Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Experte erklärt, warum unsere Wälder in Not sind

Bonn · Angesichts der Klimakrise haben sich die Probleme der Wälder dramatisch zugespitzt. Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald ist in Sorge. Bundesgeschäftsführer Christoph Rullmann spricht im Interview über die Probleme.

Abiturienten des Beueler Kardinal-Frings-Gymnasiums bei einer Baumpflanzaktion im Ennert.

Abiturienten des Beueler Kardinal-Frings-Gymnasiums bei einer Baumpflanzaktion im Ennert.

Foto: Stefan Knopp

Herr Rullmann, 40 Prozent der Bäume in Deutschland sind laut der Waldzustandserhebung 2021 geschädigt. Es wären noch mehr, hätte man seit 2018 nicht 245 Millionen Festmeter Kalamitätsholz aus den Wäldern geholt. Macht Ihnen Ihr Job eigentlich noch Spaß?

Christoph Rullmann: Dem Wald geht es schlecht. Er hat sehr viele Probleme. Deshalb freuen wir uns als Naturschutzverband, wenn wir unseren Beitrag zu deren Lösung leisten können. Insofern macht mir der Job trotz allem noch Spaß.

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald wurde 1947 gegründet, um den Raubbau an den Wäldern durch die Alliierten zu stoppen. In den 1980er Jahren geriet der Saure Regen in den Fokus. Wo sehen Sie heute die größte Bedrohung für die Wälder?

Rullmann: Bei der Gründung der SDW 1947 als eine der ersten Bürgerinitiativen waren zehn Prozent der deutschen Wälder durch die Folgen des Krieges und der Reparationshiebe verloren. Heute sind die Verluste ungleich größer. Die Hauptursache der großen Waldschäden durch Dürre, Stürme und die Ausbreitung des Borkenkäfers in den vergangenen Jahren ist die menschengemachte Klimaveränderung. Hier sind jeder und jede gefragt, gegenzusteuern. Alles, was wir zum Klimaschutz unternehmen, hilft deshalb auch dem Wald.

Vom Waldsterben hört man nichts mehr, aber der Zustand der Wälder war eigentlich nie schlechter. Haben wir beim Schutz der Wälder versagt?

Rullmann: Die Rahmenbedingungen für das Waldwachstum sind in der Tat schlecht. Trotzdem hat sich viel in der Gestaltung der Wälder positiv entwickelt. Sie sind älter, vielfältiger und gestufter geworden. Das wird allerdings von den Folgen der Klimaveränderung überlagert.

Wie beurteilen Sie den Zustand der Wälder in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis?

Rullmann: Im Siebengebirge und im Kottenforst sind zahlreiche Waldflächen der Dürre zum Opfer gefallen. Die Verluste halten sich zum Glück aber insgesamt noch in Grenzen. Die Frage ist, wie sich die Bestände weiterhin entwickeln. Im Harz oder im Sauerland sind dagegen endlose Weiten ohne einen einzigen Baum entstanden.

Der Wald wird immer noch romantisiert. Ein Großteil der deutschen Wälder besteht aus Monokulturen für die Holzwirtschaft . Wäre es nicht ehrlicher, hier von Holzplantagen zu sprechen? Können wir so weitermachen?

 Christoph Rullmann ist Bundesgeschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e. V. in Bonn.

Christoph Rullmann ist Bundesgeschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e. V. in Bonn.

Foto: Martin Wein

Rullmann: Viele der jetzt abgestorbenen Wälder waren tatsächlich fichtendominierte Reinbestände. Diese Bäume wurden vor 75 oder 70 Jahren in einem anderen Kontext gepflanzt. Damals im Wiederaufbau brauchte man sehr viel Bauholz. Heute haben wir andere Bedürfnisse von Biodiversität bis zur Klimastabilität der Wälder. Aber auch viele Laubbäume und insbesondere die Buche leiden unter dem Klimawandel. Deshalb gilt es, vielfältige Mischwälder zu fördern, denn niemand weiß, welche Baumarten im Klimawandel bestehen.

Trotzdem werden die meisten Wälder doch weiter holzwirtschaftlich genutzt.

Rullmann: Deutschland verfolgt einen anderen Ansatz als Länder mit intensiver Plantagenforstwirtschaft. Dort werden die Bäume mehrmals im Jahr gespritzt und nach wenigen Jahren geerntet. Wir dagegen nutzen die gesamte Fläche, kombinieren dies aber mit Naturschutzelementen wie natürlichen Inseln und größerer Artendurchmischung. So haben wir es geschafft, dass noch immer ein Drittel unserer Landesfläche bewaldet ist. Aber wir müssen noch mehr in Biodiversität investieren. Mit dem neuen Fördermodul zur Honorierung von Ökosystemleistungen wurde hier gerade ein Meilenstein erreicht.

Die SDW sieht sich als Naturschutzverband, will aber alle Nutzergruppen der Wälder gleichmäßig ansprechen. Wie funktioniert das?

Rullmann: Wir haben eine Moderatorenfunktion. Einerseits sind wir ein klassischer Naturschutzverband mit 350 Ortsgruppen, die Bachläufe renaturieren, Nistkästen aufhängen oder sich um Wälder kümmern. Auf der anderen Seite arbeiten wir mit vielen Nutzerverbänden, etwa der Forstwirtschaft oder der Landesforstverwaltungen, zusammen und bemühen uns um gegenseitiges Verständnis.

Sie organisieren unter anderem viele Pflanzaktionen. Manche Biologen sind davon nicht so begeistert, weil viele Setzlinge gar nicht anwachsen. Müsste man die Wälder nicht stärker sich selbst überlassen?

Rullmann: Wir pflanzen nur auf Flächen, auf denen bislang Reinbestände wuchsen. Dort muss man bisweilen andere Arten einbringen, um den nötigen Waldumbau zu beschleunigen. Außerdem haben viele unserer Pflanzungen mit Bürgerinnen und Bürgern auch einen pädagogischen Nutzen. Viele möchten einen Beitrag für den Wald leisten.

Ist das kein Greenwashing?

Rullmann: In unserem Pflanzkodex steht deshalb, dass neu gepflanzte Bäume frühestens nach 70 Jahren wieder gefällt werden dürfen und mindestens drei Baumarten im Endbestand sind. Außerdem pflanzen wir nur dort, wo nachhaltig bewirtschaftet wird.

Im Artenschutzabkommen von Montreal wurde jüngst beschlossen, 30 Prozent der Erde der Natur zu überlassen. Davon ist Deutschland mit 6,4 Prozent Flächenanteil (2019) weit entfernt. Welche Forderungen haben Sie an die Bundesregierung?

Rullmann: Offensichtlich muss noch viel passieren. In Deutschland geht es vielmehr darum, die ökologische Wertigkeit der Wirtschaftswälder zu steigern, anstatt immer mehr und größere Schutzgebiete auszuweisen. Ein höherer Anteil von Totholz, eine vielfältigere Mischung der Baumarten, mehr Habitatbäume mit Löchern, beispielsweise für Spechte oder mit großen Astgabeln, in denen sich seltene Moose und Pilze ansiedeln können, sind alles Maßnahmen, die auf großer Fläche eine positive Wirkung für den Artenschutz haben. Wir wollen mehr Natur überall.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort