In der Schuldenfalle, Teil 7 Und wo bitte geht's zur schuldenfreien Stadt?

BONN · Während Bonner Verwaltung und Politik mit Ach und Krach versuchen, ein Haushaltssicherungskonzept zu vermeiden, ist die Stadt gleichzeitig von großen Risiken umgeben, auch auf der Einnahmeseite.

Im Rathaus sind sie seit langem Getriebene der Geldnot. Die Lage spitzt sich zu. Der Stadtkämmerer sieht den Abgrund zum Haushaltssicherungsgesetz (HSK) bereits vor sich (siehe Folge 1) und die CDU/Grünen-Koalition den Rubikon bereits überschritten.

Seit Jahren ist man mit der Lupe nach Einsparpotenzialen unterwegs, doch es wird primär herumgedoktert mit dem Ziel, unbedingt den Verlust der Haushaltshoheit an den Regierungspräsidenten zu vermeiden. Die geerbte Hauptstadt-Infrastruktur (s. Folge 6) blieb erhalten, die chronische Netto-Neuverschuldung auch und damit ein Schuldendienst, von dem man sich drei Opernhäuser leisten könnte.

Der Bürger, egal ob Mieter oder Eigentümer, wird das ab 2013 über die geplante Erhöhung der Grundsteuer B ebenso spüren wie jedes in Bonn ansässige Unternehmen über die geplante Erhöhung der Gewerbesteuer.

Gleichzeitig sind sie im Rathaus auch Zitternde. Denn der fragile Haushaltsplanentwurf 2013/14, wie er Mitte Dezember beschlossen werden soll, ist "auf Kante genäht" und kann von einem plötzlichen Windstoß ins Nirwana gestoßen werden. Bonn hat einige besondere Risiken. Eine Auswahl:

  • Risiko Nr. 1: "Es gibt keine andere Stadt dieser Größenordnung in Deutschland mit solch einer Volatilität bei den Einnahmen", sagt etwa Florian Boettcher von der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern am Bereich für Stadt-, Regional- und Umweltökonomie. Volatilität bedeutet: Es geht rauf und runter mit der Gewerbesteuer-Einnahme. Was gestern eingeplant wurde, kann morgen schon Schnee von gestern sein. Boettcher meint damit die Abhängigkeit von großen Gewerbesteuer-Zahlern wie Deutsche Post DHL oder Deutsche Telekom. Hüstelt einer von beiden, bekommt Bonn gleich eine Grippe.
  • Risiko Nr. 2: Von der historischen Zinsflaute profitieren gegenwärtig alle Kommunen, die bereits ihre laufenden Gehälter mit Kassenkrediten (Dispo) bezahlen. Dazu gehört auch Bonn mit rund 460 Millionen Euro Kontoüberziehung. Nur zwei Prozent mehr bei 460 Millionen bedeutet höhere Pro-Tag-Ausgaben von rund 25.000 Euro, was in etwa dem Betrag entspricht, den Bonn täglich für alle Gymnasien zahlt. Gefahr droht aber auch noch aus der Bankenecke (s. Folge 4): Basel III droht die Ära zinsgünstiger Kommunalkredite zu beenden.
  • Risiko Nr. 3: "Bonn ist ein Grenzgänger im Finanzausgleich", so Kommunalforscher Boettcher. Zum Finanzausgleich: Auf zwei Wegen versuchen Bund und Land für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, denn Arbeitslose und Asylbewerber sind so wenig gleich übers Land verteilt wie Besserverdienende. Auch die demographische Struktur verursacht hier mehr, dort weniger Kosten. Den vertikalen Austausch soll das Land steuern, damit die "kommunale Familie" nicht Not leidet. Dann steuert noch der horizontale Finanzausgleich, der Ungleichheiten zwischen Städten und Gemeinden beseitigen soll. "Grenzgänger" bedeutet, dass Bonn bei einigen statistischen Kenngrößen immer knapp unter oder knapp über jener Schwelle liegt, um vom Finanzausgleich stark oder schwach zu profitieren.
  • Risiko Nr. 4: das World Conference Center Bonn (WCCB). "Ein Dämon liegt über der Stadt", glaubt OB Jürgen Nimptsch - ein böser, wankelmütiger Geist, von dem man nicht weiß, wie viele Millionen er noch vernichtet. Jedoch sind die von der Stadt gegenüber der Sparkasse KölnBonn unterzeichneten Bürgschaften kaum schicksalshafte Erscheinungen. Aus diesen sogenannten Nebenabreden stehen nach GA-Informationen noch 80 Millionen (inklusive Zinsen) im Raum - und in den Büchern der Sparkasse, während die Stadt sie einstweilen verdrängte. Seit Montag droht nun eine Klage der Sparkasse gegen die Stadt. Diese 80 Millionen bedeuten mit einem günstigen Kommunalzins und Tilgung rund 13.500 Euro täglich. Das entspricht etwa dem Betrag, mit dem die Stadt mehr als 50 freie Kulturstätten und 28.000 Kinder und Jugendliche in Sportvereinen bezuschusst sowie alle Friedhöfe betreibt - oder dem für 7,5 Tage Oper/Schauspiel.

