Erfahrungsaustausch und Therapieansätze Treffen der Bonner Selbsthilfegruppen zur Sucht

Bonn · Ob Alkohol-, Drogen- oder Spielsucht - wer einmal abhängig ist, lebt in ständiger Gefahr rückfällig zu werden. Beim Treffen der Selbsthilfegruppen tauschen Betroffene gegenseitig Erfahrungen aus. Auch neue Therapieansätze werden vorgestellt.

Ohne Alkohol lief gar nichts. Schon morgens musste Wolfgang M. mindestens einen Schnaps trinken, um das Haus überhaupt verlassen zu können. „In meinem Leben gab es keine Perspektiven mehr“, erzählt er. „Nur mit Alkohol konnte ich die letzten Jahre im Beruf einigermaßen überstehen.“

Irgendwann wurde ihm bewusst, dass er dringend Hilfe braucht. „Ich habe mich zur Entgiftung in die LVR-Klinik einweisen lassen. Das war wirklich die Hölle. So etwas will ich nie mehr durchleben“, sagt er. Seit neun Jahren ist Wolfgang M. trocken. Vergessen hat er allerdings nie die Ängste, Sorgen sowie die Hilflosigkeit der Betroffenen, die diesem Teufelskreis ohne Unterstützung nicht entkommen können. „Ich habe es geschafft, und ich will anderen helfen, es auch zu schaffen“, ergänzt er. Heute leitet er eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker in Sankt Augustin. „Ich bin einer von ihnen. Ich weiß was sie bewegt und berührt.“

Für Professor Markus Banger, den Ärztlichen Direktor und Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen in der LVR-Klinik, ist die Arbeit der Selbsthilfegruppen bei der Therapie von Suchtkranken unverzichtbar. „Dadurch wird der Zusammenhalt untereinander gestärkt“, erklärt er. Einmal im Jahr lädt er die verschiedenen Gruppen zum Austausch ein. Denn: „Wir beobachten, dass immer mehr Menschen in eine Abhängigkeit geraten“, sagt er. Neben Alkohol spielten vor allem psychoaktive Drogen eine zunehmend größere Rolle. „Amphetamine, Pilze sowie chemische Substanzen, die wir bisher noch nicht einmal kannten, bereiten uns Sorgen“, so der Mediziner. Aber auch Verhaltenssüchte seien auf dem Vormarsch. „Arbeits-, Spiel-, Internet- oder Sexsucht treten vermehrt auf“, weiß er aus seiner Praxis.

"Nur ein kleiner Schritt zurück in den Abgrund"

Diese Einschätzung bestätigt auch Psychotherapeutin Hayriye Korkmaz. Sie betreut vor allem türkischstämmige Spielsüchtige, meist junge Männer. „Die Verlockungen sind allgegenwärtig. Junge Türken treffen sich gerne in Cafés und dort gibt es nun einmal auch Spielautomaten“, erklärt sie. Erst wenn die familiären Strukturen aufgrund des Zwangverhaltens auseinanderzubrechen drohten, würden sie sich Hilfe suchen. „Doch gerade im Bereich der Spielsucht ist die Rückfallquote hoch“, so Hayriye Korkmaz.

Sicher kann sich allerdings auch ein „trockener“ Alkoholiker niemals sein. „Der Weg nach unten ist allgegenwärtig und ganz nah. Es ist nur ein kleiner Schritt zurück in den Abgrund“, berichtet Helmut H., der zum Bonner Freundeskreis des Suchtselbsthilfeverbandes „Alos“ (Aktives Leben ohne Sucht)gehört. Jeden Montag treffen sich die rund 20 Mitglieder – Betroffene sowie Familienangehörige. „Diese Begegnungen sind wichtig, um die Abstinenz zu festigen“, weiß er aus eigener Erfahrung. Seit 1995 ist er „clean“. Aber: „Gefahren lauern überall“, weiß er nur allzu gut.

Das Treffen der Selbsthilfegruppen dient nicht nur dem Erfahrungsaustausch. Professor Banger präsentiert dabei auch immer neue Therapieansätze. Diesmal stellte Franz-Josef Plum vor, wie Musik in die Behandlung eingebunden werden kann. „Die Patienten müssen lernen, die Ebene zu wechseln. Weg vom Denken, hin zum Fühlen. Durch die Musik sollen sie ihre Gefühle wieder wahrnehmen“, erklärt er. Diese Ausdrucksform könne als emotionale Sprache eingesetzt werden. „Aber viele Suchtpatienten müssen erst wieder lernen, Empfindungen überhaupt zuzulassen“, so der Musiktherapeut.

Auch wenn Wolfgang M. seit Jahren keinen Tropfen mehr angerührt hat, weiß er, dass ein Rückfall jederzeit möglich ist. Aber er ist zuversichtlich. „Ich kann meiner Frau ein Glas Sekt eingießen ohne eigenes Verlangen. Darauf bin ich wirklich stolz. Ich habe einen eisernen Willen, auf den ich mich verlassen kann“, blickt er optimistisch nach vorne.

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