Kommentar zum Wahlergebnis in Bonn Schon lange mit am Ruder

Meinung | BONN · Die Auswirkungen der EU-Wahl auf Bonn sind komplex. Nach der Stimmenauszählung in der Stadt wird sich wohl so manche Partei ihre Gedanken machen (müssen), meint GA-Redakteur Rüdiger Franz.

Dieses Ergebnis lässt wenig Interpretationsspielraum. Bonn ist und bleibt eine Hochburg der Grünen, die mit dem jüngsten Ergebnis noch ausgebaut wurde. Der Verweis, es sei „nur eine Europawahl“ gewesen, würde in dieser Situation wirken wie ein hilfloser Ablenkungsversuch. Wohlweislich haben ihn sich die Wahlverlierer denn auch gespart.

Was für sie zum Menetekel taugt, hat aus Sicht der Grünen das Zeug zum Leuchtturm. In 15 Monaten ist Kommunalwahl, und zumindest inoffiziell dürfte der Wahlkampf mit dem vergangenen Wochenende eröffnet sein.

Union und Sozialdemokraten als ehemalige Volksparteien im Sinkflug, kraftstrotzende Grüne, die kleinere Konkurrenz irgendwo zwischen Gut und Böse – natürlich spiegelt sich auch in Bonn der übergeordnete Trend wider, in dem sich vor allem die Ökopartei über zusätzlichen Rückenwind freuen darf. Auch hier haben CDU und SPD den Grünen inhaltlich in vielem nachgeeifert, bloß wählen die Menschen lieber das Original als die Kopie.

Die Bonner Grünen werden sich an die Frage gewöhnen müssen, was sie mit ihrer Kraft anfangen wollen, und wer nun ihr OB-Kandidat wird. Sollten sie einen Kandidaten finden, der volksnah, kompetent, pragmatisch und repräsentabel erscheint und womöglich noch ein, zwei unkonventionelle Ideen (Stichwort ÖPNV) mitbringt – es könnte ungemütlich werden für den Amtsinhaber von den Christdemokraten. Der SPD stünde zur Vermeidung einer weiteren Blamage hingegen die Option offen, von vornherein ganz auf einen Kandidaten zu verzichten.

Aus dem Amtsbonus, der üblicherweise dem bereits Regierenden einen Vorteil verschafft, könnte in Bonn leicht ein Amtsmalus werden, zumal eine spürbare Kehrtwende seit dem letzten Wechsel an der Verwaltungsspitze ausblieb.

Stattdessen drohen derzeit gleich mehrere Großprojekte im Chaos zu versinken, während der verschleppte Umbau der Bürgerdienste oder diverse Bummelbaustellen der Verwaltung weiter anhaften wie ein Kaugummi am Schuh – von Damoklesschwertern wie der anstehenden Stadthaussanierung ganz zu schweigen.

Diese Stadt, so wirkt es, hat einen Wackelkontakt. Ob allerdings ausgerechnet die Grünen und ihr möglicher Spitzenkandidat der geborene Reparaturdienst wären, dürften sich die Wähler noch einmal überlegen: Denn in den letzten 20 Jahren entschieden die Grünen im Rat meist kräftig mit. So auch jetzt: Was die aktuelle Jamaika-Koalition mit ihrer Mehrheit tut oder lässt und mancher im Eifer des Gefechts dann gern „der Stadt“ zurechnet, all das ist bereits (auch) grüne Bonner Politik.

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