Leben mit dem Virus Stadtmuseum zeigt Fotos aus dem Corona-Alltag der Bonner

Bonn · In der Ausstellung, die am Mittwoch eröffnet hat, sind mehr als 240 Fotos zu sehen. Der GA hat acht Fotos ausgewählt und erzählt die Geschichte dahinter.

 Lydia Pege hat Ernie und Bert auf dem Balkon in Szene gesetzt

Lydia Pege hat Ernie und Bert auf dem Balkon in Szene gesetzt

Foto: Lydia Pege

Im Wolfgang-Paul-Hörsaal drängen sich auch schon mal bis zu 400 Studenten. „Der ist normalerweise brechend voll“, sagt Walter Honerbach. Er leitet die Elektronik-Werkstatt am Physikalischen Institut und baut, wartet oder repariert Geräte. Er fotografierte, wie die Dozentin Elisabeth Soergel in einem komplett leeren Hörsaal eine Veranstaltung für Erstsemester aufzeichnete, um sie später ins Netz zu stellen. „Ich glaube, es ging um den Drall eines Balls“, sagt er.

 Uni ohne Studenten: Dozentin Elisabeth Soergel zeichnet ihre Vorlesung auf und stellt sie ins Netz.

Uni ohne Studenten: Dozentin Elisabeth Soergel zeichnet ihre Vorlesung auf und stellt sie ins Netz.

Foto: Walter Honerbach

Alles fing damit an, dass Lydia Page Ernie einen Mundschutz verpasste und ihn fotografierte. Ihre Freunde wollten mehr. So entstand eine Serie mit den Figuren aus der Sesamstraße. „Die Kreativität hat mir geholfen, durch die Krise zu kommen“, sagt Page. Dabei nahm sie sich auch den Begriff „systemrelevant“ vor. „Das Wort fand ich so furchtbar“, sagt sie. Deswegen griff sie es etwas ironisch auf. Systemrelevanter sei nur noch das Krümelmonster.

 Die Fotos von Lydia Pege belegen: Ernie und Bert sind systemrelevant. Wichtiger sei nur noch das Krümelmonster, findet sie. 

Die Fotos von Lydia Pege belegen: Ernie und Bert sind systemrelevant. Wichtiger sei nur noch das Krümelmonster, findet sie. 

Foto: Lydia Pege

Wenn Birgitt Hanner-Schmitz unterwegs ist, hat sie eigentlich immer ihre Leica dabei. In den letzten Wochen blieb die Kamera allerdings öfter zu Hause. „Die Fotografie ist für mich ein ganz wichtiger Lebensinhalt“, sagt die 65-Jährige. „Aber auf Maskenfotos hatte ich keine Lust.“

Das Foto von dem geschlossenen Café an der Rheinpromenade hat sie Ende April aufgenommen, als  sie in Königswinter mit ihrem Mann spazieren ging. Es ist ihr einziges aus der Korona-Zeit. „Ich finde, es ist ein Sinnbild für den Stillstand in der derzeitigen Situation“, sagt sie. „Für viele Gastronomen bedeutet sie ja Angst um die Existenz.“

Ihre erste Kamera hat Hanner-Schmitz zur Kommunion bekommen. Seitdem gehört die Fotografie zu ihrem Leben. Auch auf ihren Reisen fotografiert die pensionierte Sozialpädagogin viel – zuletzt war sie in Frankreich, Spanien und Portugal. Dass sie gerade nicht wegkann, macht ihr in der Coronakrise besonders zu schaffen. Im Januar war sie noch in Venedig. „Es kommt mir vor, als wäre das Jahre her“, sagt Hanner-Schmitz. Und auch fehlen ihr die Kontakte zu Freunden und Familie. Auffällig findet sie, wie schnell sich die Menschen anpassen, sich „soziale Kontakte aufs Internet oder Telefon verlagern“.

Die Coronakrise sei wie ein Brennglas, das viele Missstände deutlich macht. Sie zeige aber auch, wie rücksichtsvoll viele Menschen sein können.

 Nichts los am Rhein: Gestapelte Stühle, wo sonst Gäste im Café sitzen und die Sonne genießen.   

Nichts los am Rhein: Gestapelte Stühle, wo sonst Gäste im Café sitzen und die Sonne genießen.   

Foto: Birgitt Hanner-Schmitz

Wenn ihre Oma fragt, was sie macht, dann sagt Kim Raaf, dass sie Ärztin ist. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit, denn Kim Raaf ist auch Fotografin. Die 27-Jährige arbeitet in einem Bonner Krankenhaus, Fotografie ist ihr Hobby. Angefangen hat sie damit in der Pubertät. „Das hat mir immer geholfen, meine Sorgen kreativ zu verarbeiten.“ Die hat sie sich gemacht, als sie im Fernsehen sah, wie das Virus in Italien wütete. „Ich habe mich gefragt: Müssen wir vielleicht Patienten ablehnen, wenn es bei uns ausbricht“, sagt sie.