CDU und Grüne spielen im Kanon der Ratsfraktionen die akribischen Vorarbeiter und haben sich wie nie zuvor mit dem Haushalt beschäftigt - und "Luft" herausgearbeitet, rund 20 Millionen. OB Nimptsch hat vor rund einem Jahr gemahnt: "Der Rat hat nur die Wahl, sich selbst zu entmachten oder die Kraft aufzubringen für Beschlüsse zu zwingend notwendigen Sparmaßnahmen." Die eigene Bedeutungslosigkeit droht, wenn Verschuldungsgrenzen überschritten werden und der Regierungspräsident das Zepter übernimmt.

Diese Entmachtung abzuwenden, würde einen totalen Perspektivwechsel erfordern: Politiker, die lieber etwas gestalten und bewegen, was in der Regel kostet, sollen nun Sparschweine aufstellen - und aktiv dafür eintreten. Das verspricht politische Rohkost in den Stadtbezirken und erfordert Rückgrat.

Denn nach der Methode "Kleinvieh macht auch Mist" zu sparen, ist mühselig. Soll man etwa die gerade eingeführten 100 Müllbeutelspender für Hundekot wieder abschaffen? Das brächte 10.000 Euro pro Jahr für den Haushalt, rettet ihn aber nicht.

Gespart werden kann nur bei den freiwilligen Leistungen. Das sind rund 100 Millionen. Doch es gibt eine Klassengesellschaft bei den Empfängern. In der 1. Klasse sitzen jene, die durch Verträge abgesichert sind: Oper/Schauspiel, Kunstmuseum, Beethoven-Orchester.

In der 2. Klasse wird dagegen gebibbert, wenn eine Sparwelle rollt. Hier sitzen - zum Beispiel - die freie Kultur, die Sportclubs oder die jährlich über 600.000 Schwimmbad-Nutzer. Die Vertragslosen sind stets die Sparkandidaten. Hierzu gehören auch die Gebäude der Stadt: Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Bäder stehen seit Jahren im Sanierungsstau.

Als Bonns ehemalige OB Bärbel Dieckmann (SPD) 2007 das Intendantenmodell auch für das Kunstmuseum fixierte, sagte sie zu dem Achtjahresvertrag, so werde das Haus unabhängig von Schwankungen im städtischen Haushalt. Spätestens seitdem (Ende 2009) das WCCB-Desaster Millionen aus der Stadtkasse saugt, zieht das Gespenst des Nothaushalts durch Bonn.

