Im Wohnzimmer der Wildschweine So verläuft eine Drückjagd im Kottenforst

Kottenforst · Bei der Drückjagd im Kottenforst schließen sich die Reviere zusammen, damit das Wild nicht unnötig aufgescheucht wird. Zum Schuss freigegeben ist zur Bestandssicherung nur eine Auswahl. Die Begegnung mit Wildschweinen kann gefährlich werden.

 Bei der Treibjagd im Kottenforst sind auch zehn Jagdterrier im Einsatz.

Bei der Treibjagd im Kottenforst sind auch zehn Jagdterrier im Einsatz.

Foto: Benjamin Westhoff

„Nicht in die Schusslinie geraten“, rät der Ehemann am frühen Morgen zum Abschied und schickt ein „Waidmanns Heil!“ hinterher. Das ist der Moment, in dem Zweifel aufkommen, ob die Teilnahme an einer Drückjagd im Kottenforst eine gute Idee ist. Jagdunfälle sind selten, aber nicht auszuschließen. Der kürzeste Jägerwitz schießt durch den Kopf: Treffen sich zwei Jäger. Haha, nicht lustig.

Die knapp 25 Mann, die Jagdleiter Alexander Graf Westerholt zusammengetrommelt hat, sind erfahrene Jäger. Nach der obligatorischen Kontrolle der Jagdscheine folgt eine kurze Unterweisung. „Ihr habt das schon Tausend Mal gehört“, sagt er, aber Sicherheit geht vor. Eine Gruppe besetzt die Stände, die andere ist zum Treiben eingeteilt. Punkt neun Uhr geht es los. Geschossen werden darf erst, wenn alle Jäger ihre Positionen auf den Hochständen eingenommen und mit den jeweiligen Nachbarn Kontakt aufgenommen haben. Aufs Korn genommen werden nur bestimmte Tiere aus dem Bestand an Rehwild, Sauen, Damwild - und der Fuchs.

Wie der Vorsitzende der Jägerschaft Bonn, Lutz Schorn, erläutert, tun sich die Kottenforst-Reviere einmal im Jahr zur gemeinsamen Drückjagd zusammen. Das Wild soll nur einmal aufgescheucht und ansonsten in Ruhe gelassen werden.  Außerdem ist der Jagderfolg größer, denn die Tiere können nicht im Nachbarrevier in Deckung gehen. Aber warum muss überhaupt geschossen werden? Anfeindungen sind für Jäger Alltag - „das arme Bambi“.  Schorn ist wichtig zu erklären: „Für einen gesunden Wald muss ein Gleichgewicht geschaffen werden.“

Waldschäden durch zu viel Wild

Wenn das Wild sich ungehindert vermehren würde, hätten junge Bäume keine Chance, denn die Triebe werden ratzeputz abgeknabbert. Dass Wildschweine in die Stadt spazieren, liegt auch daran, dass es zu viele gibt. Natürlicher Feind ist der Wolf. „Den haben wir hier nicht.“ Also: „Der Jäger hegt und pflegt sein Revier, dazu muss er auch Tiere töten.“  

Einzige Frau in der Reihe ist die 37-jährige Lisa; sie geht als Treiberin. Nach ihrer Beobachtung hat sich die Jägerei in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Eine Gesellschaft für sich es schon lange nicht mehr. Naturverbundenheit hat ihr den Anstoß gegeben, Jägerin zu werden. Und sie sehe sich längst nicht mehr allein auf weiter Flur. „Immer mehr Frauen machen den Jagdschein.“ Auch die Treiber haben eine klare Ansage: Auf Sicht gehen und lärmen. „Wir betreten sozusagen das Wohnzimmer der Wildschweine“, sagt sie. Über die Eindringlinge sind sie nicht erfreut.

Die befestigten Wege ausnahmsweise verlassen zu dürfen und querwaldein zu stiefeln, verliert für ein Greenhorn schnell seinen Reiz. Das Wohnzimmer der Wildschweine liegt im steilen Gelände, überzogen von dornigen Brombeeren und schlüpfrigen Matschlöchern. Schnell geht die Puste aus, die Brombeerdornen zerren an der Kleidung, Wasser steht in den Schuhen. Sorgen, dass jemand zu Hause sein könnte, müsse man sich eigentlich nicht machen, beruhigt Lisa.

Hundemeute besteht nur aus Mädels

Vor den lärmenden Treibern läuft eine Hundemeute voraus. Zehn Jagdterrier – alles Mädels! Die Saumeute vom Leiderbachtal trägt Schutzweste und Sender. Dass Wildschweine aufscheuchen ihre Lieblingsbeschäftigung ist, merkt man sofort. Schon in den Boxen jaulen, winseln, fiepen Luna, Wilma und die anderen aufgeregt. Endlich losgelassen wuseln sie ins Gestrüpp. Der Hundeführer gibt knappe Anweisungen. Am Gebell erkennt er, welches Tier die Meute gerade aufgespürt hat.

 Der Jäger Hanjo Wimmeroth stellt sein Gewehr für die Jagd ein.

Der Jäger Hanjo Wimmeroth stellt sein Gewehr für die Jagd ein.

Foto: Benjamin Westhoff

In einem besonders dornigen, matschigen Wildschweinwohnzimmer herrscht Aufregung. Ein Tier ist nicht nach vorn geflüchtet, sondern stellt sich offenbar den Hunden. Das ist gefährlich. Denn im Kampf würden sie unterliegen. Doch aufgeben gehört nicht zu den Tugenden eines Terriers. In den Brombeeren wogt es hin und her. Treiberin Lisa ist plötzlich sehr aufmerksam. Kaum hat sie angeordnet, hinter einem Baum Schutz zu suchen, passiert eine riesige Sau in weniger als fünf Metern Entfernung. Ein Wildschwein so nah – das ist nicht gut. Das Tier hält kurz innen, wendet den Kopf mit den mächtigen Hauern hin und her. Jetzt bloß ruhig verhalten, auch wenn das Herz bis zum Hals klopft. Dann ist die Gefahr vorbei, das Wildschwein dreht ab. In der Luft bleibt der typische Geruch nach Maggi. Vom nahegelegen Hochstand fällt ein Schuss. Lisa hat große Sympathie für Wildschweine. „Sie sind intelligent, sensibel, sozial und oftmals schlauer als die Jäger.“ Wie das? „Sie kennen ihren Wald bis in die letzte Wurzel.“

Punkt 13 Uhr gibt es das Signal für „Hahn in Ruh“ – Ende der Jagd. Nun folgt das sogenannte Schüsseltreiben, soll heißen, es gibt etwas zu essen. Metzgermeister Bäumker weidet die erlegten Tiere vor der Besichtigung der Strecke aus: vier Sauen, ein Reh, drei Füchse.  Und: eine versaute Hose, dreckige Schuhe, müde Knochen.

Wir wollen wissen, was Sie denken: Der General-Anzeiger arbeitet dazu mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Wie die repräsentativen Umfragen funktionieren und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Nicht zu beneiden
Kommentar zu 2G auf Bonner Weihnachtsmarkt Nicht zu beneiden