Saime-Genc-Ring in Dransdorf Straße erinnert an Brandanschlag in Solingen

DRANSDORF · Es ist Wochenende, nur wenige Menschen gehen in einem tristen Dransdorfer Gewerbegebiet am Saime-Genc-Ring spazieren. Fragt man Passanten, ob sie diese Saime Genc kennen, erntet man fragende Blicke. Dass dieses türkisch klinge oder dass es sich um eine bekannte Persönlichkeit handeln müsse.

Saime Genc hätte sich mit Sicherheit nicht diese Form der Bekanntheit gewünscht. Vor 20 Jahren verübten vier junge Rechtsextremisten einen Brandanschlag auf das Haus von Saimes türkischstämmigen Familie in Solingen. Fünf Menschen kamen dabei ums Leben.

Saime Genc, damals vier Jahre alt, und ihre Mutter Gürsün starben bei einem Sprung aus dem Fenster. Sie wollten den Flammen entkommen, drei weitere Familienmitglieder starben im Feuer. Safiye Temizel, Vorsitzende des Bonner Integrationsrats, kann sich nicht vorstellen, dass Saime heutzutage in Deutschland leben würde. "Nach so einem Anschlag könnte ich nicht mein ganzes Leben in Angst hier verbringen wollen", erklärt sie. Rahim Öztürker, ebenfalls Mitglied des Bonner Integrationsrates, sieht das anders: "Sie würde hier in Deutschland weitermachen und eventuell ein politisches Amt inne haben und sich für Migranten einsetzen. Sie ist in Deutschland geboren, es ist ihre Heimat gewesen."

Öztürker war Mitte der 90er Jahre die treibende Kraft, was die Benennung der Straße nach Saime Genc betraf. "Ich war zu dieser Zeit Vorsitzender des Ausländerbeirats und hatte damals die Idee, dass Straßennamen auch nach ausländischen Arbeitnehmern benannt werden könnten, die sich um Bonn verdient gemacht haben. So ist die Idee entstanden", erklärt Öztürker. Das geschah Ende März 1996, die Bonner Bezirksvertretung nahm seinen Vorschlag an. Knapp zwei Jahre später erhielt auch seine Idee zur Namensgebung einer neuen Straße nach Saime Genc Zuspruch.

Ursprünglich sollten drei Straßen im neuen Gewerbegebiet in Dransdorf, darunter der heutige Saime-Genc-Ring, nach Naturwissenschaftlern benannt werden. Der Beschlussvorlage zufolge, dem seinerzeit auch der Ortsausschuss zustimmte, sollte der zunächst favorisierte Vorschlag der Einheitlichkeit in der Straßennamensgebung des Gewerbegebiets entsprechen. "Die Bezirksvertretung Bonn hatte am 27. Januar 1998 die Benennung beschlossen. Bis heute kann ich leider nicht sagen, warum genau diese Straße gewählt wurde. Vielleicht gab es keine anderen freien Straßen zu dieser Zeit. Das Gewerbegebiet war allerdings neu, daher war diese Namensgebung letztendlich möglich. Die neue Straße wurde nach dem kleinen Mädchen benannt", berichtet Öztürker. Temizel und Öztürker fühlen sich mit dem Schicksal der Familie Genc sehr verbunden. "In einer Nacht wurde durch die rechte Szene eine ganze Familie ausgelöscht, ich empfinde Trauer", so Temizel. "Das Schicksal fasziniert mich bis heute. Die Familie ist trotz des Leids nicht nachtragend und setzt sich für Frieden ein", meint Öztürker.

Mevlüde Genc, die bei dem Brandanschlag ihre Töchter, Enkelinnen und eine Nichte verlor, engagiert sich seit Jahren gegen Fremdenfeindlichkeit. Ihr wurde 1996 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Die 70-Jährige hat mittlerweile sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.

Türkische Bürger in Deutschland verbinden auch heutzutage viel mit dem Namen Genc. "Sie erinnern sich auf jeden Fall an den Brandanschlag. Der Name hat sich eingeprägt: Solingen - Brandanschlag - Tote", meint Temizel. Bei Jüngeren hingegen ist der Anschlag von Solingen oftmals nicht mehr präsent, was die Mitglieder des Integrationsrats bedauern. "Ich finde es schade, dass man so schnell vergisst. Es ist nach wie vor ein großes Aufklärungspotenzial nötig, gerade in der Schule. Man sollte wachsam bleiben", fordert Öztürker.

Beide wünschen sich ein deutliches Zeichen gegen rechte Gruppierungen aller Art. "Man soll dem Rassismus keine Plattform bieten", betont Temizel. "Auch sollen sich Bürger nicht in ihre Räumlichkeiten zurückziehen, sondern entschlossen entgegentreten. Gibt es keine Vorurteile, gibt es keine Verbreitung von Hass und letztendlich auch keinen Anschlag" so Öztürkert. Ein Miteinander aller Kulturen wäre somit greifbarer. "Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam ein friedliches Zusammenleben haben", so Temizel. Öztürker bejaht: "Immer den Dialog suchen und möglichst nicht polarisieren."

Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und Temizel werden am Mittwoch um 16 Uhr am Saime-Genc-Ring der Opfer gedenken und ein Ergänzungsschild vorstellen.

Der Brandanschlag in Solingen

In der Nacht zum 29. Mai 1993 brannte das Haus der türkischstämmigen Großfamilie Genç in der Unteren Wernerstraße 81. Der Brandanschlag gilt heute als eine der folgenschwersten rassistischen Taten in der Geschichte der Bundesrepublik, er wurde zum Symbol für Fremdenhass und militante Ausländerfeindlichkeit. Zur Tatzeit hielten sich 19 Mitglieder der Familie Genç in dem Haus auf. Fünf von ihnen kamen durch den Brand ums Leben. Saime starb ebenso wie die zwölfjährige Gülüstan und die neunjährige Hülya an einer Rauchvergiftung.

Die 18-jährige Hatice wollte aus dem Haus rennen, brach aber in der Diele zusammen und starb an einem Hitzeschock. Die 27-jährige Gürsün sprang aus einem Fenster im Dachgeschoss, schlug auf der Kante eines Betonschachts auf und verletzte sich tödlich. Insgesamt wurden acht Menschen verletzt. Schon kurz nach der Tat nahm die Polizei vier deutsche Männer fest, sie stammten alle aus Solingen und waren zwischen 16 und 23 Jahre alt. Drei von ihnen erklären bis heute, den Brand nicht gelegt zu haben.

Alle vier wurden 1995 wegen Mordes und versuchten Mordes sowie besonders schwerer Brandstiftung verurteilt. Inzwischen haben alle ihre Haftstrafen abgesessen.

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