SWB-Bahnen Unterwegs mit einem Straßenbahn-Fahrschüler in Bonn

Dransdorf · Die Prüfung steht für den Fahrschüler Christoph Zerlett an. Künftig wird er eigenverantwortlich SWB-Straßenbahnen fahren. Der GA hat ihn bei einer Fahrstunde begleitet.

 Fahrschüler Christoph Zerlett ist sich seiner Verantwortung als künftiger Bahnlenker sehr bewusst. Zunächst muss er aber die Prüfung bestehen.

Fahrschüler Christoph Zerlett ist sich seiner Verantwortung als künftiger Bahnlenker sehr bewusst. Zunächst muss er aber die Prüfung bestehen.

Foto: Benjamin Westhoff

An der Haltestelle warten. Bahn kommt. Einsteigen. Kaum jemand registriert den Fahrer der Straßenbahn vorn hinter der großen Scheibe, die Hand am Schalthebel. Er trägt die Verantwortung für die Sicherheit Hunderter Passagiere – auch wenn vieles automatisiert und gesteuert ist. Dessen ist sich Christoph Zerlett sehr bewusst. Die Konzentration ist dem Fahrschüler ins Gesicht geschrieben. Doch die Aussicht, dass er bald eigenständig Bahnen lenken wird, entlockt dem 25-Jährigen ein Freudestrahlen. Traumberuf? „Genau das.“

Ursprünglich hatte er ein Studium begonnen. Brandschutz. „Aber es war nicht das Richtige.“ Büro ist nicht sein Ding. Jetzt macht er bei den Stadtwerken Bonn eine Ausbildung zur Fachkraft im Fahrbetrieb – und schon bald den Führerschein für Straßenbahn. „Falsch“, sagt er und kann den Fehler nicht durchgehen lassen, sondern korrigiert: „Es heißt Fahrberechtigung, nicht Führerschein, und sie gilt nur für den Bonner Verkehrsbetrieb.“ 

40-Tonnen-Kolosse mit viel Technik

Alle Bahnen der Stadtwerke sind durchnummeriert. Wer sich als Fahrgast dafür interessieren sollte, wie alt die Bahn ist, in die er einsteigt, kann das an der vierstelligen Zahlenfolge am Bug ablesen. Die ersten beiden Ziffern geben nämlich das Baujahr an, die folgenden ergeben eine Art Inventarnummer. Also: Wie alt ist die Bahn 7757? Dass Straßenbahnen ein hohes Alter im aktiven Dienst erreichen, ist für Rolf Schröder, einen der SWB-Bahn-Fahrlehrer, völlig normal. „30 Jahre sind das Mindeste“, sagt er. Jede Bahn wird jeden Tag im Depot in Dransdorf gewartet und gewaschen. Dafür stehen Kollegen rund um die Uhr zur Verfügung. Und wenn eine Bahn ausgemustert werden muss, ist sie immer noch begehrtes Kaufobjekt für andere Länder.

Selbstverständlich wird sich Christoph Zerlett bei der Prüfung auch mit den technischen Unterschieden der verschiedenen Bahnen auskennen. Niederflur- oder Stadtbahn, Pneumatik und Elektrik, älter oder modern – jedes Gefährt hat Eigenheiten. Wiederum allen gemeinsam ist: Mit rund 40 Tonnen sind es Schwergewichte. Auf Touren gebracht, müssen die Bremsen in den unterschiedlichen Situationen zuverlässig funktionieren. Das tun sie auch, aber das physikalische Gesetz von der Trägheit der Maße bekommen Fahrgäste hin und wieder zu spüren. Wenn die Bahn etwa wegen eines Hindernisses abrupt zum Stehen kommt, schnellen die Insassen unsanft nach vorne. Damit sie ruhig sitzen oder stehen können, soll Zerlett die Bremsmanöver vorausschauend einleiten – „sonst gibt es Beschwerden.“

Leitstelle begleitet alle Bahnen

Anders als im Bus sitzt der Straßenbahnfahrer in einer Kabine. Ein Schild sagt deutlich: „Nicht mit dem Fahrer sprechen.“ Zerlett findet das richtig, denn er muss achtgeben. „Daher dürfen Straßenbahnlenker nicht länger als viereinhalb Stunden arbeiten und müssen dann eine Pause machen“, erläutert Schröder. Für die Fahrstunde wird sich Zerlett mit seiner Bahn in den laufenden Betrieb einfädeln. Der Laie denkt sofort an die Gefahr eines Zusammenstoßes. „Kann nicht passieren“, beruhigt er. Alle Fäden laufen in der Leitstelle zusammen, soll heißen: Die Kollegen dort haben zu allen Bahnen unterwegs Kontakt und alles auf dem Schirm. Auf der Strecke sind außerdem immer spezielle Signalanlagen aktiviert, die eingreifen, wenn etwas nicht nach Vorschrift läuft, etwa die eine Bahn einer vorausfahrenden zu nahekommt.

