Veranstaltungsstätten in Bonn Viele Hallen, kein Konzept

Bonn · In den letzten Jahrzehnten entstand in Bonn eine Art Wildwuchs. Die eine Halle "kann" das, die andere etwas anderes, und manchmal hat sie die falsche Größe. Es fehlt an konzeptionellen Überlegungen und einer langfristigen Planung - auch in Bezug auf die Instandhaltung und das jeweilige Profil.

Bonn ist reich an unendlichen Geschichten. Eine davon handelt vom Hallenkonzept. Schon 1992 berichtete der General-Anzeiger über die Forderung der Bonner Politik nach einem "Hallenkonzept 2000". Es dauerte dann sage und schreibe 13 Jahre, bis die Verwaltung ein Papier lieferte, das jedoch im Wesentlichen nur eine Bestandsaufnahme von Hallen und Veranstaltungsräumen in städtischem Besitz war. Die Politik befand 2005: zu wenig aussagekräftig. So verschwand das Ergebnis dieses ersten Anlaufs zu einem Hallenkonzept wieder in der Versenkung.

Seitdem wurden immer wieder Rufe aus allen politischen Fraktionen und der Wirtschaft nach einem Hallenkonzept laut, das nicht nur die Veranstaltungsstätten und ihren baulichen Zustand, sondern auch deren Profil, Auslastung und Vermarktung umfassen sollte. Bevorzugt dann, wenn eine Entscheidung anstand, es um Weichenstellungen für das World Conference Center Bonn (WCCB), das Festspielhaus oder die Beethovenhalle ging, wuchs die Begehrlichkeit. Und dennoch ging es nicht voran. Das Ergebnis: Stillstand.

Der letzte Hallenkonzept-Auftrag der Politik an die Verwaltung datiert vom 30. Juni 2005. Seitdem ist zwar in und um Bonn viel Neues in Sachen Hallen entstanden, aber bis heute kein Hallenkonzept, was möglicherweise auch daran liegt, dass jeder - je nach Perspektive - etwas anderes darunter versteht.

Bis zum Jahreswechsel 2015/2016. Ashok Sridharan, frisch im Amt des Bonner Oberbürgermeisters, kündigte im Dezember im GA-Interview an, sich den Projektplan für ein Hallenkonzept vorlegen zu lassen, bei dem auch private Veranstaltungsorte ab 200 Plätzen berücksichtigt werden sollen. Im Amt für Wirtschaftsförderung, dessen Zuschnitt Sridharan entsprechend veränderte, wird daran gearbeitet. An der Projektstruktur wohlgemerkt, (noch) nicht an der Erstellung des Konzepts selbst.

Die Ansprüche der Veranstalter haben sich geändert

"Es geht um die strategisch und finanziell bedeutende Frage, wie die Stadt mit ihrer umfangreichen und sanierungsbedürftigen Struktur umgeht", sagt Wirtschaftsfördererin Victoria Appelbe. Ziel sei es, zunächst einen Grundsatzbeschluss von der Politik zu erhalten, ob das Konzept als großer Wurf angelegt wird, somit auch die privaten Veranstaltungshallen in Bonn und der Umgebung beinhaltet, oder der Fokus sich auf die städtischen Immobilien beschränkt. Unklar ist auch: Sind Sporthallen dabei? Geht es auch um ungewöhnliche Veranstaltungsorte? Oder eben nicht. Appelbe: "Eine Definitionsfrage."

Viele der städtischen Hallen sind marode. Die Beethovenhalle wird ab Jahresende für mehr als 60 Millionen Euro saniert und umgebaut. Den Sanierungsbedarf bei den Spielstätten der Städtischen Bühnen kalkuliert das Theater mit 37 Millionen Euro für die dringendste Mängelbeseitigung bei der Oper; eine Modernisierung würde 75 Millionen Euro kosten. Für die Kammerspiele reicht die Spanne von 5,8 bis 12 Millionen Euro. Ebenfalls in die Jahre gekommen sind dass 1989 fertiggestellte Brückenforum und die 1955 eröffnete Bad Godesberger Stadthalle. Allein für den denkmalgeschützten Bau, in dem dereinst die SPD ihr Godesberger Programm verabschiedete, rechnen Experten mit einem Investitionsstau, der schnell mal 20 Millionen Euro betragen könnte. Rücklagen? Fehlanzeige.

