Streik an Unikliniken beendet In Bonn stehen 1000 Patienten auf der Warteliste

Update | Bonn · Verdi hat 77 Tage für einen Tarifvertrag Entlastung für Pflegekräfte und andere patientennahe Beschäftigte gekämpft. Das Bonner Uniklinikum kehrt nach der Einigung jetzt zum Normalbetrieb zurück. Wie geht die Klinik das an?

 In Bonn stehen zahlreiche verschobene Operationen an. (Symbolfoto)

In Bonn stehen zahlreiche verschobene Operationen an. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Sven Hoppe

Nach elf Wochen ist der Streik für einen Tarifvertrag Entlastung an den sechs Unikliniken in NRW beendet. Die Streikenden am Universitätsklinikum Bonn (UKB) feierten am Dienstagnachmittag ihren Erfolg, am Mittwoch kehrten sie auf die Stationen und in die Operationssäle zurück. „Wir müssen unsere Plakate und Fahnen im Haus der Geschichte abgeben“, sagte eine Kollegin. Das erstrittene Ergebnis könnte nämlich Signalwirkung über NRW hinaus und in die gesamte Klinikbranche haben. Das UKB will jetzt den Normalbetrieb so schnell wie möglich wiederherstellen.

Laut Professor Wolfgang Holzgreve, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKB, stehen über 1000 Patienten auf der Warteliste für Operationen. „Da wir in Deutschland den dritthöchsten durchschnittlichen Fall-Schweregrad haben, brauchen alle diese Patienten ihre Eingriffe so bald wie möglich“, sagte Holzgreve am Mittwoch auf GA-Anfrage. „Bei der Reihenfolge richten wir uns immer nach der Dringlichkeit, aber natürlich werden Notfälle immer sofort versorgt.“

Einigung zwischen Unikliniken und Verdi

Unikliniken und Gewerkschaft Verdi haben sich am Dienstagnachmittag auf ein Eckpunktepapier zum Tarifvertrag Entlastung verständigt, das für deutlich bessere Arbeitsbedingungen sorgen soll. Die Parteien haben sich nach über 25 Verhandlungstagen auf einen besseren Personalschlüssel insbesondere in patientennahen Berufsgruppen geeinigt.

Für jede Schicht soll im Klinikalltag außerdem die Belastung gemessen und bei Bedarf für Ausgleich gesorgt werden. Dabei wird laut Verdi für weite Teile der Pflege, inklusive der psychiatrischen Stationen und der Notaufnahmen, das Zahlenverhältnis von Beschäftigten und Patienten festgelegt. „Wird diese Quote unterschritten oder kommt es zu anderweitig belastenden Situationen, erhalten die Betroffenen Belastungspunkte. Für jeweils sieben Punkte wird ihnen ein zusätzlicher freier Tag als Belastungsausgleich gewährt. Im ersten Jahr der Umsetzung können bis zu elf freie Tage zusammenkommen. Im zweiten Jahr sind es 14 und ab dem dritten Jahr maximal 18 zusätzliche freie Tage“, teilte Verdi mit. Mehr Zeit soll das Klinikpersonal auch für die persönliche Anleitung von Auszubildenden bekommen.

 Sie ließen nicht locker: Beschäftigte der Bonner Uniklinik, hier bei einer Pressekonferenz Anfang Juni.

Sie ließen nicht locker: Beschäftigte der Bonner Uniklinik, hier bei einer Pressekonferenz Anfang Juni.

Foto: Benjamin Westhoff

Im Schnitt waren es nach Angaben von Beteiligten 100 Leute pro Tag, die in Bonn gestreikt haben. Das Streikzelt, das auf einem Parkplatz auf dem Venusberg stand, ist bereits wieder abgebaut. In direkter Nachbarschaft hat der Personalrat des UKB seine Büros. „Ich glaube, dass alle daran beteiligten Parteien froh sind, dass der Streik ein Ende hat“, sagte Axel Tumschat, stellvertretender Vorsitzender des Personalrats der nichtwissenschaftlichen Beschäftigten. „Im Tarifstreit selbst ist der Personalrat zur Neutralität verpflichtet.“ Deshalb wollte Tumschat das Ergebnis am Mittwoch auch nicht kommentieren. Wenn es an die Umsetzung des Tarifvertrags geht, ist der Personalrat beteiligt.

Der Tarifvertrag tritt am 1. Januar 2023 in Kraft, es gibt aber eine Übergangsphase. „Für die Umsetzung und die Einführung der nötigen IT-Systeme bekommen die Kliniken anderthalb Jahre Zeit“, so Verdi-Verhandlungsführer Heinz Rech.

Der sogenannte Pflegestreik kommt auch anderen Beschäftigtengruppen zugute. Laut Gewerkschaft werden unter anderem in der Radiologie, in den Betriebskitas und bei Therapeuten bereichsbezogene Mindestvorgaben für den Personaleinsatz fixiert, deren Unterschreitung ebenfalls mit zusätzlicher Freizeit ausgeglichen wird.

Für die Bereiche Service, IT und Technik sowie für die Ambulanzen vereinbarten die Verhandlungsparteien pauschal 30 zusätzliche Vollzeitstellen pro Uniklinik. Laut Verdi hat das in den Belegschaften zu vielen Diskussionen geführt, denn: „Denn Krankenhausarbeit ist Teamarbeit und braucht überall ausreichend Personal.“

Tarifvertrag Entlastung bedeutet Aufwertung für den Pflegeberuf

UKB-Direktor Holzgreve hatte zwischenzeitlich vergeblich versucht, den Streik gerichtlich zu stoppen. „Der Ausgang der Verhandlungen ist ein mühsam erarbeiteter Weg zur Entlastung, der den Pflegeberuf weiter aufwertet“, sagte er am Mittwoch. Das Besondere an dem Streik sei gewesen, dass es nicht um Löhne ging. „Es ging um das Thema Entlastung, und diese kann ja nur durch mehr Pflegefachkräfte wirklich erreicht werden“, so Holzgreve.

Das UKB habe in den vergangenen Jahren immer etwa 100 zusätzliche Pflegende pro Jahr eingestellt und werde auch weiter alle Maßnahmen ergreifen, um so viele Pflegekräfte wie möglich zu haben. „Durch die jetzt mit Verdi vereinbarten zusätzlichen Entlastungsmaßnahmen mit insbesondere verbesserten Regelungen für freie Tage sind wir noch einmal zusätzlich attraktiv geworden als Arbeitgeber“, sagt Holzgreve.

Mitarbeitende sehen die genannte Zahl der Neueinstellungen kritisch, auch weil weiterhin Kolleginnen und Kollegen die Uniklinik verlassen. „Es kündigen Fachkräfte und es wird noch nicht mal nachgefragt, warum sie gehen“, so ihre Erfahrung. Pflegekräfte aus dem Ausland könnten schon alleine wegen der Sprachbarriere eine langjährige, gut eingearbeitete Fachkraft nicht ersetzen.

„Die Arbeitsbedingungen müssen sich endlich ändern, damit die Leute bleiben“, findet Anja Wagner, Fachkrankenschwester für Anästhesie. Der Streik sei für alle eine unheimliche Belastung gewesen. „Wir wollten lieber arbeiten, als zu streiken, aber wir haben aus den vergangenen Wochen auch viel Kraft gezogen und den Mut, das weiter durchzuziehen“, sagte sie. „Wir müssen jetzt hart verfolgen, ob die Zusagen auch eingehalten werden.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
Bitte mehr Biss
Kommentar zum Weltkulturerbe in Bonn Bitte mehr Biss