Interview mit Professor Judith Sinzig Smalltalk und Alltagsituationen üben

Bonn · Am heutigen Samstag ist Welttag des Autismus. Die LVR-Klinik bietet eine Spezialambulanz für autistische Kinder und Jugendliche. Mit Chefärztin Professor Judith Sinzig sprach Ebba Hagenberg-Miliu.

 Judith Sinzig ist seit 2010 Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in der LVR-Klinik Bonn.

Judith Sinzig ist seit 2010 Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in der LVR-Klinik Bonn.

Foto: Ludger Stroeter/LVR

Was sind die sichersten Anzeichen bei Kindern?
Judith Sinzig: Ihnen fällt es schwer, Mimik, Gestik, Blickkontakt und Sprache von anderen Menschen richtig zu verstehen. Auch ritualisierte Verhaltensweisen, Sonderinteressen sowie Veränderungsängste sind wichtige Symptome.

Wann sollten Eltern mit ihren Kindern Ihre Spezialambulanz aufsuchen?
Sinzig: Grundsätzlich, wenn sie sich Sorgen hinsichtlich der Entwicklung ihres Kindes machen, insbesondere dann, wenn keine oder eine verzögerte Sprachentwicklung auftritt, das Kind wenig oder kein Interesse an anderen Kindern oder sozialen Situationen zeigt, sich sehr stark für bestimmte Themenbereiche interessiert und sich schlecht auf andere Spiele oder Themen einlassen kann.

Was sollte die Familie mitbringen?
Sinzig: Die Krankenkassenkarte, das gelbe Untersuchungsheft, Vorbefunde und, wenn das Kind bereits in eine Schule geht, die Zeugnisse. Eine Überweisung von einem niedergelassenen Arzt ist nicht notwendig. Sind die Eltern getrennt, haben aber beide das Sorgerecht, benötigen wir das schriftliche Einverständnis beider.

Sie bieten eine standardisierte Diagnostik. Was heißt das?
Sinzig: Sie umfasst autismusspezifische Fragebogenverfahren, die der Früherkennung dienen. Darüber hinaus bieten wir den derzeitigen Goldstandard in der Autismusdiagnostik an: die Beobachtungsskala für autistische Störungen (ADOS) und das Autismusdiagnostische Interview (ADI-R). Diese Standards wurden an vielen Kindern untersucht und weisen somit eine hohe Genauigkeit auf.

Welchen Kindern können Sie helfen?
Sinzig: Allen Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Das heißt konkret: Kindern im Alter von Null bis 18 Jahren, bei denen der Verdacht besteht oder die Störung bereits bekannt ist. Es kann sich hierbei auch um Kinder handeln, die zusätzlich an einer Intelligenzminderung leiden.

Wie beraten Sie Kinder und Eltern?
Sinzig: Wir klären nach der Diagnose über das Störungsbild auf oder erläutern, ob die Verhaltensauffälligkeiten, die das Kind zeigt, durch eine andere Diagnose erklärt werden können. Wir koordinieren therapeutische Schritte, geben Literaturhinweise und Adressen vom Jugendamt oder anderen Behandlungseinrichtungen und klären, ob eine Medikation sinnvoll sein kann.

Wie verläuft Ihre Gruppenpsychotherapie?
Sinzig:
Jeweils sechs bis acht Kinder oder Jugendliche treffen sich im vierzehntägigen Rhythmus für eineinhalb Stunden. Themen sind das Üben des Erkennens unterschiedlicher Emotionen in Gesichtern von Menschen, wie führe ich Smalltalk mit anderen oder wie bestelle ich etwas in einem Geschäft.

Was können Sie damit erreichen?
Sinzig: Wir können die soziale Kompetenz und das Verstehen sozialer Situationen verbessern. Kinder und Jugendliche werden darin gefördert, soziale Signale zu verstehen und diese mittels Blickkontakt, Mimik, Gestik oder auch Sprachmelodie einzusetzen. Insbesondere die Jugendlichen lernen das Störungsbild besser zu verstehen und sind häufig erleichtert zu sehen, dass es auch andere gibt, die die gleichen Schwierigkeiten haben wie sie.

Sie bieten auch Psychoedukation für Eltern?
Sinzig: Das ist eine systematische und strukturierte Vermittlung von Wissen über ein bestimmtes Störungsbild. Eltern sprechen einmal in der Woche mit viel Zeit und unter Anleitung über Symptome, besondere schulische und rechtliche Aspekte, mögliche Jugendhilfemaßnahmen, über Behandlungsmöglichkeiten und deren Wirksamkeit. Dazu werden pädagogische Umgangsweisen mit autismusspezifischen Verhaltensauffälligkeiten besprochen.

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