Derweil wird trotz der vielen Hallen der Raum für Konzerte, für Feste und Unternehmens-Events knapp. Manche sagen: Der Bestand ist unterentwickelt. Tatsächlich weichen große Unternehmen wie Telekom oder Postbank, sofern die Basketballarena "Telekom Dome" nicht ausreicht, immer öfter nach Köln aus, weil die städtischen Hallen in Bonn nicht einmal mehr den Ansprüchen für ein ordentliches Betriebsfest genügen.

Für Richard Bölle von Prime Entertainment, einer der größten Konzertagenturen Deutschlands mit Sitz in Köln, ist Bonn längst kein lukrativer Austragungsort mehr. Prime Entertainment veranstaltet jährlich mehr als 400 Konzerte, vom kleinen Clubkonzert bis zu Open-Air-Ereignissen mit mehr als 100 000 Zuschauern, dazu Industrie- und Corporate Events. Der Grund für das eher zurückhaltende Engagement in der Bundesstadt sind Zustand und Kapazitäten der Hallen. Wenn indes das Westwerk realisiert würde, wäre Bonn wieder interessant.

Das Westwerk-Projekt als neue Chance für Bonn

Es soll am Standort des ehemaligen Schlachthofs errichtet werden. Diskutiert wird es seit gut vier Jahren. Und so mancher Kommunalpolitiker behauptet hinter vorgehaltener Hand, die Verwaltung habe das Projekt absichtlich verzögert, weil sie in dem Konzept einer Investorengruppe um den früheren R(h)einkultur-Chef Holger Jan Schmidt eine Konkurrenz zur städtisch betriebenen Beethovenhalle sehe. Dass die Stadt private Hallen als Konkurrenz empfindet, hört man auch schon mal rund um die Basketshalle.

Doch die Kommunalpolitik war diesmal ausnahmsweise einig, dass sie das Westwerk will, doch die Informationen in den Gremien flossen zäh wie ranziges Öl. Mittlerweile gibt es grünes Licht, aber jetzt hakt es an einer Gesamtkonzeption. Schmidt und Partner sind Teil eines Projektteams, das sich mit der Quartierentwicklung auf dem alten Schlachthofgelände und anliegenden Freiflächen befasst. Eine Gruppe von Investoren arbeitet an einem Gesamtkonzept für das Areal, wo ein Konzertsaal für maximal 1700 Zuschauer und der Club für Veranstaltungen (bis zu 600 Personen) das Herzstück auf einem Drittel der Fläche bilden sollen.

Die Halle, technisch auf dem neuesten Stand, soll nicht nur für Rock- und Popkonzerte genutzt werden, sondern auch als Probebühne für Tourneen, für Karnevalsveranstaltungen oder Firmen-Events. Auch die haben heute andere Ansprüche als früher. Im Rockbereich träumen Veranstalter von Hallen wie in den USA: Die Sattelschlepper fahren direkt an die Bühne, laden ab und fahren hinten wieder raus.

Schmidt: "Wie sieht eigentlich die Nachfrage aus?"

Konkurrenz zur Beethovenhalle? Holger Jan Schmidt schüttelt den Kopf: "Wir haben ein völlig anderes Konzept und gar keine vergleichbaren Kapazitäten." Und braucht die Stadt Bonn ein Hallenkonzept, wie es seit fast 25 Jahren immer wieder gefordert wird? Schmidt zuckt die Schultern. Für ihn, der schon seit Jahren mit seiner Agentur Bonn Promotion Departement (BN*PD) unter anderem in Sachen Nachhaltigkeit auf Festivals international unterwegs ist, stellt sich zunächst eine andere Frage: Wie sieht eigentlich die Nachfrage aus?

"Wenn sich die Stadt nicht professionell damit auseinandersetzt, wenn sie nicht auf das Expertenwissen von Veranstaltern zurückgreift, dann wird sie keine wirtschaftlich zufriedenstellende Expertise erstellen können." Die Veranstalter wüssten ja, was sie bräuchten und welche Bedingungen vor Ort herrschten. Aber die Stadt selbst müsse eben wissen, welche Ziele sie mit ihren eigenen Hallen verfolge und daraus ergebe sich dann der Handlungsbedarf.

Rock- und Pop-Produktionen brauchen heute Bedingungen, wie sie herkömmliche Hallen nicht bieten, meint Ernst Ludwig Hartz, der unter anderem die Kunst!Rasen-Konzerte in der Gronau veranstaltet. "Dann müssen wir eben nach Köln, Düsseldorf, Essen oder Bochum ausweichen." Ein Hallenkonzept für Bonn hält er für "überfällig". Die Stadt brauche eine Bedarfsanalyse, damit sie wisse, wo sie stehe, glaubt er, der genau im Blick hat, was wo geht.