Die Leitstelle gibt grünes Licht. Bahn frei für die Fahrschule. Also: Ab die Post! Lehrer Schröder hebt mahnend den Zeigefinger. Was sich die Leute so vorstellen. Die Höchstgeschwindigkeit für Straßenbahnen auf Bonner Stadtgebiet ist auf 80 gedrosselt. Sie könnten und dürften zwar ein wenig schneller, das ist aber wegen des Energieverbrauchs nicht vernünftig. Zumal es nur wenige Streckenabschnitte gibt, auf denen die Bahn richtig Tempo machen kann. Ein solcher Abschnitt ist beispielsweise zwischen Ramersdorf und Oberkassel.

Die Bibel für Straßenbahnfahrer

Heute fährt Zerlett auf den Gleisen der Linie 16 nach Bad Godesberg. Vorschriftsmäßig und fahrgastfreundlich. Der Fahrlehrer hat wenig zu meckern. Erstaunlich, wie die Bahn schon beim Verlassen des Betriebsgeländes in Dransdorf wie von Geisterhand den richtigen Weg auf den Schienensträngen findet. Weichenkunde und Streckenkunde sind wichtige Kapitel in der Bibel für Straßenbahnfahrer. Erster Halt: Bonn-West. Dort warten Fahrgäste. Vom Handy abgelenkt, nehmen sie zwar wahr, dass eine Bahn einfährt. Das Einsteigen bleibt ihnen jedoch unvermutet verwehrt, weil sich die Türen nicht öffnen. Verdutzt bis empört blicken sie auf. Zerlett vermeldet per Außenlautsprecher, dass es sich um eine außerplanmäßige Bahn handelt. Ach so, Fahrschule. Entsprechend säumen enttäuschte Fahrgäste Zerletts Weg.

Im Tunnelsystem hinter dem Hauptbahnhof muss seine Bahn halten, der reguläre Betrieb hat Vorfahrt. Ein bisschen unheimlich ist es schon, in der finsteren Röhre zu stehen. Normalerweise würde Zerlett eine Erklärung durchsagen. Bei näherem Hinsehen sind an den Tunnelwänden Botschaften angebracht – keine geheimen, sondern Informationen für die Bahnlenker über Besonderheiten auf der Strecke.

Stress mit Autofahrern

Wieder auf offener Strecke Richtung Hochkreuz, mahnt der Fahrlehrer noch einmal zu erhöhter Aufmerksamkeit. Dieser Streckenabschnitt hat seine Tücken. In den Tunneln fahren nur die Bahnen, oberirdisch kreuzt jedoch der Individualverkehr an vielen Stellen die Schienen. Unfallgefahr. Bammel haben die Lenker vor Autofahrern, die sich just in dem Moment, wenn eine Bahn kommt, entschließen, verbotswidrig über die Gleise hinweg zu wenden. Dann lernen die Passagiere die Gefahrenbremse kennen. Begleitet von einem schrillen Alarmklingeln geht der Fahrer buchstäblich voll in die Eisen, bis sie kreischen und die Fahrgäste fast aus den Sitzen gerissen werden. Es ist das kleinere Übel. Nicht auszudenken, wenn der tonnenschwere Koloss auf den Pkw treffen würde. Zuletzt kollidierte am 31. Januar eine Straßenbahn der Linie 63 auf der Kreuzung Heinemannstraße/Godesberger Allee mit einem Auto. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Was ist ein Kopfwechsel?

„Hier Kopfwechsel“, weist der Fahrlehrer knapp an. Wie soll man das jetzt verstehen? Zerlett packt seine Sachen. „Es tut nicht weh“, amüsiert er sich über das Unverständnis. Damit die Bahn in die entgegengesetzte Richtung, in dem Fall zum Betriebsgelände in Dransdorf, fahren kann, muss der Lenker in die Fahrerkabine am anderen Ende Bahn. Rückwärtsfahren ist strengstens verboten. Falls es doch einmal sein muss, beispielsweise bei der Kollision mit einem Pkw, wird ein Einweiser herbeigerufen. Das ist ein Grund, warum es bei Straßenbahnunfällen länger dauert, bis die Stelle geräumt ist.

Als der Fahrschüler den Zündschlüssel abgezogen und sich bei der Leitstelle abgemeldet hat, klopft Schröder ihm anerkennend auf die Schulter. Der Mann ist seit über elf Jahren Fahrlehrer. „Es gibt wenig Situationen, die uns aus der Bahn werfen können“, sagt er. Na , dann bleibt nur, dem 25-jährigen Christoph Zerlett viel Glück für die Fahrprüfung zu wünschen. Wir drücken die Daumen.

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