Experten weltweit gefragt Uniklinik Bonn überträgt Herz-OP im Livestream

Bonn · Die Operationssäle im Herzzentrum der Bonner Uniklinik sind kurzzeitig zu Fernsehstudios geworden. Grund ist ein Ärztekongress in Mailand, zu dem live komplizierte Herz-OPs übertragen werden.

Das war die Liveübertragung einer Herz-OP aus der Bonner Uniklinik
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Das war die Liveübertragung einer Herz-OP aus der Bonner Uniklinik

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Foto: Nicolas Ottersbach

Hat man nicht Lampenfieber, wenn einem 1000 Experten aus aller Welt bei einer Herzoperation über die Schulter schauen? „Nicht mehr als sonst“, sagt Kardiologe Georg Nickenig. Das müsste dem Patienten doch Sorgen bereiten, schließlich sind dann Schweißausbrüche und zittrige Hände üblich. „Für den Patienten ist es das Beste, was passieren kann, wenn so viele Augen auf ihn gerichtet sind.“ Fehler will sich kein Arzt erlauben. Und in so einer prominenten Situation geht es auch ums Renommee.

Noch eine Viertelstunde, dann steht Nickenig im OP und setzt einer alten und schwerkranken Dame eine neue Herzklappe ein. Diesmal sind aber nicht nur seine Kollegen der Bonner Uniklinik dabei. Sondern auch Kameraleute, Regisseure und Hilfspersonal. Die drei Eingriffe in drei verschiedenen Sälen werden werden in den kommenden zwei Stunden live zu einem internationalen Fachärztekongress nach Mailand übertragen.

Die Räume mussten dafür zu kleinen Fernsehstudios umgebaut werden. „Im medizinischen Bereich ist das schon etwas Besonderes“, erzählt Philipp Schlegel. Der gelernte Mediengestalter ist an diesem Donnerstagmorgen Kameramann in blauen Saal, die anderen beiden sind gelb oder grün beleuchtet. Die Farben sollen den Zuschauern helfen, sich zu orientieren, wenn zwischen den einzelnen Operationen hin- und hergeschaltet wird. Worauf es aber vor allem ankommt, ist die Sicherheit. „Wir dürfen den Ärzten nicht im Weg stehen und müssen auf die Sterilität achten.“ Nicht leicht, wenn zusätzliche Scheinwerfer aufgestellt, die Ärzte mit kleinen Funkmikrofonen ausgestattet und insgesamt mehr als 700 Meter Kabel verlegt werden.

Warum wurde das Herzzentrum in Bonn ausgesucht?

Dass ausgerechnet das Herzzentrum der Bonner Uniklinik ausgesucht wird, liegt an ihrer Expertise. Nickenig und sein Kollege Eberhard Grube, der diesmal die Operationen für die Zuschauer kommentiert, sind Pioniere des sogenannten TAVI-Verfahrens. Zigtausende solcher Eingriffe hat der 55-jährige Nickenig schon hinter sich, gilt als einer der Besten in der interventionellen, also katheterbasierten Herzmedizin. Statt den Brustkorb wie früher üblich aufzuschneiden, wird mit dünnen Drähten durch die Gefäße operiert. 

Beim TAVI-Verfahren sitzt am Ende des Drahtes eine biologische Herzklappenprothese, die erst in die richtige Position gebracht und dann entfaltet wird. Der Vorteil für den Patienten: Ein geringeres Risiko, weil es keine großen Wunden gibt. Das Verfahren ist jedoch noch so jung, dass man bislang nur sagen kann, dass die neue Herzklappe zehn bis 15 Jahre lang hält, ehe eine neue OP fällig wird. Jungen Menschen wird deshalb meist empfohlen, sich die neue Herzklappe klassisch in einer herzchirurgischen Operation einsetzen zu lassen, weil das etablierter und seit Jahrzehnten erprobt ist.

Etwa eine Stunde dauert Nickenigs Einsatz. „Ein perfektes Ergebnis.“ Dann wechselt er in den gelben Saal. Geht durch die verschachtelten Gänge am Pausenraum vorbei, um eine Cola zu trinken. Direkt nebenan haben die Fernsehleute in einem Oberarzt-Büro den Regieraum eingerichtet: Bildschirme, Tontechnik, Mischpulte. In der Schaltzentrale ist es hektischer, als im OP. Hier läuft alles zusammen. In jedem Saal gibt es fünf Kameras, eine davon schießt Röntgenbilder. Die Ärzte haben einen Knopf im Ohr, um sich mit den Moderatoren in Mailand und der Regie zu unterhalten. „Die Herausforderung ist, während der OP den Kongressteilnehmern auch noch alles verständlich zu erklären“, sagt Nickenig. Die Fachsprache ist Englisch.

„Man muss genau den richtigen Moment abpassen“

Im gelben Saal ist er nur Mentor. Und wird trotzdem gebraucht, als es brenzlig wird. Eine mitrale Herzklappe soll mit wäscheklammerähnlichen Clips geflickt werden, um wieder besser zu schließen. Denn nur wenn das natürliche Ventil dicht ist, läuft das Blut nicht an die falsche Stelle. Die Clips sitzen diesmal nicht auf Anhieb, weil es schwierig ist, die genaue Position zu erkennen. Zudem schlägt das Herz die ganze Zeit. 

„Man muss also genau den richtigen Moment abpassen“, erklärt Kardiologe Ulrich Becher. Verpasst man ihn, sei das aber nicht so schlimm. „Der Clip kann in einem neuen Versuch repositioniert werden, zur Not lässt sich die minimal-invasive OP auch ohne Probleme abbrechen. Die Mitralklappe wird dann chirurgisch repariert.“ Im grünen Saal säubert man derweil verkalkte Herzgefäße von innen, damit das Blut besser fließt. Hier hat Hsien-Li Kao das Sagen. Er wurde aus Taiwan eingeflogen und gilt als einer der renommiertesten Spezialisten für die sogenannte Rekanalisation. Bei Kongressen dieser Größenordnung keine Seltenheit.

Als die Sendezeit vorbei ist, fällt die Anspannung bei allen Beteiligten ab. Aber nur kurz. Während die Experten in Mailand nun diskutieren, geht es in Bonn weiter. OPs säubern, Patienten vorbereiten. In einer Stunde steht die nächste Live-Übertragung an – und auch Nickenig ist wieder dabei.

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