Offenes Singen in Röttgen Ursula Stamp begeistert seit über 50 Jahren für Musik

Röttgen · Die Röttgenerin Ursula Stamp lädt regelmäßig zum offenen Singen ein, was immer rund 100 Röttgener anlockt. Sie hat zudem unzähligen Kindern das Musizieren gelehrt.

 Das gemeinsame Singen mit Ursula Stamp ist ein allmonatlicher Jungbrunnen für viele Röttgener.

Das gemeinsame Singen mit Ursula Stamp ist ein allmonatlicher Jungbrunnen für viele Röttgener.

Foto: Stefan Hermes

Die fröhlichen Begrüßungen und der lebhafte Austausch der an die 100 sangesfreudigen Röttgener, die sich im Gemeindesaal der Thomaskirche zum Offenen Singen mit Ursula Stamp getroffen haben, verstummen in dem Moment, in dem Stamp resolut mit einem auf dem Klavier bereitstehenden Glöckchen klingelt.

Sie wird das im Laufe des Nachmittags noch öfter tun. Denn immer wieder sorgt die entspannt fröhliche Atmosphäre des Zusammenseins für den Austausch von Erinnerungen und Gedanken, die in den Momenten zwischen den Liedern ihren Raum suchen. Doch die ehemalige Kantorin der evangelischen Gemeinde lässt dafür nur wenig Zeit.

Gut gelaunt treibt Stamp mit einem begeisternd ansteckenden Parforceritt durch die bereitgelegte Liedersammlung. Ohne sich lange mit Begrüßungsritualen aufzuhalten – sie hatte bereits beim Eintreffen für jeden persönliche Worte gefunden –, legt sie los: „Wir fangen an mit “Am Anfang die Sonne„.“ Schon nimmt die inzwischen über Siebzigjährige behände am Klavier Platz und beginnt mit ihrem variationsreichen und animierenden Vorspiel.

Neben dem Singen ist das Klavierspielen ihre zweite Leidenschaft. „Ich liebe einfach Orte mit einer guten Atmosphäre“, sagt sie. Ihr sei es ein Anliegen, dass die Menschen fröhlich sind. Ihre sympathischen Lachfältchen um die Augen legen dem Beobachter die Schlussfolgerung nahe, dass sie in ihrem Leben viel gelacht haben muss. Dass es ihr immer gut gegangen sei. „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt Stamp und hält einen Moment lang inne.

Sie erinnert sich an eine schwere Zeit in Breslau, als ihr Vater Hans-Joachim Konrad als Pfarrer von den Nazis verfolgt und mehrfach in Haft genommen wurde. An die Flucht ihrer Familie, die sie 1955 mit ihrer Schwester und ihren drei Brüdern über einige Umwege als Zwölfjährige nach Bonn brachte. Da hatte sie schon traumatische Erlebnisse mit einer sadistisch veranlagten Lehrerin einer Klosterschule in Neuss hinter sich, die sie noch bis heute verfolgen. Auch ein Grund dafür, dass sie das Clara Schumann Gymnasium in Bonn noch vor dem Abitur verließ und durch das Bestehen einer Begabtenprüfung zur Musikhochschule nach Köln wechseln konnte.

Im Hause Konrad wurde viel musiziert

Musik habe schon immer eine große Rolle in ihrem Leben gespielt, sagt sie und erzählt von dem Einfluss ihrer Mutter, die „mit Leib und Seele Pfarrfrau war“. Es wurde viel musiziert und diskutiert im Hause Konrad. „Mein Elternhaus hat meinen Freiheits- und Gerechtigkeitssinn geprägt“, sagt sie. Ein stummer Zeuge davon ist ein kleines Relief, das im Eingang ihres Hauses hängt und zur Zeit der Nazidiktatur von ihrem Vater modelliert wurde: Till Eulenspiegel sitzt rücklings auf einem Esel und zeigt im Kriegsjahr 1940 allen den Vogel. „Ich habe meinem Zuhause sehr viel zu verdanken“, sagt Stamp und fügt nachdenklich hinzu: „Das, was man ist, ist man durch das, was man erlebt hat.“

In dem Moment, als sie auf den Juristen Joachim Stamp anlässlich der Trauung einer Freundin durch ihren Vater in der Schlosskirche traf, glaubte sie, den Mann fürs Leben getroffen zu haben. Sie heirateten, bekamen einen Sohn miteinander und ließen sich jedoch rund zwei Jahre später wieder scheiden. „Er war ein wunderbarer Mann“, sagt Ursula Stamp rückblickend. Aber es stehe schon in der Bibel, dass man nicht in das Elternhaus des Mannes ziehen solle, womit sie den scheinbar unüberwindlich negativen Einfluss ihrer Schwiegermutter andeutete.

„Aber wie immer in meinem Leben“, so die ehemalige Kantorin, folgten den Tiefpunkten immer wieder glückliche Wendungen. So zog die dann alleinerziehende Mutter zu ihrer fünf Jahre älteren Schwester Dorothea, die bereits als Ärztin in Röttgen praktizierte. „Sie schickt der Himmel“, muss damals Pfarrer Klaffke gesagt haben, als sie sich anbot, nebenberuflich als Kirchenmusikerin in der Gemeinde tätig zu werden.

Zwischenzeitlich hatte sie begonnen, an der Pädagogischen Hochschule für das Lehramt in den Fächern Musik, Religion und Deutsch zu studieren. Als sie ihr Studium mit Auszeichnung abschloss und kurz davor stand, Röttgen als Kirchenmusikerin zu verlassen, bot man ihr eine Festanstellung als Kantorin an. Seit dieser Zeit prägte sie die kulturelle und musikalische Erziehung Hunderter Kinder Röttgens.

„Sie ist einfach unvergleichlich. Ein Schatz“, sagt beim offenen Singen eine Dame, die bereits seit mehr als 50 Jahren mit Ursula Stamp singt. Kaum 20 Jahre ist es her, dass Stamp mit „Der Fischer und seine Frau“ ihre selbst komponierte und geschriebene Kinderoper zur Aufführung brachte, in der sie einen Chor ihr selbst verfasstes Lebensmotto in Versform sagen lässt: „Lasst uns alle neu beginnen, lasst uns bau'n ein neues Haus. Wahrer Reichtum bildet sich von innen, bildet sich vom Herzen aus. Sich vom Alltag fortbequemen, selber handeln ist Gewinn. Liebe geben, Liebe nehmen, füllt das Leben, schenkt ihm Sinn.“

Das offene Singen findet am zweiten Montag im Monat, also das nächste Mal am 9. September, von 15.30 bis 16.45 Uhr im Gemeindezentrum der Thomaskirche, Herzogsfreudenweg 42, statt. Liedertexte werden gestellt, Notenkenntnisse sind nicht nötig.

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