In der Schuldenfalle - Teil 1 Schulden und Finanzen - Bonn muss sparen

BONN · Die Stadt Bonn debattiert in den kommenden Wochen intensiv in ihren verschiedenen Ausschüssen und Parteien den Doppelhaushalt 2013/14. CDU und Grüne in der Bundesstadt sind davon überzeugt, dass es im Haushaltsentwurf 2013/14 mehr als 20 Millionen Euro Sparpotenzial gibt.

Schuldenuhren faszinieren und erschrecken zugleich. Keine jedoch so wie die der USA: www.usdebtclock.org/. Überall flackert und flimmert es, rattern Unterzählwerke zwischen Studenten-, Gesundheits-, Kriegs-, Kredit- und Rentnerkosten, die alle das Gesamtschuldenrad antreiben. In einer Sekunde wachsen die Schulden der USA um umgerechnet rund 28.021 Euro, Deutschlands um 2 279 Euro und Bonns um etwa 2,50 Euro. Steigende Zinsen beschleunigen solche Uhren, weshalb sie gerade in Zeitlupe rotieren. Die Schuldenmacher sitzen überall auf der Welt. Wenn die Ansprüche höher als die Einnahmen sind, helfen Schulden aus der Klemme. Sie sind auch "das einzige, was man ohne Geld machen kann", so das Bonmot des österreichischen Politikers Karl Pisa (1912).

In Bonn beherrscht man "das Leben über seine Verhältnisse" ebenfalls. Wer die Planzahlen der Stadt für 2013/14 liest, dem kommt unweigerlich die Titanic-Metapher in den Sinn: Auf dem Oberdeck läuft die Party zwischen "Alle-sind-für-das-Festspielhaus" und zugleich den Erhalt des Theaters (Oper/ Schauspiel), und eine Ratsmehrheit votiert dafür, dass ein Bezirksbürgermeister weiterhin zwei Sekretärinnen finanziert bekommt, während unter Wasser bereits ein Eisberg - ein ungemütliches Zahlenwerk - für Unruhe sorgt.

Doch eine prosperierende Kommune wie Bonn kann nicht untergehen, sondern nur ihre Hoheit über die Finanzen verlieren - an die Kommunalaufsicht. Im Fall eines Nothaushalts müsste die Stadtspitze, so hat Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) in seiner jüngsten Halbzeitbilanz den realen Teufel an die Wand gemalt, "ständig nach Köln reisen, um zu fragen, ob wir denn dieses oder jenes machen dürfen - bis hin zur Anschaffung eines neuen Faxgerätes".

Doch was genau ist ein Nothaushalt? Welcher Bürger versteht den Unterschied zwischen einem "echten" und einem "fiktiven" Haushaltsausgleich? Wer nicht mehr ausgibt als er einnimmt, erzielt eine schwarze Null und hat ein ausgeglichenes Konto. Weil der Stadt selten die Einnahmen reichen, spricht ihr Kämmerer Professor Ludger Sander von einem "strukturellen Defizit". Trotz eines Lebens auf Pump meldet Bonn dann einen "fiktiv" ausgeglichenen und damit - aus Sicht der Kommunalaufsicht - genehmigungsfähigen Haushalt. Das Gesetz erlaubt nicht nur solcherlei Sprachwirrwarr, sondern schreibt es sogar ausdrücklich vor. Nur wenn es eine Stadt zu bunt treibt (siehe Artikel "Fiktiv ausgeglichen"), muss der Regierungspräsident einschreiten. Dann entscheidet eine Stadt nicht mehr über Festspielhäuser oder Kongresszentren und noch nicht einmal mehr über ein Faxgerät.

Deshalb ist der Nothaushalt für jeden Kommunalpolitiker, der über die Anordnung von Parkbänken zwischen Brüser Berg, Oberkassel und Plittersdorf hinaus etwas gestalten will, das gruseligste aller Szenarien. Gleichwohl möchte keine Partei vom Wähler als eine wahrgenommen werden, die ihm etwas wegnimmt. Zum Beispiel ein Schwimmbad oder eine nächtliche Busverbindung. Das ist in Bonn auch schwierig, denn die Stadt hat überdurchschnittlich viele gebildete Bürger.