Die Vertragslosen haben das zu spüren bekommen: Zwischenzeitlich wurde die freie Kultur um 75 Prozent zusammengespart, die Sportvereine sollten mit 750.000 Euro (Sportstättennutzungsgebühr) sogar zur Etatsanierung beitragen und bekamen gleichzeitig - rückwirkend - in 2011 Zuschüsse gestrichen.

"Abgreifen" nannte das Nimptsch unverblümt in der WDR-Lokalzeit am Tag jener Demonstration Anfang November, als 5000 Bonner Sportler auf den Münsterplatz zogen. Das soll nun in 2013/14 wieder repariert werden.

Gespenstisch wirkt auch, dass das politische Bonn keine Debatte führt. Es herrscht Business as usual: Der Vertrag mit dem Intendanten des Theaters wurde um drei Jahre verlängert, der des Kunstmuseum-Intendanten vorzeitig bis 2020. Selbst im Nothaushalt-Fall wären beide vor Eingriffen durch die Kommunalaufsicht geschützt. Unterdessen bleiben öffentliche Wortmeldungen rar. Eine Bestandsaufnahme:

Die Industrie- und Handelskammer Bonn (IHK) fordert "stärkere Konsolidierungsbemühungen". Hauptgeschäftsfüh-rer Hubert Hille: "Mit Unverständnis sehen die Unternehmen, dass auf der Einnahmeseite an der Steuerschraube gedreht wird, die Ausgabenseite jedoch - wie seit Jahren - nicht angepackt wird.

Wir wirtschaften auf Kosten kommender Generationen, das kann so nicht weiter gehen. Bäder-, Hallen- und Kulturkonzepte sind überfällig." Er fordert "unpopuläre Maßnahmen", denn die "hauptstädtische Infrastruktur ist vielfach überdimensioniert und nicht mehr finanzierbar".

Weniger ernst genommen wird ein Bürgerbegehren, die Oper zu schließen. Dahinter steckt die Piraten-Partei, die aber als solche keinen Antrag stellen darf.

Helge Siegel, einer der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens, sagt: "Die Schulen vergammeln, Bäder sollen geschlossen werden, dieser Zuschuss-Wahnsinn muss aufhören." Ihm antwortet die größte Bonner Koalition aller Zeiten aus SPD, CDU, Linke, FDP und Grünen: "Eine Schließung der Oper ist nicht nur aus kulturpolitischer Sicht, sondern auch aus gesamtstädtischer Sicht grober Unfug (...)"

Die IHK schlägt als Sparkonzept die "Rasenmähermethode" vor, "um einen langatmigen, strittigen und wenig erfolgversprechenden Diskussionsprozess zu vermeiden". Der Bürger Bund Bonn (BBB) nennt für den Rasenmäher schon einmal die Schnitthöhe - fünf Prozent für alle freiwilligen Leistungen.

Doch den Schwerpunkt des BBB-Antrags bildet die Forderung, dass "die Stadt freiwillig für die Jahre ab 2014 ein Konzept zur Haushaltskonsolidierung unter strikter Anwendung" der dafür geltenden Vorschriften beschließen soll. Spätestens bis 2022 soll so "die Netto-Kreditaufnahme auf Null gebracht werden" und nach 2022 der Schuldenabbau beginnen.

Quo vadis Bonn? Es sieht nicht danach aus, als hätte der Stadtrat die Kraft zu einer Radikalkur für die Bonner Finanzen.

Sparpotenziale
Die Erfüllung gesetzlicher Vorgaben durch Land und Bund verschlingen rund 85 bis 90 Prozent des Bonner Haushalts. Nur über den Rest, die freiwilligen Leistungen, kann eine Stadt frei verfügen.

Im Eine-Milliarde-Haushalt der Stadt sind das - stark gerundet - etwa 100 Millionen Euro, wovon rund 58 Millionen oder 58 Prozent jeweils in 2013 und 2014 in die Kulturförderung fließen.

Von diesen 58 Millionen fließen rund 73 Prozent in Oper/Schauspiel, Kunstmuseum und Beethoven-Orchester

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