GA-Serie: Bonn International Von Westafrika aus im Bonner Karneval aktiv

Serie | Bad Godesberg · Sabine Gürtner pendelt für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zwischen Bad Godesberg und Niamey im Niger. Von Westafrika aus ist sie im Bonner Karneval aktiv.

 Sabine Gürtler genießt bei ihren Heimatbesuchen in Bad Godesberg den entspannten Kaffee in der Bad Godesberger Bahnhofsstraße.

Sabine Gürtler genießt bei ihren Heimatbesuchen in Bad Godesberg den entspannten Kaffee in der Bad Godesberger Bahnhofsstraße.

Foto: Martin Wein

Ein morgendlicher Milchkaffee auf der Bahnhofsstraße in Bad Godesberg: Für Sabine Gürtner ist das ein Augenblick der Freiheit. „Hier ist alles so überschaubar und geordnet“, sagt die 59-Jährige nach einem leichten Stoßseufzer, „für meinen Geschmack fast schon zu grün“. An ihrer Arbeitsstelle rund 4200 Kilometer fast genau nach Süden sieht es anders aus: „Da kann ich nicht einfach auf die Straße gehen oder ein Taxi rufen. Das wäre zu gefährlich“, erzählt Gürtner.

„Wo sollte ich bei 47 Grad Celsius auch hingehen? Es gibt weder Bürgersteige noch Geschäfte. Und alles ist voller Sand.“ Gürtner muss lachen. So negativ sei das gar nicht gemeint, ergänzt die Politologin. Lachend sagt sie: „Dafür werde ich fast jedes Wochenende zu einer anderen Hochzeit eingeladen.“

Seit Anfang 2021 pendelt Sabine Gürtner zwischen zwei Orten, die unterschiedlicher kaum sein könnten. In Niamey, der Hauptstadt der westafrikanischen Republik Niger, leitet sie für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Projekt zur strukturbildenden Übergangshilfe. Das Land sei eine funktionierende Demokratie, in der nicht Stammesidentitäten vorherrschten. Der neue Präsident kam durch reguläre Wahlen ins Amt. Aber Islamisten, kriminelle Banden, Schmuggler und abgewiesene Arbeitsmigranten bedrohten das Land an den vielen Grenzen.

Mit einer deutschen und 36 einheimischen Kolleginnen und Kollegen bemüht sich Gürtner, dass humanitäre Hilfe nicht im Sand der Sahelzone versickert. „Das ist gerade wichtiger denn je“, sagt sie, „denn Dürre und verheerende Überschwemmungen im letzten Jahr lassen eine schlechte Ernte erwarten“. Es drohe eine Hungerkatastrophe, angeheizt noch durch die weltweite Knappheit an Getreide infolge des Ukraine-Krieges.

Mit schwierigen Arbeitsbedingungen kennt Gürtner sich aus. Schon ihre Diplomarbeit im Studium der Politikwissenschaft hat die gebürtige Münchenerin nicht der bayrischen Heimat oder im Auslandsjahr in den USA geschrieben, sondern in Kenia zu einem Thema der Entwicklungszusammenarbeit. Das Münchener Arbeitsamt wies sie anschließend auf eine freie Stelle bei den Vereinten Nationen in Brasilien hin. „Da ich Portugiesisch gelernt hatte, war ich gern gesehen“, sagt Gürtner. In Brasilia beriet sie damals die Regierung, wie Rechte indigener Minderheiten besser in der Verfassung geschützt werden könnten.

Dieses Thema brachte die Expertin Jahre später zu den Vereinten Nationen am New Yorker East River. „Sie glauben gar nicht, wie viele Freunde man mit einer Wohnung in New York plötzlich hat“, erzählt Gürtner. Auch ihren Mann lernte sie hier kennen. Ein Sohn kam zur Welt.

Weil der Mann zum Statistischen Bundesamt nach Bonn wechselte, kam auch Sabine Gürtner im Jahr 2000 nach Bad Godesberg. Hier wurde sie für die Welthungerhilfe tätig, übernahm später für das Familienministerium ein Projekt zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in den neuen EU-Staaten in Osteuropa. 2010 wechselte sie zur damals fusionierten GIZ und war eine der ersten Führungskräfte am neuen Standort Bonn.

Das Büro in Bonn war Gürtner aber auf Dauer nicht genug. „Ich möchte wissen, wofür wir uns einsetzen“, sagt sie. Während die Familie samt Hund in Bad Godesberg blieb, übernahm sie ein Projektbüro im Nahen Osten zur Stärkung kommunalpolitischer Strukturen in Palästina, im Libanon und in Jordanien.

„Die syrische Flüchtlingskrise deutete sich schon an. Das Umfeld war sehr schwierig“, berichtet sie. Besuche im Gaza-Streifen waren nur mit Genehmigung der Hisbollah möglich, ebenso in Teilen des Libanon. „Aber man macht auch viele Erfahrungen und trifft hoch engagierte Leute, die man sonst nie kennenlernen würde.“

Im Niger sei das nun genauso. „Für meine Mitarbeiter ist es ein Zeichen der Wertschätzung, dass ich ihren Alltag mit ihnen teile und das Projekt nicht aus Europa fernsteuere“, erklärt Gürtner. Jeden Mittag werde zusammen gegessen. Die Nigerer litten genauso unter der Hitze wie wir Europäer. „Überhaupt lernt man, dass wir Menschen alle gleich denken. Uns treiben alle dieselben Dinge an.“

Wenn Sabine Gürtner alle zwei Monate mit einer Air-France-Maschine über Paris für ein paar Tage zurück nach Bad Godesberg kommt, sieht sie sich stets auch als Botschafterin für die Menschen im Niger. Sie sagt: „Die sind alle wahnsinnig fleißig und bemüht. Wenn man sie erlebt hat, würde man nie wieder Lebensmittel wegwerfen.“

Aber auch in Bonn, wo Gürtner den GIZ-Standort mit aufgebaut hat, gefällt ihr die Internationalität. In der benachbarten Doppelhaushälfte wohne eine Kanadierin mit einem Äthiopier zusammen, die beide bei den Vereinten Nationen tätig seien, erzählt sie. „Auch mein Freundeskreis ist ganz bunt mit Menschen aus Südafrika, Peru und dem Rheinland.“

Als Schriftführerin organisiert Gürtner von Niamey die international besetzte Karnevalsgesellschaft UN Funken e.V. „Die brauchten jemanden, der Deutsch spricht und mit dem Vereinsrecht klarkommt.“ Hätte Corona dem Karneval nicht auch in diesem Jahr arge Fesseln angelegt, wäre Gürtner eigens für den Rosenmontag nach Bonn gekommen.

München vermisst sie dagegen gar nicht mehr. Selbst ihr Sohn ist nach dem dortigen Bachelor-Studium in Chemie nach Bonn zurückgekehrt. Nur dass man im Rhein nicht schwimmen könne, anders als in der Isar, das sei schon ein echtes Manko. Und apropos Fluss fällt ihr noch ein: Auch der Niger-Fluss sei nicht zu verachten. An seinen Ufern lägen fruchtbare Gemüsebeete. „Da kann man tatsächlich fast genauso schön spazieren, wie an der Rheinpromenade.“

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