Ein Jahr nach Kriegsbeginn So hat sich die Hilfsbereitschaft für die Ukraine in Bonn entwickelt

Serie | Bonn · Ein Jahr nach Kriegsbeginn engagieren sich weiter viele Bonner – für Menschen in der Ukraine und für Geflüchtete. Ein Einblick in unterschiedliche Hilfsaktionen und Spendeninitiativen.

 Auf dem Weg zum ZeSaBo: Auch die ehrenamtlichen Spendensammler unterstützen die Geflüchteten aus der Ukraine.

Auf dem Weg zum ZeSaBo: Auch die ehrenamtlichen Spendensammler unterstützen die Geflüchteten aus der Ukraine.

Foto: Benjamin Westhoff

Vitaliy Krusch hatte sich für diesen Abend viel vorgenommen. Gemeinsam mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter wollte er am 23. Februar 2022 nach der Arbeit damit beginnen, ein neues Kinderzimmer einzurichten. Die Möbel waren gekauft, die Wände bereits gestrichen. Schließlich dauerte es gar nicht mehr lang bis sein Sohn geboren werden sollte.

Bis zu jenem Februartag war das Leben für die junge Familie leicht und unbeschwert. „Doch am nächsten Morgen war die Welt eine ganz andere“, erzählt der Ingenieur aus der Ukraine, der in Bonn seit einigen Jahren für ein lokales Energieversorgungsunternehmen arbeitet. Im Minutentakt klingelte in aller Herrgottsfrühe sein Handy. Familie, Freunde und Bekannte aus der Heimat meldeten sich und berichteten von den Ereignissen der vergangenen Nacht. „Ich konnte erst gar nicht glauben, was sie erzählten“, sagt Krusch. „Erst als meine Cousine weinend am Telefon Details berichtete, wurde mir das Ausmaß der Katastrophe klar.“

In den sozialen Netzen klickte er sich durch die vielen Berichte und Bilder: Russland hatte die Ukraine überfallen. Auch wenn sich Vitaliy Krusch in den kommenden Tagen eigentlich um seine Familie kümmern und seine Frau unterstützen wollte, stand für ihn sofort fest: Ich muss etwas tun. Seither hat er von Bonn aus 18 Hilfskonvois für die Menschen in der Ukraine organisiert und teilweise begleitet, wie er berichtet. So seien 164,5 Tonnen humanitäre und medizinische Hilfsgüter transportiert, 15 Rettungs- und Krankenwagen und zehn Transportwagen überführt sowie 34 Notstromaggregate in das Land gebracht worden. Als junger Vater rührt ihn das Schicksal der Kinder, die oftmals ohne medizinische Versorgung in kalten, feuchten Kellerräumen zur Welt kommen, ganz besonders. Um wenigstens ihnen den Schritt ins Leben trotz des erbarmungslosen Kriegs zu erleichtern, brachte Krusch mehrere Ultraschallgeräte sowie Inkubatoren für Früh- und Neugeborene an die Grenze.

Das Leben der Menschen in den umkämpften Gebieten bewegt viele in der Region. Wenige Tage nach Kriegsbeginn startet auch das GA-Weihnachtslicht eine große Sonderspendenaktion, um den hier ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Bisher gingen fast eine Million Euro auf dem Spendenkonto der Hilfsaktion des General-Anzeigers für die Kriegsflüchtlinge ein. „So konnten wir Menschen, die ihre Heimat Hals über Kopf verlassen mussten, helfen, bevor staatliche Gelder flossen“, sagt Bernd Leyendecker, Vorsitzender des Vereins Weihnachtslicht.

Auch Hilfe für die Geflüchteten in Bonn

Die Frauen und Kinder, die hier meist erst nach tagelanger Flucht erschöpft ankamen, konnten sich zudem auf viele private Initiativen verlassen. Und selbst die Kleinsten engagierten sich in der Flüchtlingshilfe. Wie beispielsweise die Schülerinnen und Schüler der Grundschulen in Hangelar und in Bornheim-Rösberg. Sie hatten jeweils einen Sponsorenlauf organisiert und dabei mehr als 25.000 Euro für die Unterstützung der Flüchtlinge gesammelt. In Holzlar sammelte eine Familie in ihrer Garage Lebensmittel, Babynahrung, Hygieneartikel, Medikamente sowie Funkgeräte, kugelsichere Westen und Schlafsäcke, um sie in einem privaten Transport an die polnische Grenze zu bringen.

Viele Nachbarn rund um das Baumschulwäldchen in der Weststadt haben in ihren Häusern Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Materiell wurden sie gut versorgt. Damit sie sich jedoch auch zuhause fühlen, organisierten die „Gastgeber auf Zeit“ regelmäßig Treffen in dem kleinen Park: Zum geselligen Beisammensein, zum zwanglosen Plausch oder zum Aufbau von Netzwerken.

Vom ersten Tag an dabei war Pedro Prots, der aus der Ukraine stammt und seit Jahren im Rheinland lebt. Er half nicht nur als Dolmetscher, sondern er besuchte die Menschen in den Sammelunterkünften, unterstützte bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Und manchmal auch bei ganz alltäglichen Dingen. „Wo bekomme ich in Deutschland Hundefutter?“, fragte ihn eine Frau bei einem Treffen im Baumschulwäldchen.

Viele Sachspenden gingen beim Zentrallager in Bonn ein

Wie groß die Empathie der Bonner mit den Kriegsflüchtlingen ist, das erleben die Helfer im Zentrallager Sachspenden Bonn (ZeSaBo) besonders eindrucksvoll. Viele Ukrainerinnen erreichten Bonn gemeinsam mit ihren Kindern meist mit nur wenigen Habseligkeiten. Nach einem Aufruf in den sozialen Medien wurden innerhalb von drei Tagen 67 Kinderwagen in der Sammelstelle abgegeben, die innerhalb weniger Tage verteilt waren. Seit Beginn des Ukrainekrieges hat das ZeSaBo 10.414 Menschen in Bonn und der Region zusätzlich versorgt. Das sind 559 mehr als zu Beginn des Krieges.

Ein Jahr nach Kriegsausbruch fährt Vitaliy Krusch seine Hilfe für die Menschen in seiner Heimat noch längst nicht runter. Er organisiert weiter Hilfskonvois und plant deutsch-ukrainische Kooperationsprojekte. „Viele Kinder und Erwachsene sind stark traumatisiert und benötigen Hilfe. Durch den deutsch-ukrainischen Jugendaustausch, die Unterstützung der Waisenhäuser und die Betreuung von Bedürftigen können wir das unbeschreibliche Leid der Menschen vor Ort mildern“, sagt der Bonner. „Wir müssen die Ukraine aufbauen. Nicht erst nach dem Krieg, sondern jetzt damit beginnen.“ Die Geburt seines Sohnes wird ihn immer an die schrecklichen Ereignisse im Frühjahr 2022 erinnern.

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