Die Fotografie sei ein Kontrast zur Arbeit im Krankenhaus. Vor allem fotografiert sie auf Hochzeiten. „Die sind total schön“, sagt sie. Im Krankenhaus sieht sie eine andere Seite des Lebens. „Mich hat traurig gemacht, wie isoliert manche Patienten waren“, sagt Raaf. „Ich selbst war weniger isoliert als andere.“  Das hat sie zum Thema einer Bilderreihe gemacht, bei der sie nicht nur im Krankenhaus, sondern auch bei der Kirschblüte zu sehen ist.

Mit den Aufnahmen dort fing alles an, allerdings nicht reibungslos. Mithilfe ihrer Mitbewohnerin pustete sie einen Ball aus Plastik auf, stieg hinein und machte sich auf den Weg, um  unter den blühenden Bäumen zu fotografieren. „Als ich nach 15 Minuten ankam, war der Ball beschlagen“, erzählt sie. „Gut, dass das jetzt in der Zeitung steht“, sagt sie. „Leute, die mich gesehen haben, haben sich sicher gefragt, was ich da mache.“

 Isoliert: Ärztin und Fotografin Kim Raaf verarbeitet ihre Sorgen kreativ. Das Foto zeigt sie im Krankenhaus, in dem sie arbeitet.

Isoliert: Ärztin und Fotografin Kim Raaf verarbeitet ihre Sorgen kreativ. Das Foto zeigt sie im Krankenhaus, in dem sie arbeitet.

Foto: Kim Raaf

Ohne Luna geht die acht Jahre alte Lara nirgendwo hin. Damit die Plüsch-Giraffe vor dem Coronavirus geschützt ist, nähte Laras Oma nicht nur für die Familie Mundschutze, sondern auch für das Kuscheltier. Benannt ist Luna nach einer Giraffe aus einer Fernsehsendung. Seit etwa drei Jahren lebt sie bei der Familie Niederehe. Einmal in ihrem Leben musste sie ein Bad in einem Wäschekorb nehmen. „Ich hatte Nasenbluten. Da hat sie etwas Blut abbekommen“, sagt Lara. Klar, dass sie nicht einfach in die Waschmaschine kam, sondern ein Bad mit Shampoo nehmen durfte.

Die letzten Wochen seien nicht einfach gewesen für seine Tochter, erzählt ihr Vater, Daniel Niederehe. „Die Freunde über Wochen nicht zu sehen, geht für eine Achtjährige an die Grenze des Zumutbaren.“ Mit seiner Frau habe er Lara zu Hause bei den Aufgaben geholfen, die sie von der Schule bekam. „Für uns beide war das keine gewaltige Herausforderung“, sagt er. „Ich habe aber höchsten Respekt vor Alleinerziehenden, die in dieser Situation waren.“ Jetzt freut sich die Familie, dass die Schule wieder losgeht. Und dann steht auch noch ein Urlaub an. Zwar nicht wie geplant in Griechenland, sondern auf einem Bauernhof in der Eifel. Natürlich kommt auch Luna mit, wie immer – egal ob im Auto oder im Flugzeug. Auf dem Bauernhof gebe es zwar keine Giraffe, sagt Lara, dafür aber Kühe. Die mag sie auch.

 Tierschutz: Damit sich Giraffe Luna nicht mit dem Virus ansteckt,  bekam das Kuscheltier der acht Jahre alten Lara einen Mundschutz .

Tierschutz: Damit sich Giraffe Luna nicht mit dem Virus ansteckt,  bekam das Kuscheltier der acht Jahre alten Lara einen Mundschutz .

Foto: DANIEL NIEDEREHE

Der Mann am Gleis trägt Hut und Mantel, unter dem Arm hat er eine Packung Toilettenpapier. „Er ist ein Jedermann“, sagt Lisa-Luna Pellny, die das Foto gemacht hat. „Ich wollte zeigen, welche Auswirkungen so ein kleines Virus hatte. Wie es uns mit trivialen Problemen konfrontiert.“ Sie glaubt, dass der Kampf ums Klopapier vielen Menschen im Gedächtnis bleiben wird. „An die Bilder werden wir uns sicher mit einem Lächeln zurückerinnern“, sagt sie.

Für das Foto platzierte die 21 Jahre alte Filmstudentin ihren Vater am Gleis in Oberkassel. Die Figur, die er verkörpert, stammt aus einem anderen Foto-Projekt der beiden. Pellny fotografiert, seit sie zehn ist. „Meine erste Kamera passte in die Jackentasche“, erzählt Pellny. Film und Fotografie will sie zu ihrem Beruf machen. „Ich finde es spannend, so Geschichten zu erzählen.“

Die letzten Wochen hätten ihr künstlerisches Schaffen zum Positiven beeinflusst, sagt sie. „Die Krise macht kreativ.“ Die letzten Wochen hat sie überwiegend in Bonn verbracht, nicht in Berlin, wo sie studiert. Für ein Fotoprojekt war sie dann aber doch noch unterwegs. In Münster, Trier, Köln und anderen Städten fotografierte sie Plätze, an denen sich sonst viele Menschen aufhalten. „Leere Momente“, wie sie sagt. Die hielt sie in Schwarz und Weiß fest, nur einzelne Menschen ließ sie farbig. „Die Menschen sind das, was Farbe in den Alltag bringt“, sagt sie.

