Weihnachten ohne Knallbonbons und Ziege Bonner UN-Mitarbeiter reisen nicht in die Heimat

Bonn · Hunderte UN-Mitarbeiter in Bonn können in diesem Jahr zu Weihnachten nicht nach Hause. Was sie vermissen und wie sie trotzdem Weihnachten feiern.

 Keine Chance: UN-Mitarbeiter Hillary Sang kann dieses Jahr Weihnachten nicht nach Kenia reisen.

Keine Chance: UN-Mitarbeiter Hillary Sang kann dieses Jahr Weihnachten nicht nach Kenia reisen.

Foto: Benjamin Westhoff

Sechs Stunden von Tür zu Tür braucht Robert Vagg in normalen Zeiten von seiner Wohnung in Dottendorf bis zum Häuschen seiner Eltern im Süden von London. „Die lästigste Etappe ist gleich am Anfang die Fahrt mit der Linie 62 zum Hauptbahnhof“, sagt der Brite, „und manchmal auch das Gewusel in Brüssel vor dem Eurostar-Zug“.

In diesem Winter wird Robert Vagg, der auf dem UN-Campus im Bundesviertel für die Bonner Konvention den Schutz der stark gefährdeten asiatischen Saiga-Antilopen überwacht, trotzdem nicht zu seinen Eltern fahren. „Sie sind beide über 90. Da ist das Risiko durch Corona einfach zu groß“, sagt der 59-Jährige mit markantem Akzent. So wird er 2020 mit seinem Bruder kein Hühnchen rupfen, damit es am ersten Weihnachtstag auf den elterlichen Esstisch kommt. Eigentlich kommt in England ein Truthahn in die Röhre, gefüllt mit Schinken, Kastanien, Pilzen, Nüssen und Cranberrys, aber der sei für seine Familie doch etwas mächtig. Dazu gibt es typische Vorspeisen wie „Pigs in Blankets“ – Würstchen eingerollt in Frühstücksspeck oder eine Weihnachtssuppe mit Räucherlachs. Zum Schluss dann noch ein kaloriensatter Weihnachtspudding mit Rosinen, Nüssen – flambiert mit Brandy.

Serie „The Crown“ gucken statt Weihnacht in der Heimat

„Danach ist man dann meist gelöster Stimmung. Auch wir setzen dann lustige bunte Papphüte auf, ziehen an den Christmas Crackers und erzählen uns alberne Witze“, berichtet Vagg. Die Crackers entsprechen Knallbonbons hierzulande, enthalten allerdings Fragewitze rund ums Weihnachtsfest. Woran etwa leidet Santa Claus, wenn er im Kamin steckenbleibt? – an Claustrophobie.

Ansonsten habe Prinz Albert ja manche Weihnachtstradition – etwa den Weihnachtsbaum – auf die Insel importiert, sodass Vagg in Bonn sich nun nicht völlig weihnachtsverloren fühlt. Als Single wird er wohl mit ein, zwei anderen Expats (Auswärtige) zusammensitzen und die umstrittene Serie „The Crown“ über das britische Königshaus anschauen.

Auch Hillary Sang bleibt diesmal lieber in Bonn. Seit neun Jahren ist der Kenianer für die Vereinten Nationen in der Stadt. Dieses Jahr ist Weihnachten für den gläubigen Christen ein ganz besonderes Fest, denn es ist das erste für seinen sechs Monate alten Sohn Noah. Zum Glück wohnt die Kernfamilie zusammen mit den Schwiegereltern in Mehlem. Gerne hätte Hillary den Kleinen an den Feiertagen seinen Eltern vorgestellt. Aber auch sein jährlicher Besuch in der Heimatstadt Kericho im Teeanbaugebiet im Westen Kenias fällt in diesem Jahr aus. „Wir könnten theoretisch fliegen. Aber die Infektionslage ist schwierig. Wir haben uns dagegen entschieden“, sagt Sang.

Auch in Kenia sind Weihnachtsbäume in Mode gekommen

Weihnachten in Kenia verläuft naturgemäß etwas anders als in Deutschland. Aber Weihnachtsbäume sind auch dort in Mode gekommen. Weil sie den Brauch aus dem Fernsehen kennen, würden viele der Nachbarn Weihnachtsbäumen mit Baumwollblüten ein künstliches Schneekleid aufsetzen. Vor allem aber sei Weihnachten ein Fest für die ganze Familie. „Dazu schlachten wir am Heiligabend eine Ziege. Das Fleisch ist sehr begehrt“, sagt Sang. Ein Teil komme in eine herzhafte Suppe, die Rippen und das Muskelfleisch am ersten Weihnachtstag auf den Grill.  „Die Männer fangen gleich am Morgen mit dem Feuermachen an. Mittags gibt es dann ein Festmahl.“

Der Abend und die Nacht dienten dem Gebet und der Erinnerung an die Geburt Jesu Christi. Am zweiten Feiertag stünden in normalen Jahren Besuche bei Onkeln und Cousins und Cousinen an. „Danach fühlt man sich dann wieder geerdet für ein neues Jahr“, sagt Sang. Geschenke für alle müsse er übrigens nicht mitbringen: „Das ist eigentlich nicht üblich. Wenn überhaupt, schenkt man den Eltern eine Kleinigkeit“.

Weiter weg als Neuseeland geht fast nicht

Noch weiter wäre die Heimreise für Melanie Virtue – aber sie nimmt sie sonst jedes Jahr auf sich. „Das wird nach zehn Jahren in Bonn mein erster Winter in Europa“, sagt die Neuseeländerin aus der Hauptstadt Wellington. Dort ist jetzt Sommer, und so verbringen eigentlich alle Landsleute die Feiertage zum Ende des Schuljahrs campend und grillend unter blühenden Pohutukawa-Bäumen am Strand. „Viele Kinder bekommen Surfbretter, Schlauchboote oder Drachen geschenkt und wollen die natürlich ausprobieren“, sagt Virtue.

Mit dem neuseeländischen Pass hätte Virtue zwar in das ansonsten abgeschlossene Inselland einreisen können. „Man muss aber 14 Tage auf eigene Kosten in kontrollierte Quarantäne in ein spezielles Hotel mit Soldaten vor der Tür“, sagt sie. Da spaziert sie lieber mit anderen Hundebesitzern jeden Tag durch den Kottenforst: „Das hält mich im grauen Regenwetter am besten mental aufrecht.“

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