Therapie mit Hunden in der Geriatrie Sanfte Helfer auf vier Pfoten

BONN · Maja hat die Ruhe weg. Sie kommt in den Raum, schaut sich kurz um und geht langsam und lautlos auf die 86-Jährige Annegret K. zu. Gerade eben hatte die Patientin des Elisabeth-Krankenhauses in der Bonner Südstadt erzählt, dass sie seit ihrer Kindheit große Angst vor Hunden hat.

 Auf Neudeutsch eine Win-win-Situation: Der Niño genießt die einfühlsame Fellpflege, und Franz M. erinnert sich an die Zeit, als er selbst noch Hunde hatte.

Auf Neudeutsch eine Win-win-Situation: Der Niño genießt die einfühlsame Fellpflege, und Franz M. erinnert sich an die Zeit, als er selbst noch Hunde hatte.

Foto: Repro: GA

"Ich war vielleicht 13 Jahre alt, als einer an mir hochgesprungen ist", erläutert sie Susanne Schattulat, der ausgebildeten Krankenschwester mit einer Weiterbildung in Tiergestützter Therapie. Jetzt - kaum fünf Minuten später - streichelt die 86-Jährige die vierjährige Maja und kann nicht genug davon bekommen, das weiche Fell der Golden-Retriever-Hündin immer wieder zu berühren.

"Nehmen Sie mal die Bürste", fordert Schattulat die Patientin auf und animiert sie zu einer ersten motorischen Übung. Nach einem ersten angstvollen Blick und kurzem Zögern nimmt Annegret K. die Bürste und kämmt das Fell. "Ist das nicht ein tolles Erlebnis", fragt Schattulat die 86-Jährige. "Das wird mir zu Hause niemand glauben", lacht Annegret K. und fühlt sich sichtbar wohl dabei. Ein zufriedenes Lächeln breitet sich langsam auf ihrem Gesicht aus.

Währenddessen hat sich der einjährige Niño bereits mit Franz M. bekannt gemacht. Der 83-Jährige weiß, wie man sich bei einem Hund einschmeichelt. Mit beiden Händen streichelt er dem Tier zunächst über den Kopf und krault ihn dann ausgiebig unter dem Kinn. "Nah, Sie kennen sich aber bestens aus", beobachtet Schattulat Hund und Herrn.

"Ich hatte immer Schäferhunde", öffnet sich Franz M. allmählich. Bisher hatte er in seinem Sessel gesessen, teilnahmslos und starr in den Raum geblickt. Jetzt beginnt er ganz langsam zu erzählen. "Morgens nach dem Aufstehen bin ich sofort mit ihnen rausgegangen, nach der Arbeit waren die Hunde wieder die Ersten, um die ich mich gekümmert habe", erinnert sich der Patient der Tagesklinik plötzlich ganz genau an seine Vergangenheit und erzählt immer weiter. Von seinem Beruf und von seiner Familie.

Genau das will das Team aus Ärzten und Ergotherapeuten zusammen mit Schattulat erreichen: Die Patienten sollen ihre Schmerzen, Behinderungen, Krankheiten, Entbehrungen und ihre Traurigkeit vergessen und sich wieder an die vielen schönen Begebenheiten aus ihrem Leben erinnern. Deshalb bietet das Gemeinschaftskrankenhaus Bonn seit gut einem halben Jahr als einzige Einrichtung in der Stadt eine Hundetherapie in der Geriatrie an.

In der Altersmedizinischen Abteilung des Krankenhauses werden Menschen mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen behandelt: Von internistischen Problemen wie bei Annegret K., die gerade eine schwere Lungenentzündung überwunden hat, über neurologische, geronto-psychiatrische Behandlungen bei Depressionen oder Demenz bis hin orthopädischen Behandlungen nach Stürzen.

Neben der optimalen medizinischen Versorgung bietet das Gemeinschaftskrankenhaus verschiedene Therapien an, um die Pflegebedürftigkeit der Patienten hinauszuzögern. "Mit der Hundetherapie haben wir eine ideale Möglichkeit gefunden, einen Zugang zu Menschen zu finden, die sich uns auf anderem Weg nicht geöffnet haben", erklärt Geraldine de Stefano, Leiterin der Ergotherapie im Haus. Hunde seien für viele ein Teil ihres aktiven Lebens gewesen.

"Sie erinnern an früher, an eine schöne Zeit und lenken den Blick weg von Alter und Krankheit." Sie hat in der Vergangenheit bereits mehrmals die Erfahrung gemacht, dass auch sehr demente Patienten nach der Hundetherapie erstmals wieder erzählen und Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen. "Selbst Schmerzpatienten vergessen für eine kurze Zeit ihre Probleme und bücken sich beispielsweise, um den Hunden eine Belohnung zu geben", so die Ergotherapeutin.

Die positive Wirkung von Maja und Niño kann Dr. Alexander Grawe, Oberarzt der Geriatrie im Haus St. Elisabeth, nur bestätigen. "Wir sehen, wie die Patienten mit den Hunden umgehen und wie sie auf die Tiere reagieren. Plötzlich erzählen sie von ihren Problemen, und so kommen wir an die Ursache für chronische Schmerzen oder Depressionen heran und können hier mit der Behandlung ansetzen."

Hunde im Krankenhaus - ist das überhaupt erlaubt? "Eigentlich nicht", sagt Geraldine de Stefano. "Die Therapeutin kommt mit ihren Tieren über den hinteren Eingang hinein und wir stellen sicher, dass kein Patient an Infektionen leidet oder beispielsweise offene Wunden hat."

Maja, Niño und Franz K. sind nach einer Dreiviertelstunde geschafft. "Nicht nur für die Senioren, für meine Hunde ist die Arbeit ebenfalls sehr anstrengend", erzählt Schattulat. Auch wenn ihre Tiere zwei Jahre für diesen "Job" ausgebildet wurden und das Apportieren des Balls scheinbar als Spiel betrachten, ist das für die beiden Golden Retriever Schwerstarbeit.

"Die Tiere sind hochkonzentriert dabei, müssen sich immer auf neue Menschen einstellen und in einer Umgebung mit fremden Gerüchen arbeiten", erklärt die Therapeutin und greift in ihre Hosentasche. Dieses Leckerli haben sich die beiden redlich verdient. Während sie noch kauen, winkt Franz K. Maja wie einem guten Freund hinterher. "Tschüss, bis nächste Woche", ruft er Hunden und Frauchen hinterher. "Ich freue mich schon darauf, euch wiederzusehen."

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