„36,7 Grad – dann hereinspaziert“ So lief die Abifeier am Beethoven Gymnasium in Bonn

Bonn · In einer Zeit der Einschränkungen fühlt sich die gewonnene Freiheit durch das Abi anders an. Und dann garantiert ausgerechnet die Corona-Schutzverordnung eine Abschlussparty. Eine Reportage.

 Die Abiturienten des Beethoven Gymnasiums Bonn feiern ausgelassen ihren Abschluss im Plan B. Sie haben die Eventlocation nur für sich gemietet - etwas anderes erlaubt die Corona-Schutzverordnung nicht. Foto: Jelle Hofmann

Die Abiturienten des Beethoven Gymnasiums Bonn feiern ausgelassen ihren Abschluss im Plan B. Sie haben die Eventlocation nur für sich gemietet - etwas anderes erlaubt die Corona-Schutzverordnung nicht. Foto: Jelle Hofmann

Foto: Nicolas Ottersbach

Mit einem Gottesdienst fing alles an. Eine ganze Schullaufbahn wurde eingeläutet durch die Glocken der Bonner Kreuzkirche. Nun stehe ich wieder vor der Kirche und blicke hinauf. Noch ein Gottesdienst, eine Zeugnisvergabe und eine Abiparty, dann verlassen wir das Schiff. Das ist auch das Motto unseres Gottesdienstes: „Wir verlassen das Schiff, Leinen los“.

Rund 2000 Bonner Schüler haben dieses Jahr ihr Abitur gemacht. Freya Dieckmann ist eine von 110 am Beethoven-Gymnasium. Die letzten Tage sind bestimmt von Inzidenzwerten. „Die Schüler haben jeden Tag geguckt, was durch Lockerungen wieder erlaubt ist“, erzählt Philipp Dierker. Er unterrichtet den Deutsch LK seit drei Jahren. „Die eine Hälfte war unbeschwert, die andere geprägt durch die Pandemie.“ Bis zuletzt seien die Schüler angespannt gewesen.

Jede Familie hat ihren Platz

 Der Schulhof hat sich in eine Open Air-Aula verwandelt samt Bühne, Blumen und Luftballons. Bevor die Zeugnisvergabe starten kann, muss ich mir unbedingt eine Abizeitung bei den Tischtennisplatten holen. Darin stehen nicht nur die Berichte über jeden einzelnen Leistungskurs, sondern auch ein Steckbrief zu jeder Schülerin und jedem Schüler. Und natürlich die Rankings! Es ist das Poesiealbum der Stufe.

Jede Familie hat ihren Platz. Die Positionen der Stühle wurden vorher mit Kreide auf den Boden gemalt. Wann das letzte mal so viele Menschen im Hof waren? „Beim Herbstfest 2019“, erzählt Dierker. Er schätzt die Masse auf rund 400 Menschen. Eigentlich ziemlich wenig, wenn man bedenkt, dass das Gymnasium etwa 1000 Schüler hat.

Die Big Band swingt uns in diese doch etwas andere Zeugnisvergabe ein. Ein Negativtest oder eine vollständige Impfung sind Pflicht, die Maske darf am Platz abgenommen werden. Wir fühlen uns sicher und genießen die Unbeschwertheit, die vor einigen Monaten noch nicht denkbar war. Die Erleichterung, die dieser Sommeranfang gebracht hat, ist auch in den Reden deutlich hörbar. Es wird an unsere Lernphase vor den Prüfungen erinnert, die wir in Zoom-Schalten verbracht haben. Dennoch sticht aus jeder Rede Optimismus hervor. Wir haben es geschafft, uns durch diese Zeit zu navigieren und hatten auch schöne Momente, so wie die Motto-Woche. Da haben wir in den Pausen gegrillt, uns verkleidet und auf dem Schulhof Macarena getanzt.

Die Tore sind offen, auch neugierige Passanten schauen ab und zu rein. Für Dierker ist die Alternative an der frischen Luft – sonst trifft man sich in der Aula – eine gelungene Sache, die mal wieder „spontan und mit viel Enthusiasmus“ organisiert wurde.

Korb mit Zeugnissen

Der Korb mit den Zeugnissen wird auf die Bühne gebracht und plötzlich wird es ganz still. Ich bin aufgeregt. Zwar kenne ich meine Abschlussnote schon, aber die Übergabe ist ein einmaliger Moment. Wir werden einzeln aufgerufen und laufen unter Applaus zur Bühne, wo uns auch eine Rose und eine Glücksmünze überreicht werden. Vorher konnte jeder ein Musikstück einreichen, das abgespielt wird. So ist man auch nach 100 Leuten immer noch gespannt, welches Lied sich die oder der Nächste wohl ausgesucht hat.

