Schauspieler Stern Sechs Jahre im Straflager Bautzen

Bonn · Jochen Stern lag erst seit zweieinhalb Stunden im Bett, als die Uniformierten um 4.30 Uhr in der Früh an seine Haustür hämmerten. Bis spät in der Nacht hatte der junge Grundschullehrer aus Frankfurt an der Oder Diktate korrigiert.

Jochen Stern mit Geschichtslehrer Ansgar Neu und Schülern der Liebfrauenschule

Foto: MLH

„Das Thema war die Vogelwelt“, erinnert sich der heute 87-Jährige. Die Sowjets stürmten durch die Wohnung, riefen immer wieder „Gde pistolet? Wo ist die Pistole?“, und als ihnen ein Werk Trotzkis in die Hände fällt, zerrten sie ihn ohne Erklärung in einen Wagen. Sechs Jahre verbrachte er im Straflager Bautzen.

Der Wahl-Bonner Stern sprach jetzt vor Abiturientinnen der Liebfrauenschule über diese Zeit – nicht ohne vorher einen Blick auf die Geschichte und das System Russlands zu werfen und die der DDR übergestülpte Rechtsstruktur zu erklären.

„Können Sie mich gut hören?“, fragt er zu Beginn des Vortrags und schaut in die Reihen gespannter Gesichter. „Wenn das nämlich nicht der Fall ist, wäre das berufsschädigend.“ Der Theater- und Filmschauspieler ist unter anderem bekannt aus diversen Tatort-Folgen und der Ost-West-Komödie „Good Bye, Lenin“.

„Beginnen wir mit einem Gedankenspiel“, sagte Stern. „Sie stehen wie jeden Morgen auf, frühstücken, machen sich auf den Weg zur Schule. Ein Auto bleibt auf Ihrer Höhe stehen, zwei Männer vom sowjetischen Geheimdienst bedeuten Ihnen einzusteigen, es gebe da ein Problem mit Ihnen im Einwohnermeldeamt. Sie setzen sich in den Wagen und kommen sechs Jahre nicht nach Hause, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein.“

„Was habe ich bloß ausgefressen?“, habe er sich 19 lange Tage gefragt, in denen niemand mit ihm sprach. Dann, im Verhörzimmer, sei ihm vorgeworfen worden, einer Untergrundorganisation anzugehören, die den Widerstand plante. In Wahrheit war der Grund für seine Inhaftierung seine Mitgliedschaft in der Liberaldemokratischen Partei Deutschlands. Er wird zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt, durch eine Amnestie nach Stalins Tod 1954 jedoch vorzeitig freigelassen. „Meine Angehörigen wussten die ersten 24 Monate nicht, wo ich bin“, sagt er auf die Frage einer Schülerin, wie seine Eltern die Situation denn aufgenommen hätten.

Ob er denn wegen der Geschehnisse Wut empfinde, jemandem die Schuld geben wolle? „Nein, ich bin mit den verantwortlichen Offizieren ja auch nie zusammengekommen. Und selbst wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, hätte ich auf Anschuldigungen auch keine Lust gehabt.“ Er fühle sich verpflichtet, als Zeitzeuge über seine Biografie zu berichten. „Das, was ich erlebt habe, wird nicht mehr ungeschehen.“ Vanessa und Magdalena, beide 17, beeindruckten Sterns Erzählungen. „Wir haben die Thematik zwar im Unterricht behandelt, aber das ist natürlich was ganz anderes, persönliche Eindrücke vermittelt zu bekommen.“