Zeitzeugen Richard Laspeyres: "Plötzlich ertönte Geheul in der Luft"

BONN · Rolfdieter Schroers bewahrt die Aufzeichnungen seines Großvaters Richard Laspeyres über den Bombenangriff am 18. Oktober 1944 auf.

 In den Luftschutzräumen unter der Kreuzkirche fanden Hunderte Menschen Zuflucht und überlebten, obwohl die Kirche darüber schwer getroffen wurde. Die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Bombenangriffe untermalte am Freitag der Kammerchor der Kreuzkirche.

In den Luftschutzräumen unter der Kreuzkirche fanden Hunderte Menschen Zuflucht und überlebten, obwohl die Kirche darüber schwer getroffen wurde. Die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Bombenangriffe untermalte am Freitag der Kammerchor der Kreuzkirche.

Foto: Barbara Frommann

Richard Laspeyres hatte an diesem Mittwochmorgen im Oktober 1944 gerade seine Sprechstunde hinter sich. Der Arzt wollte im Wintergarten des Hauses an der Baumschulallee 8 ein paar Worte mit seinem Bruder wechseln. "Da kam Großalarm. In großen Geschwadern zogen die feindlichen Flugzeuge über die rheinische Ebene dahin, begleitet von dem Gebell und Gebrüll der großen Fliegerabwehrgeschütze", schrieb er später nieder. Die Brüder schauten nach oben. Auch diesmal galt der Angriff sicher nicht Bonn, denn ein Teil der Flugzeuge schien schon umzukehren. "Als plötzlich ein Geheul in der Luft ertönte, offenbar von niedergehenden Flugzeugen herrührend, das grausig war und uns mahnte, uns rasch in Sicherheit zu bringen", notierte der damals 73-Jährige.

Laspeyres' Enkel Rolfdieter Schroers, heute selbst pensionierter Arzt, hat als Junge in den Monaten danach den Großvater die Erlebnisse niederschreiben sehen. "Er saß am Fenster und hörte gar nicht mehr auf damit, in winziger Sütterlinschrift unzählige seiner alten Rechnungsformulare zu beschreiben." Diese Originale hütet Schroers wie seinen Augapfel. Vor ein paar Jahren ließ er die Lebenserinnerungen seines Großvaters transkribieren und kürzte sie auf 120 DIN-A4-Seiten. Nun zitiert er die eindringlichen Sätze vom schauerlichen Vormittag des 18. Oktober, an dem britische Bomben große Teile des Bonner Zentrums in Schutt und Asche legten.

"Wir waren noch nicht im Keller, da gingen das Geprassel der fallenden Bomben und das fürchterliche Explodieren derselben schon los. In allen Fugen bebten die Mauern, Türen und Fenster stürzten klirrend um uns, die wir uns unter dem dicksten Mauerwerk zusammendrängend jeden Augenblick fürchteten, von herunterstürzenden Trümmern erschlagen zu werden." In dichten Staub gehüllt und betäubt vom Höllenlärm ringsum habe die Arztfamilie eine Viertelstunde die totale "Schreckenszeit" erlebt.

Über Glassplitter und Mörtelstaub seien sie alle dann zitternd nach oben gestiegen, liest der Enkel vor, der selbst einmal bewusst in die Fußstapfen des Großvaters treten sollte. Zersplitterte Fensterscheiben, die Eingangstür aus den Angeln gerissen, die Möbel schwer beschädigt, die Vorhänge in Fetzen, die Wände von Steinsplittern durchlöchert, schwere Bronzen lagen mit Instrumenten, Büchern, Akten und Schreibsachen wild umhergestreut. "Alles war dick mit Mörtel, Staub und Steinstücken bedeckt. In der dicken Außenmauer des Erkers fand sich ein kopfgroßes Loch. Sämtliche Uhren im Hause waren vor Schreck stehen geblieben."

Wüst habe es im Wintergarten ausgesehen, aus dem Laspeyres und sein Bruder noch kurz zuvor geflohen waren. "Die Schiebefenster bedeckten als Splitter den Boden; die schweren Eisen- und Messingteile standen verbogen nach allen Richtungen in den Raum hinein. Hätten wir diesen nicht bei Zeiten verlassen gehabt und uns in den Keller geflüchtet, wir wären erbärmlich zu Tode gekommen."

Aber, auch das notiert der Arzt akribisch, er und seine Familie hatten an diesem Bombenmorgen unfassbares Glück gehabt. "Die Häuser im unteren Teile der Poppelsdorfer Allee waren nur noch Trümmerhaufen; der Bonner Bürgerverein, die Universitätsseminare, das evangelische Hospiz, das Haus der inneren Mission standen in Flammen. Die linke Seite des Kaiserplatzes und die Eckhäuser an der Bahnhofstraße waren nicht mehr. Aus der Universität loderten hoch die Flammen zum Himmel, dicke Rauchwolken wälzten sich über die Stadt.

Es war ein trauriger Anblick." Sachlich, wie er als Mediziner war, ging Richard Laspeyres damals schnell hinaus, seinen für den Beruf zu wichtigen Wagen aus dem Funkenregen auf die Poppelsdorfer Allee zu retten, "um ihn abends in dem großen Vorgarten der Abs'schen Villa Ecke Baumschul- und Meckenheimer Allee in Sicherheit zu bringen".

"Für uns Alte sei es doch völlig ausgeschlossen, im beginnenden Winter in der schwer beschädigten Wohnung ohne Türen und Fenster zuzubringen. Außerdem sei fast sicher, dass diesem Angriff noch weitere folgen würden, bis auch ganz Bonn dem Erdboden gleich gemacht sei, wie dies auch in den anderen schwer betroffenen Städten der Fall gewesen sei", schrieb Laspeyres nieder. Einen Kanister mit 20 Litern Benzin habe ihm ein befreundeter Soldat zur Verfügung gestellt. "Und damit sind sie aus dem brennenden Bonn geflohen", sagt Schroers und hält die Lebenserinnerungen seines 1965 verstorbenen Großvaters fest in Händen.

Zeitzeuge auch im Ersten Weltkrieg

Richard Laspeyres sah auch den ersten Luftangriff auf Bonn im Ersten Weltkrieg, bei dem am 31. Oktober 1918 rund um den Friedensplatz 31 Menschen den Tod fanden. "An einem Nachmittage erfolgten mehrere schwere Explosionen, während ein Flieger die Stadt überflog", schrieb der Bonner Arzt 1945 in Erinnerung nieder. "Von unserem Kinderzimmer aus sahen wir ziemlich nahe - es war in der Dechenstraße - die schwere Rauch- und Staubwolke aufwirbeln.

Dort war ein Wohnhaus zur Hälfte zerstört worden, die Bewohner aber beim Kaffeetrinken in dem unzerstörten Teile am Leben geblieben." Furchtbar aber sei auf dem Friedensplatz die Wirkung einer Bombe gewesen. Dort sei gerade ein Zug der Vorgebirgsbahn angekommen. "Mitten auf dem Platz, der gefüllt war von Menschen, fiel die Bombe, tötete und verletzte viele Personen und verursachte große Schäden an den Mauern, Fenstern und Einrichtungen der Geschäfts- und Wohnhäuser, die den Platz umsäumen."

Auch zwei Verwundete einer Lazarett-Abteilung, die vorwitzig aus einer dort liegenden Kneipe getreten seien, als der Flieger erschien, hätten "ganz ordentliche Verletzungen" davongetragen. "Zum Schaden hatten sie noch Vorwürfe und Spott zu ertragen, weil sie, obwohl erfahrene Schützengrabensoldaten, jede Vorsicht außer Acht gelassen und nicht in Deckung geblieben waren."

Gedenken im Bunker unter der Kreuzkirche

Da ging unter Bonns Kreuzkirche ein von Cello und Gesang getragenes Klagen durch die Krypta, als die Bonner am Freitagabend bei der Feier der evangelischen Gemeinde und des Stadtmuseums der Opfer des größten Bombenangriffs auf die Stadt vor 70 Jahren gedachten. Der Chefhistoriker des Stadtmuseums, Horst-Pierre Bothien, spannte den geschichtlichen Bogen bis zu den Stunden, als die Menschen nebenan im Luftschutzkeller verzweifelt um ihr Leben beteten.

Bürgermeister Reinhard Limbach öffnete im Beisein seiner 102-jährigen Großmutter, die sich damals vor dem Bombenhagel retten konnte, den Horizont zu den heute weltweit vor Gewalt Flüchtenden. "Es sind sogar mehr als damals im Zweiten Weltkrieg." Und Pfarrer Gerhard Schäfer betonte auch an diesem Jahrestag die Schuld des damaligen Deutschlands: "Der Krieg, den die Nazis in die Welt brachten, kam am 14. Oktober 1944 auch nach Bonn zurück."

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