85-Jährige tötete seine demenzkranke Ehefrau Selbst der Staatsanwalt plädiert auf Bewährung

BONN · Der Prozess um einen 85-Jährigen, der mit seiner demenzkranken Frau mit dem Auto gegen einen Baum gefahren ist, lässt keinen der Prozessbeteiligten kalt: Am zweiten Verhandlungstag forderten am Donnerstag sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger die Verhängung einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen Totschlags.

"Dass ich einmal wegen eines vollendeten Tötungsdelikts eine Bewährungsstrafe fordere, hätte ich mir vor der Hauptverhandlung nicht wirklich vorstellen können", sagte Oberstaatsanwalt Robin Faßbender. Dieser Fall könne jedoch mit den Mitteln des Strafrechts "nicht ansatzweise gerecht abgehandelt werden".

Am Morgen des 9. November vergangenen Jahres hatte der Beueler seiner Frau erzählt, dass er mit ihr einen Ausflug zur Tochter machen wollte. Auf der Sankt Augustiner Straße (B 56) zwischen Beuel und Hangelar war er dann frontal gegen einen Baum gefahren, um sein Leben und das seiner Frau zu beenden. Er überlebte den Aufprall jedoch, seine Frau starb zwei Tage später im Krankenhaus.

Im Prozess stellte sich heraus, dass die Eheleute bis zuletzt stundenlang händchenhaltend auf dem Sofa in ihrer Wohnung im Haus des Sohnes saßen. Der selber an mehreren Krankheiten leidende und jetzt auch noch an Krebs erkrankte Mann pflegte seine Frau anscheinend aufopferungsvoll.

Der 85-Jährige war nach eigenen Angaben in der Nacht auf den 9. November in einen "Tunnel" geraten, da er Angst davor hatte, zu erblinden und möglicherweise selbst dement zu werden - was bedeutet hätte, dass er sich nicht mehr um seine geliebte Frau hätte kümmern können. Erkennbar gewesen sei die Tat für niemanden. "Für das Umfeld gab es keine Hinweise", sagte Faßbender.

Einen zunächst angeklagten heimtückischen Mord sah der Oberstaatsanwalt am Ende der Beweisaufnahme nicht mehr. Von einer "feindlichen Willensrichtung" dem Opfer gegenüber könne keine Rede sein. "Es ging nie um ihn. Es ging auch bei der Tat nicht um ihn", so Faßbender. Der Ankläger ging dem psychiatrischen Gutachter folgend von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Zudem liege ein minderschwerer Fall vor. Verteidiger Sebastian Holbeck sah dies genauso. Auch er zitierte die Schwiegertochter seines Mandanten, die berichtet hatte, dass sich die Eheleute "beneidenswert gut verstanden" hätten. Holbeck geht davon aus, dass der fehlgeschlagene Versuch des 85-Jährigen, während der Autofahrt noch mit seiner Tochter zu telefonieren, ein "letzter Hilferuf" gewesen sei, der ihn doch noch von der Tat hätte abbringen können. Aufgrund technischer Probleme mit der Freisprecheinrichtung war es nicht mehr zu diesem Telefonat gekommen.

Als der 85-Jährige sein letztes Wort sprach, zückten nicht nur die Angehörigen ihre Taschentücher. Weinend schluchzte der Angeklagte: "Ich möchte mich noch einmal entschuldigen. Jetzt sind wir beide allein - und das wollte ich nicht." Das Urteil soll kommende Woche verkündet werden.

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