Jede Interessengruppe weiß genau, was sie zu tun hat, wenn sie von einem Sparschritt "ins Eingemachte" betroffen ist. Probate Vorneweg-Verteidigung: Leserbriefe schreiben. Kaum kursiert ein Sparvorschlag, gilt der, der ihn auszusprechen gewagt hat, als - je nachdem - unsozial, Centfuchser, Kulturbanause oder als Mensch "ohne Herz für Kinder". Das musste auch Polit-Newcomer Nimptsch erfahren: Allein seinen Vorschlag, eine Opernfusion zwischen Köln und Bonn auf Sparpotenziale zu prüfen, empfand die Kulturgemeinde als Skandal.

Außerdem: Irgendwie haben es "die von der Stadt" immer noch geschafft, das Blatt um fünf vor zwölf am Regierungspräsidenten vorbei zu wenden. Sei es durch ein bisschen Sparen, das niemandem weh tat und Kraftproben mit Lobbygruppen vermied; sei es durch die Verlängerung des Sanierungsstaus, indem man diese Schule oder das eigene Stadthaus nicht renoviert; sei es durch den weiteren Eigenkapitalverzehr, der für heute lebende Wähler völlig schmerzfrei verläuft.

Zuweilen liest der Bürger, was Bonn für eine Boomstadt ist. Am nächsten Tag hört er etwas von einer neuen "Giftliste", weil eisern gespart werden soll, und zwischendurch wird er per Internet - "Bonn packt's an" - aufgefordert, Sparvorschläge zu machen oder wofür oder wogegen er ist. Mancher erklärt, er sei bereit, die städtische Grünfläche vor der Haustüre zu pflegen, um sein Scherflein zur Rettung Bonns beizutragen.

Gleichzeitig wird er entmutigt, wenn er die Berichte von Rechnungsprüfern liest: Die Stadt ließ bei der Aufklärung des Debakels um das World Conference Center Bonn (WCCB) Akten nicht von einem ihrer etwa 5 000 Beschäftigten kopieren, sondern von "Experten" zum Stundensatz von 225 Euro. Plus 19 Prozent Mehrwertsteuer, plus Reisekosten. 20 917,46 Euro aus der Stadtkasse.

Konzentriert man sich auf den hunderte Seiten umfassenden Haushalt, reicht in 2013 schon ein Wimpernschlag, um Bonn in den Nothaushalt zu stoßen. Kürzlich fehlten nur noch 869.627 Euro dazu, wenig später nur noch rund 500.000 - in einem Eine-Milliarde-Haushalt. So eng war es nie. Vielleicht heißt es morgen: Gestern standen wir am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter. Vielleicht, denn ein Haushaltsplan ist ein Berg von Fragezeichen. Gewerbesteuer? Zinsentwicklung? Wird das WCCB (noch) teurer als gedacht? Schlüsselzuweisungen des Landes? Oder die "unknown unknowns", die heute noch nicht bekannten Katastrophen, die bereits unterwegs sind?

Ein akkurat aussehender Haushaltsplan täuscht über die Verlässlichkeit seines Inhalts hinweg. Vorgestern betrug das Bonner Defizit für 2013 noch 63,9 Millionen, gestern nur noch 58,8 Millionen, und dann kommt die CDU/Grünen-Mehrheitsfraktion mit der Botschaft "alles übertrieben" um die Ecke. Akribisch hat die Koalition die 17 Produktgruppen mit ihren rund 150 Unterkonten durchforstet und die veranschlagten Werte für 2013/14 mit denen der Vorjahre verglichen.

Da gebe es "jede Menge Luft". Mindestens 20 Millionen. Der Kämmerer habe vielfach Ausgaben zu hoch und Einnahmen zu gering angesetzt. Das befeuert Spekulationen. Treibt Sander mit Zahlen seine eigene Politik? Vielleicht, weil er dem Stadtrat kein rigoroses Sparen zutraut? Andererseits sagt der Grünen-Politiker Peter Finger: "Folgt man den Verwaltungszahlen, sind wir aktuell schon im Nothaushalt", denn für 2013 fehlten schon heute neun Millionen Euro für einen fiktiv ausgeglichenen Haushalt. Demnach gäbe es gar keinen Puffer mehr.