Eins war für Dirk und Lissy Matthiesen besonders wichtig: sich vom Virus nicht einschränken zu lassen. An einem Samstag im März sollte Dirk Matthiesen einen Kurs in Light Painting an der VHS geben, freitags wurden wegen Corona alle Veranstaltungen abgesagt. Also fuhren die beiden mit ihrer Tochter in die Rheinaue,  um ein bisschen mit Licht zu malen.

 „Warten auf bessere Zeiten“ lautet der Titel des Fotos, das Lisa-Luna Pellny am Oberkasseler Bahnhof aufgenommen hat.

„Warten auf bessere Zeiten“ lautet der Titel des Fotos, das Lisa-Luna Pellny am Oberkasseler Bahnhof aufgenommen hat.

Foto: Lisa-Luna Pellny

„Für das Foto habe ich ein Band mit LEDs an einer Fahrradfelge befestigt und sie gedreht. Die LEDs können die Farbe wechseln“, erklärt Dirk Matthiesen. „Der dreidimensionale Effekt ensteht dadurch, dass ich mich von der Kamera weg bewegt habe.“ Als er mit der Lichtmalerei anfing, nutzte er erst nur eine Lampe und malte Buchstaben oder Strichmännchen. Seine Technik hat er seitdem verfeinert. Heute arbeitet er für gewöhnlich mit seiner Frau zusammen – einer bedient die Kamera, der andere spielt mit dem Licht. Kürzlich konnten die beiden in einem alten Lokschuppen in Euskirchen fotografieren. Auf einem der Fotos sieht es so aus, als würde die Lok eine Spur aus Feuer hinter sich herziehen.

„Die Krise hat vielen Künstlern wehgetan“, sagt Lissy Matthiesen. Viele hätten monatelang ihre Ausstellung vorbereitet, die dann wegen des Virus abgesagt wurden. „Auch mein Mann und ich gehen gerne in Ausstellungen“, sagt Lissy Matthiesen. „Dass es kaum kulturelles Angebot gab, haben wir durch künstlerische Aktivitäten kompensiert.“ Die beiden seien seit Beginn der Coronakrise oft draußen in der Natur gewesen und hätten viele Projekte umgesetzt. Lissy Matthiesen sagt: „Ich habe noch nie einen Frühling so intensiv erlebt.“

Liebe Einbrecher, hier gibt es kein Desinfektionsmittel und auch keine Wertsachen mehr, also spart euch bitte das Einbrechen, der Laden ist schon gebeutelt genug“, steht auf dem Schild, das  Daniel Grana-Behrens in der Altstadt fotografiert hat. Der Ethnologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Bonn. Er habe geschmunzelt, als er das Schild sah, erzählt er, fand es  gleichzeitig aber auch erschreckend. „Der Laden sah aus wie ein Tattoostudio. Er war offenbar nicht nur Opfer der Pandemie, sondern auch eines Einbruchs geworden.“ Dass eine Ware, die vorher bedeutungslos war, Anlass zu einem Einbruch gebe, habe auch etwas Absurdes, findet er.

 Einen Strudel der Farben haben Lissy und Dirk Matthiesen in der Rheinau enstehen lassen.

Einen Strudel der Farben haben Lissy und Dirk Matthiesen in der Rheinau enstehen lassen.

Foto: Fotografie Matthiesen

Der Ethnologe war oft in der Stadt unterwegs, um zu dokumentieren, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse verändert haben – in Deutschland gar nicht so gravierend, wie er findet. Anders sehe es etwa in Lateinamerika aus. Beruflich beschäftigt er sich viel mit Mexiko, ist mit einer Mexikanerin verheiratet. „Dort leben die Leute von der Hand in den Mund“, sagt er. „Die können nicht einfach zu Hause bleiben, die müssen arbeiten.“ Die Ärmsten treffe das Virus besonders hart. „Dort gibt es kaum soziale Unterstützung“, sagt er. Viele Menschen würden in die Kriminalität getrieben. Die Gewalt blühe auf, die Leute müssten ihre Sachen packen und weggehen. Er erwartet auch, dass im Verlaufe der Krise noch viele Migranten aus Afrika nach Europa kommen werden. „Wir leben hier in einer Wohlstandsblase“, sagt Grana-Behrens. „Das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen stellen unsere Existenz nicht auf den Kopf.“

 Eine Bitte an Einbrecher hat der Ethnologe Daniel Grana-Behrens in der Altstadt fotografiert.

Eine Bitte an Einbrecher hat der Ethnologe Daniel Grana-Behrens in der Altstadt fotografiert.

Foto: Daniel Grana-Behrens

Bis Sonntag, 26. Juli, können Besucher die Fotos im Museum, Franziskanerstraße 9, anschauen: Mittwoch von 9.30 bis 14 Uhr, Donnerstag bis Samstag von 13 bis 18 Uhr, Sonntag 11.30 bis 17 Uhr. Eintritt 2,50 Euro.

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