Telefonseelsorge in der Pandemie „Schon vorhandene Probleme haben sich in der Corona-Zeit oft verstärkt“

Bonn · Die Telefonseelsorge Bonn/Rhein-Sieg feiert bald 50-jähriges Bestehen. In den vergangenen Monaten haben sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter vermehrt mit einem Thema beschäftigt: verstärkte psychische Probleme durch die Corona-Pandemie. Ein Einblick in die tägliche Arbeit.

 Wer Sorgen und Probleme hat und Hilfe braucht, ist bei der Telefonseelsorge an der richtigen Adresse.

Wer Sorgen und Probleme hat und Hilfe braucht, ist bei der Telefonseelsorge an der richtigen Adresse.

Foto: DPA

Seit 1972 ist sie telefonisch erreichbar, seit 2003 auch per E-Mail. Die Telefonseelsorge Bonn/Rhein-Sieg steht vor ihrem 50. Jubiläum. Gegründet wurde sie schon 1970 von der Bonnerin Hildegard Schiffer, die Arbeit aufgenommen hat sie aber erst im Februar 1972. Die Gründerin kannte damals mehrere Menschen, die Suizid begingen und dementsprechend auch einige, die dringend Hilfe brauchten.

2021 sind die derzeit etwa 75 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermehrt mit einem Thema beschäftigt: Die Corona-Pandemie hat bei vielen Menschen zur Entstehung oder Verstärkung psychischer Probleme beigetragen, häufig hat, so die Experten, die jüngere Generation besonders unter den eingeschränkten Lebensbedingungen gelitten.

Barbara Utz ist Vorstandsvorsitzende der Telefonseelsorge. In der Pandemie machte sie interessante Beobachtungen: „Statistisch blieb die Zahl der Kontaktaufnahmen insgesamt in etwa bei den bisherigen Zahlen. Es entstand jedoch der Eindruck, dass sich die schon vorhandenen Probleme in der Corona-Zeit oft verstärkt haben und deutlicher empfunden wurden.“ Dies habe wiederum dazu geführt, dass sich das Gesprächsklima verändert habe: „Die Gespräche verliefen teilweise intensiver, weil andere Kontakte aufgrund der Corona-Bestimmungen ja lange extrem eingeschränkt waren, was insbesondere für Alleinstehende ein Problem war und ist“, sagt Utz.

Generell seien aber Menschen aus allen Altersgruppen hilfsbedürftig, die Jüngeren nutzten dabei „in der Regel mehr E-Mail, die Älteren mehr das Telefon“, erklärt die Vorstandsvorsitzende. Die Anlässe ähneln sich: Am häufigsten sei das Gefühl der Einsamkeit. Hinzu kommen Probleme in Beziehungen mit Partnern, Familie, Nachbarn, Freunde, am Arbeitsplatz oder auch das eigene Befinden, also zum Beispiel Krankheit, insbesondere Depressionen, Ängste, psychische Erkrankungen und auch Selbstmordgedanken. Viele dieser Probleme haben sich laut Utz während der Pandemie intensiviert. Die Seelsorge könne hier zwar keine Hilfe im konkreten Sinne leisten, sie trage aber zur Entlastung bei, „indem sie ein offenes Ohr für alle Art von Problemen und Fragen hat und dies auch zu Zeiten, wo niemand sonst zu erreichen ist, und in denen die Belastung oft besonders empfunden wird, wie zum Beispiel in der Nacht“, sagt Utz.

Dafür arbeiten die ehrenamtlichen Mitarbeiter durchschnittlich zwölf Stunden im Monat per Telefon und Mail in etwa drei- bis vierstündigen Dienstschichten. Auch der Vorstand arbeitet vollständig ehrenamtlich. Etwa zwei Drittel der Mitarbeiter sind Frauen. Aufgabe sei das Zuhören und Dasein genauso wie das Anteilnehmen. Man verzichte dabei auf Bewertungen und Ratschläge. Stattdessen lasse man sich auf die Probleme der Anruferinnen und Anrufer ein, ohne sie zu hinterfragen. „Wir versuchen, die Menschen hinter den Sorgen zu erreichen und so anzunehmen, wie sie uns aktuell begegnen. Wir machen das Angebot, die Anrufenden bei der Lösungssuche zu unterstützen, wenn das gewünscht wird“, führt Utz fort. Dabei reiche es oft schon, dass es überhaupt jemanden gebe, „der die Sorgen und Nöte ernst und wahrnimmt, die Anlass für den Kontakt sind“. Schließlich seien wahrgenommen und gesehen werden Grundbedürfnisse des Menschen.

Interessant ist, dass auch die Anrufenden vermehrt weiblich sind, nämlich bis zu 77 Prozent. Am häufigsten seien die Altersgruppe der 50- bis 60-Jährigen vertreten (28 Prozent), gefolgt von den 60- bis 70-Jährigen (23), berichtet Utz. Im vorigen Jahr verzeichnete die Telefonseelsorge 12.200 Anrufe, also 33 pro Tag. Hinzu kamen 1200 Mails, die elf Mail-Seelsorgerinnen bearbeiteten.

Wichtig zu wissen ist zudem, dass Anrufer anonym bleiben können. Diese Anonymität sorge dafür, „dass ich mich darin üben kann, genau das zu sagen, zu fragen und zu berichten, was mir ein Anliegen ist, was mich nicht zur Ruhe kommen lässt, mich dauerhaft belastet“. Wenn dies beim ersten Anruf oder der ersten Mail nicht gelinge, könne man es immer wieder versuchen. Die Telefonseelsorge versuche immer, dabei zu helfen und sei rund um die Uhr an jedem Tag im Jahr zu erreichen. In akuten Krisensituationen bietet die Telefonseelsorge sogar auch persönliche Beratung für junge Menschen und ihre Kontaktpersonen wie Eltern oder Lehrkräfte an. „Das Angebot in allen Bereichen ist kostenlos und absolut anonym“, betont die Vorstandsvorsitzende.

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