Aktion Weihnachtslicht Walter F. kann Wohnung selten verlassen

Bonn · Die Sonne scheint durchs Fenster. Walter F. blinzelt und schaut traurig nach draußen. Er hat seine Wohnung schon seit Wochen nicht verlassen. Der 71-Jährige ist schwerbehindert, kann kaum laufen.

Der Rentner wohnt in der zweiten Etage, und es gibt keinen Aufzug. Das Treppensteigen kostet ihn zu viel Kraft, da bleibt er lieber daheim. Seine Frau ist vor einem halben Jahr gestorben, seither fühlt er sich einsam und isoliert. Walter F. lebt von Grundsicherung im Alter. Seine Miete übersteigt nun den festgelegten Satz für eine Person. Er muss aus seiner Wohnung ausziehen. „Am liebsten würde ich natürlich eine ebenerdige, barrierefreie Wohnung beziehen. Aber wie soll ich denn eine bezahlbare finden?“, fragt der Rentner.

„Mit dieser Sorge steht er nicht allein da. Wir haben rund 270 Haushalte mit Menschen im Alter von 60 Jahren und älter, die auf Wohnungssuche sind“, sagt Edith Rosenbaum, Leiterin der Fachstelle „Bedarfsgerechtes Wohnen“ bei der Stadt Bonn. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt in Bonn sei mehr als angespannt. „Besonders dramatisch ist sie aber für Menschen mit Behinderungen und Seniorinnen und Senioren. Die Nachfrage nach barrierefreien und behindertengerechten Wohnungen sei unverändert hoch – Tendenz steigend.

„Zwischen Januar und Oktober 2015 haben sich 351 Bonner Haushalte bei uns gemeldet, in 216 davon leben behinderte Menschen, in 135 Senioren über 65 Jahre. Wir würden allen natürlich sehr gerne entsprechende Wohnungen vermitteln, aber der Bedarf übersteigt bei weitem das Angebot“, sagt Edith Rosenbaum. Die häufigsten Gründe für einen Wohnungswechsel seien Treppenstufen, ein zu kleines Bad mit Badewanne oder Dusche mit hohem Einstieg, Isolation und schwere Erkrankungen.

Bei der Vermittlung müssen die Mitarbeiter zudem beachten, dass die Senioren möglichst in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. „Was nützt eine barrierefreie Wohnung, wenn sich jemand dort einsam fühlt und isoliert ist, etwa weil die Kinder und Bekannte nicht in der Nähe sind?“, sagt Rosenbaum. Die Leiterin der Fachstelle bringt die verschiedenen Interessengruppen aus Politik, Wohnungswirtschaft, den Wohlfahrtsverbänden und der Stadtverwaltung in der Stadt zusammen, um Lösungen zu erarbeiten.

„Wir haben den achten runden Tisch 'Bedarfsgerechtes Wohnen' initiiert, um in Bonn die Wohnsituation von Menschen mit Behinderung und Älteren zu verbessern. Die Gründung eines Netzwerkes ist im 1. Quartal 2017 geplant“, berichtet Rosenbaum. In Bonn fehle es an Zahlen zur Barrierefreiheit im Wohnungsbestand. „Die Mitglieder des Runden Tisches plädieren für die Erstellung einer Datenbank, in der geförderte und freifinanzierte barrierefreie Wohnungen erfasst werden sollen.“ Mit Hilfe einer Datenbank können Angebot und Nachfrage schneller und erfolgreicher zueinander geführt werden und Prognosen für den zukünftigen Wohnungsbedarf auf dem Bonner Wohnungsmarkt abgeleitet werden.

In Bonn leben rund 58 095 Menschen, die 65 Jahre und älter sind. Im Mai 2011 waren laut Zensus rund 9,5 Prozent der Bonner 65 Jahre und älter, 8,7 Prozent sogar älter als 75 Jahre. „Ältere und Menschen mit Behinderung sind die großen Verlierer auf dem Wohnungsmarkt. Studien belegen, dass generell drei bis vier Mal mehr Wohnungen in Bonn benötigt werden, als derzeit vorhanden sind“, sagt die Leiterin der Fachstelle. Von den rund 169.000 Wohnungen in Bonn seien nach Schätzungen gerade einmal fünf Prozent barrierefrei.

In Bonn herrsche im NRW-Vergleich eine überdurchschnittlich starke Nachfrage nach bezahlbaren, barrierefreien Wohnungen. Laut Rosenbaum habe Bonn im NRW-Vergleich den geringsten Anteil geförderten Wohnraums. Rosenbaum plädiert für eine Quote von 30 Prozent gefördertem Wohnungsbau. Hierzu müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das Ziel umzusetzen.

Die Fachstelle „Bedarfsgerechtes Wohnen“ ist zu erreichen unter Telefon 02 8/77 29 00 oder per E-Mail an bedarfsgerechteswohnen@bonn.de. Ansprechpartnerin ist Edith Rosenbaum. Die Beratung ist kostenfrei.

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