Bombenangriff auf Bonn Versöhnung nach 68 Jahren

BONN · Der Bericht im General-Anzeiger über den schwarzen 18. Oktober 1944, als britische Bomber die Bonner Innenstadt in Schutt und Asche legten, hat Aufmerksamkeit in Großbritannien erregt.

Sue Humphrey hat ihn gelesen, denn ihr Vater Leonard Boyer war einer von 130 Bomberpiloten gewesen, die in den letzten Kriegsmonaten das für Bonn schlimmste Feuerinferno auslösten. "Noch kurz bevor er 1995 73-jährig starb, sagte mein Vater, dass ihm die enorme Belastung der Kriegsmonate 1944 sein ganzes Leben gequält habe."

Die Royal Air Force hatte am 18. Oktober 1944 nur eine Stadt im Nazi-Deutschland gesucht, deren Bebauung noch weitgehend intakt war, um die Wirksamkeit eines neuen Navigationssystems zu testen. Als der 21-jährige Flying Officer Boyer am Vormittag nach kurzer Zeit wieder abdrehte, starben unter ihm 300 Zivilisten, 20 000 wurden obdachlos.

Sue Humphrey ist Pädagogin und Theologin, und inzwischen selbst Großmutter. Als ihr Vater damals Kurs auf Bonn nahm, war ihre Mutter mit ihr, Sue, schwanger. Der werdende Vater flog insgesamt 34 Mal mit dem Kampfflieger Richtung Deutschland, bis er im Frühjahr 1945 schwer verwundet wurde. "Er war ein nachdenklicher Mann mit einem Anflug von Traurigkeit und tief im Inneren einem Schmerz, dass auch Tausende seiner Kameraden starben", blickt die Tochter zurück.

Mit ihrem Mann war sie im Oktober in Deutschland, in Bonn, in Essen. Zufall? "Wir haben genau die Orte aufgesucht, die mein Vater in seinem Bomber-Logbuch zwischen September und Dezember 1944 notiert hat", schreibt Humphrey dem GA - und schickt die entscheidende Seite dieses Vollzugsnachweises gleich mit.

Die Daten des Todes, die Flugzeugnummern, die Abwurfmengen der Bomben, die Tageszeiten der Zerstörung, alles das hat Leonard Boyer akribisch vermerkt. Duisburg, Bonn, Stuttgart, Essen: Innerhalb weniger Oktobertage warf er über den Städten Unmengen an tödlicher Fracht ab. Und dann schickt Sue Humphrey ein Foto nach: Es zeigt ihren Vater 1944 inmitten seiner Kameraden. Die meisten sind wie er blutjung. Einige mimen den Draufgänger. Andere scheinen verlegen. Boyer in der Mitte schaut dunkel ins Bild. "Wir haben im Herbst die Pilgerfahrt gemacht, die ich schon lange vorhatte", erklärt die Tochter, die in der Heilsarmee arbeitet. Wie ein Samen sei in ihr nach dem Tod des Vaters der Plan gereift, auf persönlicher Ebene Versöhnung beim ehemaligen Feind zu suchen.

"Keine Religion, Philosophie oder Logik kann garantieren, dass wir nicht wieder aufeinander losgehen. Nur wir Menschen selbst können beweisen, dass da ein Gott ist, der den Frieden unter uns wiederherstellt", ist die 67-Jährige überzeugt.

Im Bonner Münster, genau da, wo ihr Vater vor 68 Jahren seine Bomben abwarf, betete Sue Humphrey damals. Einen "Akt der Wiedergutmachung" im Sinne ihres Vaters nennt die Tochter ihren Gang an die ehemaligen Orte der Verwüstung. "Es ist nie zu spät, dass Wunden heilen, wenn die Menschen es nur wollen. Das ist die Botschaft der Hoffnung."

Auch der letzte Überlebende der Bombercrew, der auf dem Foto 1944 als schlaksiger 19-Jähriger rechts neben Leonard Boyer steht, habe sie in diesem Unternehmen bestärkt, erzählt Humphrey. "Der Krieg hat schreckliche physische und seelische Wunden in unseren Völkern gerissen." Und wie haben die Deutschen ihre Wallfahrt auf den Spuren des Vaters aufgenommen? Keine Frage für Sue Humphrey. "Die Menschen, die wir trafen, waren für Vergebung und Versöhnung mehr als bereit."

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