Seenotrettern drohen lange Haftstrafen Vereine informieren in Bonn über Rettung von Flüchtlingen

Bonn · Der Verein „Jugend rettet“ und die Seebrücke Bonn informieren an diesem Samstag auf dem Münsterplatz über die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer mit der „Iuventus“, die seit 2017 in Lampedusa festsitzt. Gegen Teile der Besatzung ermitteln italienische Behörden.

 Anna B. versorgte notleidende Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs "Iuventa".

Anna B. versorgte notleidende Flüchtlinge an Bord des Rettungsschiffs "Iuventa".

Foto: privat

Krieg, Verfolgung und Perspektivlosigkeit: Hunderttausende Menschen fliehen jedes Jahr nach Europa. Fast 1000 von ihnen sind allein in diesem Jahr auf der Fahrt übers Meer ums Leben gekommen. An diesem Samstag von 10 bis 18 Uhr zeigt der Verein „Jugend rettet“ mit der Seebrücke Bonn auf dem Münsterplatz Bilder vom Einsatz auf dem Helferschiff "Iuventa", mit dem bereits viele schiffbrüchige Flüchtlinge gerettet wurden und das 2017 in Italien von den Behörden festgesetzt wurde. Gegen einen Teil der Besatzung wird wegen Beihilfe der illegalen Einreise ermittelt.    

Anna B. aus Bonn, die ihren vollen Namen aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen will, engagiert sich seit 2015 für Notleidende auf hoher See. „Ich wollte nicht länger zusehen, wie Menschen bei dem Versuch ertrinken, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen“, sagt die Medizinerin. Deshalb ist sie Mitglied im gemeinnützigen Verein „Jugend rettet“, der 2016 ein über Spenden finanziertes ehemaliges Schiffereifahrzeug kaufte und umbaute - die "Iuventa". Als ehrenamtliches Mitglied des Medical-Teams bereitete Anna die medizinische Versorgung für die erste Rettungsaktion vor und war auch mit an Bord, als das Schiff erstmals in See stach.

Einige Seemeilen vor der libyschen Küste, von der aus die zentrale Mittelmeerroute in Richtung Italien führt, erstreckte sich das Suchgebiet der Helfer. Das 13-köpfige Team bestand aus Nautikern, einem Kapitän, Bordingenieuren, Offizieren und einem Ärzteteam. Unterstützt wurde die Crew vom Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom, das den Helfern Seenotfälle meldete. Mit Schnellbooten fuhr eine kleine Gruppe der "Iuventa"-Crew nah an das zu rettende Boot heran und verteilte Rettungswesten.

An Bord des Rettungsboots wurden die Schiffbrüchigen von Anna und einem weiteren Arzt versorgt. „Ein Großteil der Menschen war sehr erschöpft, dehydriert, viele traumatisiert, weil sie schwerste Menschenrechtsverletzungen und Folter in den libyschen Internierungslagern ausgesetzt waren“, berichtet die Ärztin. Eine Situation ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: "Die leuchtenden Augen der Menschen, als wir Wasserflaschen ausgeteilt haben und ihnen den Wasserhahn gezeigt haben, damit sie die Flaschen immer wieder neu auffüllen können."

Nach der Erstversorgung übergab das Helferschiff die Schützlinge an größere Schiffe, etwa von der italienischen Küstenwache oder von Ärzte ohne Grenzen, die die Geflüchteten nach Italien brachten. Dann ging die Suche weiter. Permanente Anspannung, wenige Rückzugsmöglichkeiten und „die Angst, zu spät zu kommen, und nur noch Leichen bergen zu müssen“ belastete die gesamte Crew. Zwei Wochen lang dauerte Annas Einsatz auf der "Iuventa", hinzu kam eine Vor- und Nachbereitungsphase.

Seit August 2017 ist das Schiff am Hafen von Lampedusa festgesetzt. Dem Verein wird vorgeworfen, mit Schleppern zusammengearbeitet zu haben. Von einem Tag auf den anderen habe es Anfeindungen gegen ihre Organisation gegeben, berichtet sie. „Es gab über 100 teils sehr konkrete Morddrohungen gegenüber Mitgliedern unseres Vereins.“ Auch die Bonnerin wurde für ihr Engagement angegangen. Der Vorwurf der italienischen Behörden sei jedoch haltlos, meint Anna.  Gegen zehn der Crew-Mitglieder werde derzeit wegen „Beihilfe zur illegalen Einreise“ ermittelt, obwohl es Gegenbeweise gebe, die deutlich machen, dass nachweislich aus rein humanitären Gründen gehandelt wurde. Im Falle einer Verurteilung drohen den betreffenden Crew-Mitgliedern 20 Jahre Haft. Davon lässt sie sich allerdings nicht abschrecken und engagiert sich weiter für Notleidende im Mittelmeer.

Als 2018 der Dokumentar-Film „Iuventa-Seenotrettung ein Akt der Menschlichkeit“ in die Kinos kam, sei die Solidarität sehr groß gewesen, sagt die Doktorandin. Im Zuge der Covid-19 Pandemie sei das Thema Seenotrettung jedoch in den Hintergrund geraten. „Aktuell liegt der Fokus verständlicherweise auf den von dem Hochwasser massiv betroffenen Regionen in NRW und Rheinland-Pfalz. Gleichzeitig sollte nicht vergessen werden, dass täglich Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer sterben.“

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