Kritik an Straßenreinigung 2000 Haushalte in Bonn sollen selbst fegen

Bonn · Bonner Bürger kritisieren die Gebührenbefreiung bei der Straßenreinigung. 2000 Haushalte im Stadtgebiet sollen seit dem 1. Januar selbst die Fahrbahn vor der eigenen Haustüre fegen. Mehrere Stadtteile sind betroffen.

Straßenreinigung im Weißdornweg: Die Anwohner müssen nun selbst zum Feger greifen.

Straßenreinigung im Weißdornweg: Die Anwohner müssen nun selbst zum Feger greifen.

Foto: Benjamin Westhoff

Im Weißdornweg auf dem Heiderhof fragt sich Wilhelm Mensing, was Bonnorange sich dabei gedacht hat. Und der einzige ist er beileibe nicht: Kurz vor dem Jahreswechsel haben nicht nur Mensing, sondern auch die Nachbarn Inge Müller-Champrenaud, Ingrid Fleischer und Werner Fleischer, die Familie Gerszke im Kastanienweg und andere Bürger im gesamten Stadtgebiet Post von dem kommunalen Abfallentsorger erhalten, der auch für die Straßenreinigung zuständig ist. In dem Brief lobt Bonnorange sinngemäß, dass die Bürger ihre Gehwege besonders gründlich reinigen und deshalb mit Wirkung zum 1. Januar dieses Jahres der Reinigungsklasse A 0,5 zugeordnet würden.

Nun seien sie nicht mehr nur für die Säuberung des Gehwegs zuständig, sondern ebenfalls alle zwei Wochen für die der Fahrbahn sowie für die Winterwartung. Dafür entfiele auf der anderen Seite die bislang erhobene Straßenreinigungsgebühr. Mensing hat an die Kommunalpolitik und an Oberbürgermeister Ashok Sridharan geschrieben, denn der Stadtrat hat die Satzungsänderung in seiner November-Sitzung beschlossen.

Es sind ihm viele Details unklar, beispielsweise wie er als Mittachtziger die Fahrbahn reinigen soll. Ob er in die Haftung genommen werden kann, wenn es aufgrund seines Verschuldens zu einem Verkehrsunfalls kommen sollte. „Offenkundig hat niemand über die Konsequenzen dieser Satzungsänderung nachgedacht“, sagt Mensing. Am recht kurzen Weißdornweg  läge die Grundschule Heiderhof auf der einen, ein weiterer städtischer Straßenabschnitt auf der anderen Seite. „Für diesen Teil wäre Bonnorange wohl weiterhin zuständig, aber auf den dazwischen liegenden 200 Meter nicht.“ An der richtigen Eingruppierung als Anliegerstraße habe er Zweifel, weil der meiste Autoverkehr durch Lehrer und Eltern entstünde. Zudem lägen Garagenhöfe mit teils 30 Besitzern oder Mietern an der Straße. Angesichts dieser hohen Zahl hält er die Organisation der Straßenreinigung für nahezu unmöglich.

„Fahrzeuge von Bonnorange sind für die Straßenreinigung doch viel besser geeignet“

Als „absolute Schnapsidee“ bezeichnet Ulrike Weigelmann vom Heiderhof die neue Satzung, zumal viele Senioren betroffen seien. Sie und ihr Mann haben bei ihrer Versicherung angefragt, ob bei möglichen Unfällen überhaupt gezahlt würde. „Die Fahrzeuge von Bonnorange sind für die Straßenreinigung doch viel besser geeignet. Es ist auch äußerst ärgerlich, dass die Information uns wenige Tage vor dem Jahreswechsel erreicht hat“, sagt Weigelmann. Sie und ihr Mann haben ausgerechnet, dass der Auftrag der Reinigung an ein Privatunternehmen in die Hunderte Euro ging statt der bisher im Jahr zu zahlenden 20 Euro an Bonnorange. Die Höhe der Gebühr ist an die Grundstücksbreite gekoppelt.