Wie dem auch sei: Wenn Politiker selbst in die Bücher schauen, 5 000 Sportler bei strömendem Regen protestieren und der Bürger Bund Bonn (BBB) beantragt, der Stadtrat möge "freiwillig ein Konzept zur Haushaltskonsolidierung" beschließen, dann scheint die Lage unabhängig vom exakten Zahlenstand mehr als ernst zu sein. Das kann nicht wirklich überraschen. Seit Jahren gehören "dramatisch" und "besorgniserregend" zu den wichtigsten Vokabeln des Stadtkämmerers. Ein Rückblick:

  • Ende 2005: Die Stadt verbucht ein Plus von 21,6 Millionen. Bonns Pro-Kopf-Verschuldung ist mit 2.734 Euro trotzdem die vierthöchste in Nordrhein-Westfalen (NRW).
  • Juni 2006: OB Bärbel Dieckmann jubelt, weil ein großer Gewerbesteuerzahler 309 Millionen extra überweist. Trotz ihres Appells, diese "historische Chance" zu nutzen, um die Finanzen in Ordnung zu bringen, schmieden Politiker Pläne: Haus der Bildung, Festspielhaus, zweites Gründerzentrum, das Frankenbad umbauen.
  • 7. April 2007: Zu einer Versammlung in Sachen Stadtfinanzen erscheinen 0,035 Prozent aller Einwohner. Exakt 112 Bonnerinnen und Bonner. Die Bewerbung der Bürgerinformations-Veranstaltung kostete 116 Euro - für jeden erschienenen Bürger.
  • 17. April 2007: Der Doppelhaushalt 2008/09 ist "ausgeglichen" - so heißt es. Der Rat stimmt zu. CDU und SPD sind dafür, der Rest dagegen. Das Minus für 2008/09 beträgt 225 Millionen. Die Stadt beleiht ihr Eigenkapital. Das beträgt damals noch 1,8 Milliarden Euro. SPD-Fraktionschef Wilfried Klein sagt: "Der Etat gewährleistet weiter ein gutes Leben in Bonn und bietet keinen Grund zur Verzagtheit." Hans-Ulrich Lang (BBB) kritisiert: "Wir leben seit langem über unsere Verhältnisse." Sander warnt, wenn das so weitergehe, sei "das Eigenkapital Bonns in 30 Jahren aufgezehrt". Der Haushalt 2008/09 ist beschlossen - und "fiktiv ausgeglichen", so die beschönigende Formulierung.
  • Mai 2007: Bonn muss rund 300 Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen. Sander verhängt eine Haushaltssperre. Es müsse nicht mehr betont werden, "wie dramatisch die Finanzlage Bonns ist". Die Rückzahlung führt zu einem höheren städtischen Dispo, über den auch Gehälter bezahlt werden. Die Zinsen sind von 3,0 auf 4,6 Prozent gestiegen. Die Stadt zahlt jetzt allein für Zinsen 130.000 Euro - täglich.
  • 18. Dezember 2007: Sander fordert vom Stadtrat eine "Reduzierung des Leistungsangebots". Ende 2007 addieren sich Kassenkredite und "normale" Verschuldung auf 3 493 Euro pro Bürger bei 316 416 Einwohnern. Doch nichts passiert. 2007 ist ein Staatsbankrott in Griechenland noch nicht einmal ein Gerücht. In den Köpfen herrscht die Annahme, dass eine Stadt ebensowenig pleite gehen kann wie ein Bundesland oder der Bund.
  • November 2008: Die Stadt Bonn meldet mit 1,3 Milliarden einen neuen Schuldenrekord.
  • März 2009: "Es kracht an allen Ecken und Kanten", sagt Finger (Grüne). Die Kämmerei hat die Neuverschuldung und damit den Eigenkapital-Verzehr für die nächsten Jahre skizziert: 83 Millionen für 2010, 90 Millionen für 2011, 75 Millionen für 2012. Zu diesem Zeitpunkt wissen Bürger und Stadtrat noch nicht, dass mit dem WCCB ein Millionengrab heranreift.
  • 18. Februar 2010: "Täglich muss Bonn rund 250 000 Euro für Zinsen und Tilgung ihrer Kredite aufbringen", meldet das Presseamt. Ende 2009 habe "jeder Bonner beziehungsweise jede Bonnerin mit 3 868 Euro in der Kreide" gestanden, obwohl die Einwohnerzahl weiter gestiegen ist.
  • 16. Dezember 2010: "Die Haushaltssituation der Stadt ist dramatisch, der Schuldenstand besorgniserregend", appelliert Sander an den Rat, nun endlich mit dem Sparen anzufangen. Im Rahmen der globalen Finanzkrise habe "sich die Situation weiter verschärft". 2009 hatte die Stadt für 2012 eine Netto-Neuverschuldung von 75 Millionen angenommen. Am Ende sind es über 200 Millionen geworden. Das WCCB ist als "Millionen-Meteorit" auf den Haushalt niedergesaust.
  • 4. September 2012: Sander hält seine Rede zum Haushaltsentwurf 2013/14: "Wir haben es nochmals geschafft, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen, wenn auch noch gerade so im rechtlichen Rahmen. Das ist nur möglich, indem das Eigenkapital der Stadt Bonn in dramatischer Weise reduziert wird." 15 Minuten danach: "Die Genehmigungsfähigkeit (des Haushalts durch die Bezirksregierung/Anm. d. Red.) wird derzeit in erster Linie damit erreicht, dass alle Bürger der Stadt mit erheblichen zusätzlichen Steuern und Abgaben belastet werden." Dann sagt er den Familienvater-Satz: "Jeder ausgegebene Euro muss auch wieder eingenommen werden."

