Erziehungshilfe in Bonn Stadt gibt 43 Millionen Euro aus

BONN · Die Familie ist in der Siedlung bekannt: Die vier Kinder laufen zu jeder Tageszeit unbeaufsichtigt draußen herum und sind auch bei Frost nicht warm angezogen. Die junge Mutter, im sozialen Brennpunkt aufgewachsen, hat keine Arbeit und steht seit der vierten Schwangerschaft alleine da. Kindergarten und Schule bemängeln, dass die Kinder unpünktlich und hungrig kommen.

Die Frau ist am Ende ihrer Möglichkeiten, will sich aber nicht von ihren Kindern trennen. Und auch das Jugendamt hält die Bindung der Familienmitglieder untereinander für sehr stark, will die Fremdunterbringung vermeiden. Es müssen aber, das versteht auch die Mutter, Erziehungshilfen her: in diesem Fall ein Intensivtraining der Evangelischen Jugendhilfe Godesheim.

"Das gewährleistet in einer durch uns bereitgestellten Wohnung die Versorgung der Kinder: Unterkunft, Aufsicht, Finanzen, Schul- und Kindergartenbesuch, angemessene Kleidung", erläutert Kerstin Rüttgeroth vom Godesheim. Das Intensivtraining erzielt die ersten Früchte. Mit allen Familienmitgliedern seien Ziele für die nächsten Wochen und Monate erarbeitet worden. "Mit der Zeit erweitern sich die Fähigkeiten aller Familienmitglieder, Aufgaben zu übernehmen", so Rüttgeroth.

Was sie aus der Praxis erzählt, ist Alltag in der Jugendhilfe. 2014 musste die Stadt dafür insgesamt 43,2 Millionen Euro zahlen. Aktuell werden 1329 Empfängern jährlich 1600 Hilfen zur Erziehung gewährt, darunter auch die besonders teure Unterbringung in stationären Einrichtungen.

Das Erfreuliche: Die Jugendhilfekosten wachsen in Bonn nicht mehr so stark wie früher. Denn war von 2012 auf 2013 noch eine Steigerungsrate von 6,8 Prozent zu verzeichnen, ist diese von 2013 auf 2014 um 1,4 Prozent zurückgegangen. Das führt die Verwaltung auf erfolgreiches Fach- und Finanzcontrolling zurück.

"Mit gezielten Maßnahmen wird daraufhin gewirkt, dass jedes Kind, jeder Jugendlicher und jeder junge Erwachsene genau die Hilfeleistung erhält, die tatsächlich benötigt wird", erläutert der stellvertretende Stadtsprecher Marc Hofmann. Aber eben auch nicht mehr, als nötig erscheint.

Im Einzelnen bedeute das, dass die Hilfedaten, also die Fallzahl- und Kostenentwicklung, die Entwicklung der Verweildauer in den Hilfen sowie der Altersstrukturen, regelmäßig kontrolliert würden. Gebe es nicht nachvollziehbare Daten, würden Gegenmaßnahmen ergriffen, um Fehlentwicklung zu vermeiden. Einsparpotenziale bestünden auch darin, Maßnahmen zu befristen. Effektives Fachcontrolling bedeute: "Die Hilfeleistung jedes einzelnen Falls wird auf einen zeitlichen Rahmen festgelegt, in dem die Probleme einer Familie bearbeitet und die Ressourcen der Familienmitglieder aktiviert werden können. Gibt es nach Ablauf weiter Hilfebedarf, wird dieser nach genauer Überprüfung gewährt", so Hoffmann.

Nach Ablauf von fast drei Testjahren sei nun ersichtlich, dass die Zahl der Hilfen mit einer höheren Verweildauer als der zeitlichen Vorgabe rückläufig sei. "Diese Steuerungsmaßnahme hat konsequenterweise auch zu einem Rückgang der Kosten geführt."

Dass bei der Bewertung des Ressourcenrahmens häufig "ein Interessenkonflikt zwischen dem ebenfalls gesetzlich verankerten Wunsch- und Wahlrecht der Hilfeempfänger und der fachlichen Bewertung" entstehe, gibt das Presseamt zu. Für die Evangelische Jugendhilfe Godesheim, also für einen der größten freien Träger in Bonn, besteht jedoch kein Grund zur Kritik an der Stadt. Ihr Leiter und Geschäftsführer Klaus Graf lobt die Verwaltung als fairen Partner.

Im Vergleich zu anderen Kommunen zahle Bonn die Erziehungshilfen auch immer in vollem Umfang. Das sei nicht selbstverständlich. Die alleinerziehende Mutter mit ihren vier Kindern wird es freuen: Sie alle können sich dank des Familienintensivtrainings weiter fit für den Alltag nach dem Förderprogramm machen.

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