Am häufigsten laufen Avicii und – wie soll es auch anders sein – Beethoven. Manch einer vergisst in der Aufregung, die Maske beim Gang durch die Grüppchen aufzusetzen. Macht aber nichts.

 Ich halte das Zeugnis in den Händen. Zwölf Jahre Arbeit und Klausuren, zwölf Jahre voller Erlebnisse und verschiedener Menschen, zwölf Jahre Schule. Arm in Arm stellen wir uns für Fotos auf, den Rhein im Hintergrund. Das scheint beinahe normal und dadurch etwas irreal, aber auch sehr befreiend. Erinnerungen an Zeiten vor Corona kommen vor allem am folgenden Abend auf. Zwar haben wir nicht wie sonst üblich einen Abiball, dafür aber eine Abiparty.

Ein ganzer Club für die Stufe

Im Bonner Club Plan B hat sich Betreiber Thommi Hoffmann auf die Abiturienten vorbereitet. Musik, Licht, Alkohol und gute Türsteher sind gefragt, die Party ist komplett privat. Nur Schüler und geimpfte Lehrer sind erlaubt. Möglich macht das eine Ausnahme in der Corona-Schutzverordnung. Die Schüler vom Beethoven-Gymnasium haben den Passus entdeckt und sind damit zur Stadt gegangen, nachdem sie die Party zunächst untersagt hatte. „Alle anderen Feiern sind verboten“, erzählt Hoffmann frustriert, aber glücklich, wieder öffnen zu dürfen. Drei Tage hintereinander feiern Abiturienten unterschiedlicher Schulen bei ihm. „Wir sind hier eine Familie, das ganze Personal hat sich gefreut, sich wiederzusehen.“

Vor dem Club werden unsere Coronatests kontrolliert und die Körpertemperatur gemessen. 36,7 Grad - dann hereinspaziert! In der Garderobe deponieren wir unsere Abipullis. Zwischendurch wird die Musik ausgeblendet und ein Video abgespielt. Gebannt gucken wir zu, wie wir auf der Leinwand in Lachen ausbrechen oder die Frage „Was nimmst du aus der Schule mit?“ mit einem ironisch-nüchternem „Nix“ beantworten.

Schüler unter sich

Man ist unter sich, und das ist auch gut so. „Wenn die Eltern wie beim Abiball dabei sind, muss man sich schon irgendwie benehmen“, erzählt eine Schülerin. Die Stimmung ist ungehemmt, im besten Sinne. Es ist ein Abend der Möglichkeiten, in jeder Hinsicht. Der Boden ist rutschig durch die verschütteten Drinks, die Luft ist trotz Viren-Filtergerät feucht und stickig. Ausgelassenes Tanzen wechselt sich im Halbstunden-Takt mit tiefgründig-redundanten Gesprächen ab. Mal auf dem Sofa, mal unter dem roten Schein der Straßenampel. Bis der Türsteher mahnt, leiser zu sein oder das Glas drinnen zu lassen. DJ Kevin Gierlach, besser bekannt als Gustavo Paletti, erfreut sich an dieser „Menschlichkeit“. „Dass man sich wieder umarmt und keine Angst hat“, erzählt der 28-Jährige. Die Pandemie habe die Leute entfremdet. „Es ist, als wäre die Zeit eingefroren gewesen. Da, wo wir aufgehört haben, machen wir jetzt weiter. Es platzt aus den Menschen heraus.“

 Wir wissen nicht, wohin wir alle treiben werden, was aus uns werden wird, mit wem wir Kontakt halten werden, wie wir einmal auf unsere Schulzeit zurückblicken werden. Sicher ist, dass die letzten zwei Jahre unserer Oberstufe nicht so waren wie immer. Wir sind der Corona-Jahrgang. Am Ende steht ein bestandenes Abitur und eine Zeit voller gemeisterter Hürden. Als ich gegen 3 Uhr den Club verlasse, sagt mir der Türsteher vertrauensvoll, ich solle meinen Weg gehen und mich nicht von meinen Zielen abbringen lassen. Etwas pathetisch, aber doch sehr wahr: Jetzt betreten wir einen neuen Lebensweg.

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