Bonnorange ist, wie berichtet, seit 2018 die Bonner Straßen abgefahren und hat sie auf ihre Sauberkeit geprüft. Sodann erfolgte eine dezidierte Neueinordnung der Reinigungsklassen. Laut einer Verwaltungsvorlage haben zum Stichtag 1. Januar die Anwohner von etwa 70 Straßen künftig selbst die Hälfte der Fahrbahn neben dem bisher schon zu säubernden Gehweg zu reinigen.

Betroffene, also besonders saubere Viertel, sind nach dem Straßenverzeichnis für 2020 unter anderem Muffendorf, Lannesdorf, Teile auf dem Brüser Berg und Oberkassel. Bürger, die beispielsweise in Duisdorf, Lessenich, Endenich, Friesdorf und die Orte am Godesberger Rheinufer leben, bleiben weiterhin nur für die Gehwege zuständig (eine komplette Liste des Straßenverzeichnis ist auf der Internetseite www.bonnorange.de unter dem Stichwort „Kundenservice“, Unterpunkt „Satzungen und Gebühren“ einsehbar). Laut einer Verwaltungsvorlage von Bonnorange haben die Messergebnisse in jedem zweiten Fall (48 Prozent) zur Einstufung einer geringeren Reinigungklasse geführt, nur in fünf Prozent der Fälle zu einer Erhöhung. Für die Hauptstraßen bleibt Bonnorange zuständig.

Haushalte mit Brief informiert

Straßenreinigung in Bonn: Bonnorange in der Kritik - 2000 Haushalte sollen fegen
Foto: Grafik GA

Auf Anfrage erklärte Bonnorange-Pressesprecher Jérôme Lefèvre, dass der Dienstleister 2000 Haushalte in einem Brief darüber informiert habe, dass sie seit 1. Januar auch für Fahrbahn zuständig seien: „Die Reinigung der im Straßenverzeichnis aufgenommenen Straßen wird im Umfang der jeweils zugeordneten Reinigungsklasse den Eigentümern der direkt an die Straßen angrenzenden und durch sie erschlossenen Grundstücke auferlegt.“ Das heißt: Reihenhaus-Anlieger, deren Haus nicht direkt an der Straße liegen, sind nicht verantwortlich.

Mensing, ein solcher Hinterhaus-Bewohner, hält das für politisch falsch, „weil die bisherige Solidargemeinschaft ohne Not aufgelöst wird“. Bonnorange begründet die Änderungen mit der Verantwortung, „wo möglich die Bürger von Gebühren zu entlasten“. Die Kapazitäten würden stattdessen an Orten eingesetzt, wo es notwendiger sei, beispielsweise durch eine zweimalige Reinigung der Innenstadt auch an Sonntagen. Lefèvre betonte, die vom Bürger zu leistenden Reinigungsintervalle würden vom „Grad der Verschmutzung“ abhängig sein. Bereits für 2020 verschickte Gebührenbescheide würde das Kassenamt der Stadt im ersten Quartal erstatten. Der Versicherungsschutz liege bei den Anliegern. Die Stadt konnte Fragen des GA im Laufe des Dienstags nicht beantworten.

Die beiden Stadtverordneten Christian Gold (CDU) und Stephan Eikschen (SPD), beide Mitglieder des Verwaltungsrats von Bonnorange, zeigen Verständnis für die Kritik der Bürger. Sie halten aber das grundsätzliche Ansinnen, in besonders saubereren Vierteln keine Straßenreinigung mehr durchzuführen für sinnvoll. „Ich halte es für nachvollziehbar, wenn Bonnorange künftig keine Rechnung ausstellen will, weil keine oder kaum Arbeit zu tun ist“, erklärte Gold auf Nachfrage. Er glaube, dass sich die Aufregung mit der Zeit legen werde. Private Reinigungsgemeinschaften hätten sich schon vorher zusammenfinden müssen, um den Gehweg rein zuhalten. Wie Gold betont auch Eikschen, dass zunächst allgemeine Regeln für die Satzung aufgestellt wurden, die „dann natürlich von Bonnorange zu überprüfen sind“.

Dass Straßen noch anders einzuordnen sein könnten, hält er durchaus für möglich. „Bei mir haben sich auf der anderen Seite schon Bürger gemeldet, die froh sind, dass sie künftig keine Gebühren mehr zu zahlen haben.“

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