Sonderwagen von Köln zum Bonner Opernhaus chauffieren lassen und dabei in der Bahn Performances von jungen Tänzern der Kölner Hochschule für Musik und Tanz beiwohnen.

„Dance“ lässt sich heute sicher unvoreingenommener rezipieren, als noch vor 37 Jahren. Die Uraufführung in der Brooklyn Academy of Music in New York verstörte die Menschen, nicht wenige verließen das Theater. Denn Childs, die ihre Prägung im Judson Dance Theater erfahren hatte, dachte den Tanz radikal neu, nämlich radikal reduziert. Zu den repetitiven Klängen der „Dance“-Partitur von Philip Glass huscht ein Paar aus der Seitengasse, läuft und dreht sich dabei, und verschwindet wieder in der anderen Gasse. Das wiederholt sich immer wieder mit weiteren Paaren, immer von rechts nach links oder von links nach rechts. Keine Emotion wird gezeigt, keine Geschichte erzählt. Alles ist unablässige, abstrakte Bewegung.

Die schnurrenden, blubbernden und perlenden Motivmuster der von Band kommenden Musik und die kargen, aber sehr schnellen Bewegungen der Tänzer entwickeln durch die Repetitionen eine betörende, hypnotische Wirkung. Diese wird noch durch Filmbilder gesteigert, die der Konzeptkünstler Sol LeWitt für die Produktion von 1979 drehte und die auf meterhohen, transparenten Leinwänden zeitgleich und zum Teil synchron zu den Bewegungen der Tänzer am Auge des Betrachters vorüberrauschen.

Manchmal auf Augenhöhe, manchmal, als bewegten sich die Filmtänzer auf einer zweiten Bühnenetage. Damals lag der Reiz in der Identität von Filmfiguren und Live-Tänzern. Seit Lucinda Childs ihr Stück 2009 auf der Basis der alten Bilder rekonstruierte und von zwölf jungen Akteuren tanzen lässt, erlebt man den Generationenunterschied als weitere künstlerische Dimension in diesem vielschichtigen Stück.

Im zweiten Teil des Triptychons, einem Solo, kommt es zu einer besonderen Begegnung. Denn dort trifft die junge Live-Tänzerin ganz direkt auf die ebenfalls noch junge Lucinda Childs, deren kühle Schönheit in Großaufnahme die Szene beherrscht, während ihre Kollegin aus der nächsten Generation nicht die Möglichkeit hat, durch Kamerazooms physisch überhöht zu werden.

Nach dem dritten Teil des einstündigen Tanzrausches, in dem die Paare des ersten teils von individuellen Bewegungsmustern abgelöst werden, war der Applaus groß. Und die großartige Lucinda Childs nahm ihn zusammen mit ihren Tänzern entgegen.

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