"Brauche ich eine 4000er Halle, gehe ich nach Köln ins Palladium, das E-Werk ist gut für Konzerte bis maximal 2000, die Live Music Hall bis etwa 1300 Zuschauer. In Köln kann ich auswählen, in Bonn wird's schwierig", sagt Hartz. Die Beethovenhalle sei für Rockmusik eher eine "Notlösung". Das gelte teilweise auch für das Brückenforum: "Wenn ich aufwendige Technik aufbauen muss, weil weder notwendige Hängungen an den Decken möglich noch die Lautsprecher vorhanden sind, dann kostet das Geld. Im Kölner E-Werk ist alles da."

Keine "eierlegende Wollmilchsau"

Eine Halle ist eben keine "eierlegende Wollmilchsau". Zwar kann eine multifunktionale Bauweise viele verschiedene Veranstaltungen schultern und damit viele Bürgerbedürfnisse einer Stadt mit knapp 310 000 Einwohnern erfüllen, aber sie kann nicht alles. So lassen sich in der Regel Rock-/Popkonzerte, TV-Shows und Sport-Events in einer Multifunktionshalle verbinden, aber mit Klassik würde es schon schwieriger. In Bonn ist man mangels vorausschauendem Konzept eher mit vielen, teuren Spezialstätten unterwegs, die sich meist nur für einen Veranstaltungstypus hervorragend eignen, aber für viele andere nur bedingt.

"Der Bedarf ist da. Aber aufgrund der Bedingungen in der Beethovenhalle gehen viele Themen an Bonn vorbei", sagt Hartz. Früher, in den 1980er Jahren, war wohl vieles einfacher: Arlo Guthrie in der EMA-Aula, Talk Talk in der Biskuithalle, Rupert Hine und Bap in den Rheinterrassen, Chet Baker in der Jazz Galerie, Grandmaster Flash & the Furious Five in der Godesberger Stadthalle.

Und heute? Es gibt viele Möglichkeiten für kleinere Konzerte. Das reizt Peter Materna jedes Jahr im Mai aus. Der künstlerische Leiter des Jazzfests Bonn veranstaltet Doppelkonzerte im Telekom Forum und in der Brotfabrik in Beuel, in der Post Lounge, in der Bundeskunsthalle oder dem überglasten Innenhof der Volksbank in der Rheinaue. "Was wir extrem vermissen, ist eine konzerttaugliche Halle für 600 bis 700 Leute", sagt Materna. "Die Aula der Universität Bonn ist für uns ein Segen. Aber es ist sehr aufwendig, dort die Akustik auszubalancieren."

Große Konzerthalle fehlt

Das Fehlen einer Spielstätte mit einer Kapazität von 600 bis 800 Zuschauern hatte schon Ilona Schmiel, frühere Intendantin des Beethovenfests, beklagt. Das Brückenforum, könnte dieses Vakuum eventuell füllen, aber Veranstalter wie Materna sind sich einig: "Die Atmosphäre ist ein Killer." Jedenfalls muss er sich jedes Jahr "ziemlich den Kopf zerbrechen, welchen Künstler, welche Band ich wo einsetzen muss, weil neben der wichtigen Frage der Raumgröße auch die Akustik eine große Rolle spielt: Das ist Teil des Konzepts." Bölle und Hartz denken derweil in größeren Dimension: "In der Köln/Bonner Region fehlt eine Konzerthalle mit einer Kapazität von 6000 bis 8000 Besuchern", sagt Bölle. Kleinere Hallen gebe es zwar viele, aber auch die seien oft schnell zugebucht: "Da bekomme ich im Frühjahr schon keinen Termin mehr für November", sagt Bölle.

Der Rock-/Pop-Konzertnotstand ist in Bonn ausgebrochen, als 2012 die Bundeskunsthalle alle sommerlichen Konzerte von der Museumsmeile verbannte. Doch die eigentliche Weichenstellung hätte um das Jahr 2000 erfolgen müssen.

Rückblende: Die Museumsplatz-Konzerte erfreuen sich großer Beliebtheit, Bonn plant ein UN-Kongresszentrum und die Telekom Baskets lassen bei Heimspielen die Hardtberghalle aus allen Nähten platzen. Im August 2000 schlägt der Rheinbacher Rüdiger Schmitz mit dem "BonnKegel" viele Fliegen mit einer Klappe: Er will in einem Multifunktions-Bau eine 8000er-Halle für Sport und Konzerte unterbringen, eine Etage tiefer ein UN-Kongresszentrum und ganz oben ein Hotel. Alle sind euphorisiert. Politiker sprechen von einem neuen "Bonner Wahrzeichen". Das Projekt scheitert an den Kosten - 400 Millionen D-Mark.

