Kritik an SWB Strom in Bonn nicht so grün wie angegeben

Bonn · Die Bonner Stadtwerke speisen weniger Elektrizität aus regenerativen Quellen ein als sie offiziell ausweisen. Möglich mache dies ein Rechentrick, den das Erneuerbare-Energien-Gesetz ermögliche.

Die Bonner Stadtwerke werben mit Ökostrom. Allerdings ist die Elektrizität in Bonn weniger grün als angegeben.

Die Bonner Stadtwerke werben mit Ökostrom. Allerdings ist die Elektrizität in Bonn weniger grün als angegeben.

Foto: Benjamin Westhoff

Der Strommix der Stadtwerke Bonn (SWB) stammt offensichtlich zu einem deutlich geringeren Anteil aus erneuerbaren Energien, als der kommunale Konzern in offiziellen Zahlen angibt. Zu diesem Ergebnis kommt auf Anfrage des General-Anzeigers eine Berechnung des alternativen Stromanbieters „LichtBlick“. Während die SWB in der gesetzlich vorgeschriebenen Stromkennzeichnung für 2017 mit Daten aus dem Vorjahr mit einem Ökostrom-Anteil von insgesamt 70,4 Prozent als grüner Musterknabe dastehen, stamme nur knapp jede zweite Kilowattstunde (48,3 Prozent) aus erneuerbaren Energiequellen. Damit verursachen die Bonner Stromkunden laut LichtBlick je Kilowattstunde einen klimaschädlichen Ausstoß von durchschnittlich 213 Gramm CO2 und damit fast doppelt so viel wie die offiziell angegebenen 122 Gramm.

Diese erheblichen Differenzen sind allerdings kein reines Bonner Phänomen. Sie treten bei fast allen Energieversorgern auf, die viele Endkunden beliefern. Ursache ist eine Regelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Für jeden Endkunden, der nicht wie Unternehmen davon befreit ist, müssen die Unternehmen eine Abgabe zum Ausbau der Erneuerbaren an die Netzbetreiber abführen. Diese Kosten können sie als fiktiven Strombezug unter dem Posten „Erneuerbare Energien, gefördert nach dem EEG“ ausweisen.

Rechnet man diesen Anteil – in Bonn wegen der wenigen produzierenden Industrie satte 42,8 Prozent der Ausgaben für die Stromerzeugung – heraus, so ergibt sich ein anderes Bild. Der Anteil für Kohlestrom steigt von ausgewiesenen 5,9 auf 10,3 Prozent, der von Gas von 18,8 auf 32,9 und der sonstiger fossiler Energieträger von 3,7 auf 6,5 Prozent. Auch Atomstrom wird in Bonn ins Netz eingespeist – mit einem Anteil von 2,1 statt der angegebenen 1,2 Prozent.

Verbraucherschützer sehen die Praxis kritisch

Bei anderen Versorgern fällt die Differenz aus angegebenem und tatsächlichem Grün-Strom noch weit größer aus. Bei der Kölner Rheinenergie etwa stammen nur 10,1 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Das Unternehmen beziffert seinen Anteil aber mit 37,9 Prozent. Die Bundesnetzagentur mit Sitz in Bonn hält das Verfahren für „durchaus konsequent“, so Pressesprecher Michael Reifenberg. Jeder Stromkunde könne so ersehen, welchen Beitrag er „indirekt zur Energiewende beisteuert“. Das System sei aber „nicht leicht nachzuvollziehen“, eine Weiterentwicklung wegen der vielschichtigen Interessenslagen bislang aber nicht geglückt.

Die Praxis ärgert vor allem Anbieter klimafreundlichen Stroms, die darin einen Wettbewerbsnachteil sehen. „Es gibt hier klare Parallelen zur Dieselgate-Affäre. Beim Strom werden die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Pflichtangaben zum Schadstoffausstoß in der Realität weit übertroffen. Verbraucher werden so in die Irre geführt“, sagt Gero Lücking, Geschäftsführer Energiewirtschaft bei LichtBlick. Der „Skandal“ zeige, wie fahrlässig die Bundesregierung mit ihren Klimazielen umgehe.

Auch Verbraucherschützer sehen die Praxis kritisch. „Die Stromkennzeichnung sollte die tatsächliche Beschaffungspolitik eines Anbieters widerspiegeln“, sagt Christina Walraf, Energiemarkt-Referentin bei der Verbraucherzentrale NRW. „ Das tut sie im Moment nur auf eine sehr verzerrte Art und Weise, weil die Ausgaben, die Verbraucher über die EEG-Umlage für den Ausbau der erneuerbaren Energien tätigen, mit in die Grafiken des Anbieter-Strommixes einbezogen werden.“

Strom aus Mülldampf und verbrannter Biomasse

Wallraf macht auch auf ein weiteres Problem aufmerksam. Bei der Berechnung des Bundesdurchschnitts werden die EEG-Abgaben nicht berücksichtigt. Deshalb falle der Grün-Strom-Anteil dort per se geringer aus. Es sei mithin unmöglich zu sagen, wie gut ein Unternehmen wie die SWB im Vergleich zum Bundesdurchschnitt dastehe.

Die SWB selbst bewertet den Sachverhalt auf Anfrage nicht. Pressesprecher Werner Schui verweist nur auf die vordere Position des Konzerns beim Strombezug aus erneuerbaren Quellen verglichen mit anderen regionalen Anbietern. Wie aus einer Antwort der SWB auf eine Ratsanfrage hervorgeht, argumentiert das Unternehmen ausschließlich mit den Daten aus der offiziellen Stromkennzeichnung. Der Strom aus Mülldampf macht demnach sieben Prozent vom Anteil erneuerbarer Energien aus. Angerechnet wird nur der Anteil verbrannter Biomasse, nicht jedoch der übrige Restmüll.

Auch der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber (SPD) sieht gesetzlichen Änderungsbedarf. „Schon zu Beginn der EEG-Förderung war die Regelung schwierig. Jetzt verzerrt sie das Bild nachhaltig“, sagt Kelber, der bis zu seiner Berufung als Staatssekretär für Verbraucherschutz im Jahr 2013 Aufsichtsratsmitglied der SWB Energie und Wasser war, dem GA. Noch mehr stört ihn indessen, dass der Grün-Strom zwar bei der Produktion gemessen, bei der Einspeisung ins Netz aber als sogenannter Graustrom behandelt werde. Damit verliere er sein Vorrecht. Die Folge: Netze, die schon mit Kohle- und Atomstrom gefüllt seien, nähmen keinen Wind- oder Solarstrom mehr auf. „Statt den Kohlestrom zu drosseln, werden dann die Windräder gedrosselt und der Ausfall über die EEG-Umlage erstattet“, sagt Kelber.

Wer als Kunde sicher saubere Energie beziehen möchte, muss auf Angebote wie SWB-Naturstrom ausweichen. Die Energie dafür wird mit fünf Windanlagen und kleinen Wasserkraftwerken des Anbieters MANN Energie im Westerwald gewonnen. Der Mehrpreis zum günstigsten Tarif liegt nach Kelbers Berechnung pro Person bei etwa drei Euro im Monat. Und: „Ich war bei Einführung des Tarifs der erste Kunde“.

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