Bötchensee Rheinau-Piraten auf Karpfenfahrt

GRONAU · Wer zu hohe Erwartungen weckt, kann sich böse in die Nesseln setzen. Wer eine Bötchentour in der Rheinaue zum Beispiel dem sechsjährigen Sohn im Vorfeld als Piraten-Kaperfahrt verkauft, muss sich nicht wundern, wenn ihm diese großspurige Ankündigung wie ein Pulverfass um die Ohren fliegt.

 Am Bootsrand findet Piratenkapitän Jonah so manchen Schatz.

Am Bootsrand findet Piratenkapitän Jonah so manchen Schatz.

Foto: MARTIN OCHMANN

Und dem Nachwuchs, vorfreudig ausgerüstet mit Säbel, Totenkopfflagge und Piratenhut, beim Anblick des grünen Plastiktretboots das Salzwasser in die Augen steigt. "Das sieht überhaupt nicht wie ein Piratenboot aus", brüllt der Schrecken der Sieben Meere. Wo er Recht hat, hat er Recht. Der Seeräuberkapitän will in einem Ruderboot fahren, das hat wenigstens ein bisschen Stil. Geht aber nicht, der Steuermann müsste dann rudern, schreiben und fotografieren.

Zum Glück lenkt ein in Sichtweite vorbei dümpelnder toter Karpfen den Käpt'n ab. Da will er jetzt hin, wenn es sein muss auch mit dem Plastiktretboot. "Können wir den mitnehmen oder ins Boot holen?" Gemeint ist der tote Karpfen. Der Steuermann startet ein Ablenkungsmanöver. "Guck mal, ein Haubentaucher." Der blaue Kasten Schneider's Weisse bleibt unerwähnt. Ablenkungsmanöver geglückt, Wendemanöver eingeleitet, der Rest der Familie ist in Kahn Nummer zwei bald außer Sichtweite. Sie wird grade angegriffen, ein kleiner Junge versucht das Boot zu kapern, der Vater manövriert als willfähriger Gehilfe. Der Piratenkapitän befiehlt seinem Steuermann, das feindliche Boot zu rammen. Mit Erfolg, die feindliche Schaluppe ergreift die Flucht. Mit monotonem "Flapp, Flapp, Quietsch" pflügt die grüne Plastik-Hispaniola durch die nicht minder grünen Entengrützefluten, die Luft ist geschwängert von Grill- und einem dezenten Modergeruch, im Schatten der Autobahnbrücke probieren andere Freizeitkapitäne das Echo aus.

Der Kapitän sorgt für einiges Aufsehen und Erheiterung, insbesondere bei einer Gruppe junger Meerjungfrauen. Wenn das die Junggesellen wüssten, die am Rheinufer Vatertag feiern. Kapitän Herzensbrecher bekommt es auch nicht mit, er fischt mit dem Säbel im Grünen. "Ich muss aufpassen, dass kein Karpfen in den Säbel beißt, der würde den ins Wasser ziehen." Nachdenkliche Pause. "Sind Karpfen stärker als kleine Menschenjungen?" Der Steuermann beruhigt den Kapitän, der ist in Gedanken sowieso schon ganz woanders. Zunächst bei einem Fußball, der auf den Wellen tanzt ("Können wir den bittebitte mitnehmen?"), dann bei Enten ("Sind das stinknormale Stockenten?"), schließlich bei einer Plastiktüte ("Was ist das Weiße da?").

Am Ufer haben einige Angler ihre Zelte aufgebaut. "Können wir da mal hinfahren?". Ob die sich freuen, wenn man über ihre Angelhaken pflügt? Also lieber piratenmäßig quer über die See brüllen. "Schon was gefangen?" "Nein!" "Was fangt ihr denn?" "Karpfen!" "Da hinten schwimmt einer, sollen wir euch den bringen?" "Nein, danke" "Na dann, Petri Heil!" "Petri Dank". Es wird Zeit für die Rückfahrt, bei 13 Euro-Dublonen für zwei Boote und 30 Minuten Fahrt will der Steuermann ungern für weitere 30 Minuten in die Schatztruhe greifen.

Wie spät ist es überhaupt? Die netten Matrosenjungen am Bootssteg jedenfalls verlieren kein Wort, offensichtlich blieb die Kaperfahrt im zeitlichen Rahmen. Kurzweilig war es wohl auch. "Mir kam das vor wie zehn Minuten", sagt jedenfalls der große Bruder des kleinen Piraten. Na, wenn das kein Lob ist.

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