Schule in NRW Rückkehr zu G9 stellt in Bonn alles auf Anfang

Bonn · Viele Fünftklässler, die ab der kommenden Woche ein Bonner Gymnasien besuchen werden, werden ihre Abiturprüfungen wieder nach neun Jahren statt nach nur acht Jahren ablegen.

Das Turboabitur wird wieder entschleunigt. Viele der Fünftklässler, die ab der kommenden Woche ein Bonner Gymnasien besuchen werden, werden ihre Abiturprüfungen wieder nach neun Jahren statt nach nur acht Jahren ablegen. Offiziell wird das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen erst zum Schuljahr 2019/2020 von G 8 auf G 9 zurückgestellt. Im ersten Schuljahr am Gymnasium werden die Fünftklässler indes noch nach den alten G 8-Plänen unterrichtet werden, ab Sommer 2019 gelten dann die neuen G 9-Lehrpläne für die Klassen fünf und sechs.

Mit einer Entscheidung vor den Sommerferien hatte der Landtag die Rückkehr endgültig besiegelt. Demnach wird das Abitur nach neun Jahren zum Regelfall, die Bildungseinrichtungen können aber auch das G 8-Modell fortführen – sofern sie in der Schulkonferenz unter den Lehrern, Eltern und Schülern eine Zweidrittelmehrheit dafür erlangen. Die Bildungseinrichtungen müssen sich bis spätestens Ende Januar 2019 für einen Weg entscheiden.

Die Privatschulen sind in ihrer Entscheidung freier, wie das Schulministerium mitteilt: „Den Trägern der Gymnasien in freier Trägerschaft steht es frei, ob sie ihre Schulen ab dem Schuljahr 2019/20 oder später nach einem neunjährigen oder nach einem achtjährigen Bildungsgang zum Abitur führen.“ Gesamtschulen und Berufskollegs mit Wirtschaftsabitur betrifft die neue Leitentscheidung nicht, sie bieten bereits das Abitur nach neun Jahren an.

"Mehr als 90 Prozent werden zurückkehren"

„Wir rechnen damit, dass mehr als 90 Prozent wieder auf G 9 zurückgehen werden“, sagt ein Sprecher des NRW-Schulministeriums. „Eine Entscheidung der öffentlichen Gymnasien in Bonn wird erst zum geeigneten Zeitpunkt auf den Schulkonferenzen fallen“, teilte die Bezirksregierung Köln auf Anfrage mit. Trotzdem sei eine Tendenz zu G 9 erkennbar.

„Der Schulträger hat entschieden, dass wir zu G 9 zurückkehren“, sagt Ulrich Drescher, Leiter des privaten Ernst-Kalkuhl-Gymnasiums (EKG) in Oberkassel. Damit steht die Entscheidung zwar fest, aber konkret planen können die Schulen derzeit nicht. „Das allergrößte Problem ist die Stundentafel. Die liegt noch nicht vor.“ Die Stundentafel wird vom Schulministerium vorgegeben und legt die Verteilung der Wochenstunden auf die einzelnen Fächer fest. Die Gesamtzahl der Wochenstunden ist auf 188 für die Sekundarstufe I festgeschrieben, 180 davon werden vorgegeben, acht Stunden stehen der Schule jeweils für die eigene Profilbildung zur Verfügung. „Solange wir das nicht wissen, können wir nicht planen“, sagt Drescher.

Von der Aufstellung hängt beispielsweise ab, wie viele Lehrer und Fachräume gebraucht werden. „Wir werden wahrscheinlich Räume wieder umwidmen müssen.“ Bisher gebe es nur Überlegungen, wie das aussehen könnte. Für die Umstellung zu G 8 hatte das EKG Räume, die nicht benötigt wurden, für andere Zwecke umgerüstet, zum Beispiel als Mensa. Man habe aber auch Computer- und Lehrerarbeitsräume geschaffen. Die müssten nun an einer anderen Stelle eingerichtet werden.

Eine Umfrage der Bonner Verwaltung unter den städtischen Gymnasien hatte im Februar ergeben, dass an neun der öffentlichen Bonner Schulen für eine Umstellung auf G 9 zusätzliche Räume benötigt werden. Lediglich das Helmholtz-Gymnasium habe ausreichend Platzkontingent, um den Schulbetrieb ohne Umbauarbeiten umzustellen. Insgesamt müssten in Bonn 63 neue Räume entstehen. Das entspricht schätzungsweise einer neu zu realisierenden Bruttogeschossfläche von etwa 6459 Quadratmetern und Baukosten von 15 bis 25 Millionen Euro.