Niemanden erschreckt der schmale Sicherheitspuffer von 500.000 Euro. Allein ein strenger Winter mit mehr Streusalzbedarf - und "Wuff", weg ist der Puffer. 0,25 Prozent höhere Zinsen? Wuff. Eine unverhofft unaufschiebbare Großreparatur in einer Schule? Wuff. Eine unvermeidliche Personalie mit Abfindungsbedarf? Wuff. Wenn es viermal nicht "wufft", könnte die Stadt es schaffen und weiter selbst über ein neues Faxgerät entscheiden.

Fast ist man als Bonner geneigt, den Griechen zu danken. Der Zins für Kassenkredite ist in der Eurokrise zum zweifelhaften Retter geworden und von 4,6 (2007) auf 1,25 Prozent gefallen. Das macht bei einem 460- Millionen-Dispo eine Ersparnis von 42 219 Euro - pro Tag. Manchmal jubelt die Stadt auch, wenn ein Dispozins-Angebot für 0,25 Prozent vorliegt. Dann wird sofort zugeschlagen. Aber die historische Zinstiefstphase wird nicht anhalten. Ein Zinsanstieg in einem warmen Winter wäre jedenfalls verheerender als eine Streusalz-Sonderbelastung bei fortdauerndem Niedrigzins.

Wollen die Kommunalpolitiker überhaupt sparen und so vielleicht ihre Wiederwahl gefährden? Sanders Rede spiegelt, dass solche Gedanken kursieren - nach dem Motto, soll doch der Regierungspräsident die "Grausamkeiten" an den Wählern begehen. Dann könnte man sagen: "Der war's." Schließlich waren "es" auch Land und Bund, die den Kommunen immer neue Aufgaben aufbürdeten. Kita-Ausbauplan, die ganzen Soziallasten, Asylbewerbergesetz und und und. Nur wird dabei nicht die Regel "Wer bestellt, zahlt die Zeche" eingehalten.

Bonns Ausgaben sind zu 90 Prozent fremdbestimmt. Eben Pflichtleistungen. Nur 10 Prozent, 100 Millionen pro Jahr, können über freiwillige Leistungen verteilt werden. Der Kämmerer hält nichts von einem Gang in den Nothaushalt. Sander bringt das Beispiel Fußballclub, "der erst absteigen müsse, um dann nach einem Jahr der Erneuerung wieder gestärkt in der Ersten Liga anzukommen. Dass diese Strategie oft nicht aufgeht, zeigt die Entwicklung vieler Traditionsvereine, die nie wieder in die Erste Liga zurückgekehrt sind." Sander hat Kommunen im Nothaushalt beobachtet und spricht von "Abwärtsspiralen". Schließlich würden dann auch die Kredite teurer.

Unterdessen rattert Bonns Schuldenuhr weiter auf der Homepage des BBB. Verschuldung pro Bürger: 4554 Euro. Das war gestern. Schulden sind etwas, was sich von ganz allein vermehrt.

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