Kegel erscheint wie eine vertane Chance

16 Jahre später erscheint der Kegel wie eine vertane Chance, preiswert angesichts der WCCB-Kosten, architektonisch als Plus, und vor allem könnte Bonn die von Konzertveranstaltern gesuchte "Zwischengröße" bieten. Nach dem Scheitern marschierten damals alle getrennt weiter: Die Stadt Bonn mit ihrem Kongresszentrum, die Telekom Baskets mit ihrem Hallenabenteuer, und an die Popkultur dachte zur Jahrtausendwende niemand, denn sie schien auf dem Museumsplatz optimal aufgehoben.

Unterdessen entstanden in Städten mit einem Handball- oder Basketball-Bundesligisten - Trier, Flensburg, Ulm, Leipzig, Kiel, Bamberg, Lemgo, Ludwigsburg, Magdeburg, Braunschweig - das wirtschaftlich Naheliegende: Multifunktionsarenen mit mehr als 5000 Sitzplätzen, teils mit, teils ohne städtische Beteiligung. Dabei freut sich der jeweilige Betreiber über den ansässigen Bundesligisten als Ankermieter, während er um die Heimspiele herum Pop-/Rockkonzerte, Messen und Kongresse platziert.

Der hiesige Basketball-Bundesligist stemmte zwar die Größenordnung, aber nicht die Multifunktionalität. Der Telekom Dome ist aktuell mit - je nach Nutzung - 5000 bis 6000 Plätzen die größte Versammlungsstätte der Stadt. Primär jedoch eine auf Basketball-Bedürfnisse optimal zugeschnittene Halle mit eingeschränkter Konzerttauglichkeit. "Denn Multifunktionalität kostet", sagt Michael Mager, Medien-Manager der Baskets, "und wir haben nur das gebaut, was wir uns leisten konnten."

Stadt hat Prioritäten gesetzt

Damit scheinen viele Fakten heute mit dem WCCB, dem Sanierungsbeschluss für die Beethovenhalle und einem Telekom Dome in Clubbesitz in Stein gemeißelt. Dabei hat die Stadt durch ihre Hallenpolitik, ihre Betreiberrolle und Subventionen deutliche Prioritäten gesetzt: für ihr Selbstverständnis als Beethoven- und Kongress-/UN-Stadt. Da die städtische Finanzsituation sich ständig zuspitzt, wäre es naheliegend, dass ein 2016er Hallenkonzept nur noch ein Ziel haben kann: An welcher Stelle kann Bonn sich überfällige Sanierungsmillionen sparen?

Allein die Klassik ist zurzeit recht zuversichtlich. "Ja, wir sind glücklich", sagt Orchesterdirektor Michael Horn. Erstmals in seiner Geschichte bekomme das Beethoven- Orchester eine Heimstatt. Das wird möglich durch eine Spende der Sparkasse Köln-Bonn. Mit rund fünf Millionen Euro beteiligt sie sich an der Sanierung der Beethovenhalle. Vor allem soll das Studio im Forum Süd zum Kammermusiksaal und Probenraum für das Beethoven-Orchester umgebaut werden.

Sind die Stadtbezirke der entscheidende Hemmschuh?

"Ein Orchester braucht solch einen Raum. Die Nähe zum großen Saal, die Nebenräume mit Stimmzimmern und Instrumentenlager sind für unsere Arbeit wichtig. Wir sind sehr glücklich, dass die permanente Umzieherei ein Ende hat", sagt Horn. Kulturdezernent Martin Schumacher freut sich jedenfalls, dass der Musik-Campus, das "Beethovenkarree", so attraktiver wird. Um 2019/2020 soll alles fertig sein. Unterdessen wird auch das WCCB konzerttauglich umgebaut.

Letztlich trägt wohl noch ein ganz anderer Faktor zur Erklärung des Bonner Hallen-Wildwuchses bei: Mancher Insider hält die Stadtbezirke für einen entscheidenden Hemmschuh der Bonner Entwicklung, weil sie ihre Eigeninteressen über gesamtstädtischen Belange stellten. "Ist eine Stadt überhaupt sparfähig, wenn sie von der Peripherie aus regiert wird?", fragt mancher. Nicht nur die Veranstaltungshallen, sondern auch die Bäder dienen als Beleg für die These. Mögliches Fazit: Nur eine Unterordnung der Stadtbezirke löst die Bonner Selbstblockade.

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