Interview mit Dr. Joachim Wölfle Schwerer Kampf gegen die Kilos

Adipositas - krankhaftes Übergewicht - ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter. Das Zentrum für Kinderheilkunde an der Universität Bonn hat zusammen mit dem Kinderneurologischen Zentrum, dem Förderverein Psychomotorik und der Familienbildungsstätte das Programm "Durch Dick und Dünn" zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen entwickelt.

 Professor Dr. Joachim Wölfle ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Pädiatrie an der Uniklinik Bonn.

Professor Dr. Joachim Wölfle ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Pädiatrie an der Uniklinik Bonn.

Für den General-Anzeiger sprach Roman Ahrens mit dem Mediziner Joachim Wölfle.

Wie ist die Resonanz auf die Kurse "Durch Dick und Dünn"?
Joachim Wölfle: In der alltäglichen Arbeit sehe ich viele sehr stark übergewichtige Kinder. Wir können aber weder diesen noch anderen Kindern und deren Familien Druck machen, teilzunehmen. Die Motivation muss schon vorhanden sein. Man muss sich auch im Klaren darüber sein, dass der Kurs, zusätzlich zum Schulaufwand, viel Zeit in Anspruch nimmt. Bloße Lippenbekenntnisse sind daher wenig hilfreich.

Ist denn der Trend so, dass immer mehr Kinder schwer übergewichtig sind?
Wöfle: Da muss man etwas differenzieren: In Bonn gibt es sogar eine leicht rückläufige Tendenz, was das Problem Übergewicht im Kindesalter angeht. Vereinfacht ausgedrückt lässt sich aber sagen, dass die ohnehin schon Übergewichtigen heutzutage noch schwerer werden.

Liegt das nur an falscher Ernährung oder welche anderen Gründe gibt es dafür noch?
Wölfle: Durch ungesunde Snacks nehmen viele Kinder viel mehr Energie zu sich als sie verbrauchen. Zu wenig Bewegung und zu hoher Medienkonsum tragen ebenfalls ihren Teil zum Übergewicht bei. Durch die Ganztagsschulen bleibt zwar auch weniger Zeit für Sport, aber Bewegung kann auch schon auf dem Schulweg geschehen, wenn man mal das Rad statt den Bus nimmt. Leider ist in vielen Familien auch eine Esskultur verloren gegangen, das Essen wird nicht mehr gemeinsam eingenommen. Die Probleme sind also vielschichtig, daher auch unser differenziertes Angebot.

Wie sieht das konkret aus?
Wölfle: Die Teilnehmer können von Kinderärzten, die die Schulung "Adipöse Kinder im Rheinland" durchlaufen haben, zu uns überwiesen werden. Für den Erfolg sind dann viele Komponenten wichtig, besonders eine Beteiligung der Eltern. Kaum ein Kind schafft es abzunehmen, während der Rest der Familie Pommes mit Schnitzel isst. Daher findet knapp die Hälfte aller Termine mit den Eltern zusammen statt. Für die Motivation ist es auch wichtig, dass wir möglichst praxisnah arbeiten. Die Teilnehmer gehen beispielsweise auch zusammen einkaufen und kochen, um das Erlernte in die Tat umzusetzen.

Wie wird den Kindern noch geholfen?
Wölfle: Zusätzlich haben wir Bewegungsexperten im Team, die den Kindern Körperwahrnehmung näherbringen. Eine andere bedeutende Säule ist die psychologische Betreuung. Hänseleien und Ausgrenzungen erfahren viele übergewichtige Kinder täglich. Wir wollen ihr Selbstwertgefühl aufbauen und zugleich die Disziplin stärken, das funktioniert in der Gruppe mit Leidensgenossen besonders gut.

Was kann man tun, damit es gar nicht erst zu einer Adipositas kommt?
Wölfle: Auch hier spielen die Eltern die größte Rolle: Das Vorleben mit guter Ernährung und regelmäßigem Sport ist enorm wichtig. Manch einer erkennt beim Kochen im Kurs die für uns normalsten Obst- und Gemüsesorten nicht, weil es zu Hause immer nur Fertigessen gibt. Außerdem sollte man die Vorsorge beim Kinderarzt wahrnehmen, da der betreuende Arzt ein beginnendes Problem früher erkennt als die Betroffenen selbst. Helfen können auch die Kindergärten der Stadt mit ihren Bewegungsimpulsen, die Kinder zum Spielen im Freien animieren.

Falls dann eine Adipositas vorliegt, was sind die häufigsten Folgeerkrankungen?
Wölfle: Einerseits die bekannten Schädigungen von Gelenken, Bluthochdruck und Störungen des Stoffwechsels mit Diabetes. Darüber hinaus aber immer mehr auch psychische Erkrankungen und soziale Auffälligkeiten, zum Beispiel aufgrund der angesprochenen Hänseleien.

Wie sieht es mit dem Fortbestand der Kurse aus?
Wölfle: Mit jedem Kurs lernen auch wir als Experten hinzu und verbessern das Angebot dadurch. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Leider mangelt es uns an Möglichkeiten, Sporthallen zu nutzen, um weitere Gruppen aufzubauen.

Zur Person

Professor Dr. Joachim Wölfle ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemeine Pädiatrie an der Uniklinik Bonn. Er leitet die Schwerpunkte ambulante Pädiatrie, Kinderendokrinologie und Diabetologie. Das ambulante Therapieprogramm gegen Adipositas "Durch Dick und Dünn" betreut er bereits zum vierten Mal.

Info

Hinweise für Betroffene und Interessierte im Netz unter www.adipositas-uni-bonn.de

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