Probleme mit dem Platz

Betroffen sind vor allem das Clara-Schumann-Gymnasium in der Südstadt, wo 13 Räume fehlen, das Friedrich-Ebert-Gymnasium in der Gronau mit zwölf und das Beethoven-Gymnasium mit neun fehlenden Räumen. Im Hardtberg-Gymnasium müssten vier Räume neu geschaffen werden, im Konrad-Adenauer-Gymnasium und im Nicolaus-Cusanus-Gymnasium jeweils drei Räume. Das Tannenbusch-Gymnasium würde fünf Unterrichtsräume und zwei Differenzierungsräume benötigen. Das Platzproblem ergibt sich allerdings nicht unmittelbar mit der Umstellung. Erst im Sommer 2023 soll der zusätzliche Platz nach Angaben der Verwaltung erforderlich werden. Dann nämlich kommen die ersten G 9-er in die zehnte Klasse.

Die Übernahme der Umbaukosten soll nach dem Konnexitätsprinzip erfolgen: Demnach muss das Land NRW die Kosten übernehmen, die den Kommunen durch die Umsetzung des neuen G 9-Gesetzes entstehen. Das Land soll auch den privaten Gymnasien und Schulen in freier Trägerschaft die Umbaumaßnahmen refinanzieren. Landesweit werden geschätzt etwa 1000 neue Unterrichtsräume benötigt. Ein Gutachten des NRW-Schulministeriums bemisst die einmaligen Ausbau- und Ausstattungskosten mit rund 518 Millionen Euro.

Über Platzprobleme muss sich Birgit Heinen vom erzbischöflichen Clara-Fey-Gymnasium in Bad Godesberg keine Sorgen machen. „Wir haben kein Raumproblem. Das geht anderen Schulen anders“, sagt die Schulleiterin. Im Mai vergangenen Jahres konnte an dem Gymnasium ein Erweiterungsbau eingeweiht werden. Auf 1300 Quadratmetern sind dort Fachräume für Naturwissenschaften und den Sprachunterricht sowie eine Aufenthaltsmöglichkeit und eine Bibliothek entstanden.

Es fehlen junge Lehrer

Wie viele zusätzliche Lehrer das Land künftig einstellen muss, hängt ebenfalls von der Stundentafel ab. Mehr Lehrkräfte werden unmittelbar nach der Umstellung allerdings in Bonn nicht gebraucht. Zunächst ist sogar eher das Gegenteil der Fall: Durch das reduzierte Unterrichtspensum in der Unterstufe kommen die Schulen sogar mit weniger Lehrkräften zurecht. Das Schulministerium geht davon aus, dass in der „Endausbauphase“, also zu dem Zeitpunkt, ab dem ein 13. Jahrgang an den Schulen sein wird, weitere 2200 Lehrer in ganz NRW benötigt werden.

Schon jetzt werde laut Drescher allerdings deutlich, dass junge Lehrer in den sogenannten MINT-Fächern, dem Naturwissenschaftszweig, fehlen würden. Mit einer groß angelegten Kampagne unter dem Motto „Schlau machen – Lehrer werden“ soll dem Mangel an Pädagogen in NRW entgegengewirkt werden.

Im Vergleich zum Wechsel auf das G8-Modell im Jahr 2005, hätten die Schulen nun vergleichsweise viel Zeit, sagt Heinen. „Es ist eigentlich gut gemacht.“ Das Godesberger Gymnasium hatte die Rückkehr zu G 9 bereits früh bekanntgegeben, auch auf der Internetseite wird die Umstellung groß angekündigt. Die Reaktionen der Eltern und Schüler „waren bisher völlig friedlich“, berichtet Heinen. „Die Eltern sind immer zufrieden, wenn sie Planungssicherheit haben.“ Ein verkürztes Abitur ist auch weiterhin am Clara-Fey-Gymnasium möglich, beispielsweise durch das Überspringen einer Klasse. Auch am Ernst-Kalkuhl-Gymnasium ist die Entscheidung von Eltern und Schüler positiv aufgenommen worden. „Die Eltern freuen sich“, weiß Drescher. Es gebe natürlich immer Schüler, die trotzdem gerne das Abitur bereits nach acht Jahren machen würden.