Interview mit Jannis Vassiliou Was dem Einzelhandel in Bonn zu schaffen macht

Bonn · Der Vorsitzende des Einzelhandelsverbandes, Jannis Vassiliou, blickt nach 50 Jahren in Bonn auf eine Stadt im Wandel. Er kritisiert die Verkehrspolitik, Baustellen seien unkoordiniert, Staus würden künstlich produziert.

Adventsstimmung in der Bonner Innenstadt: Passanten schlendern am vergangenen Freitag über die Marktbrücke.

Adventsstimmung in der Bonner Innenstadt: Passanten schlendern am vergangenen Freitag über die Marktbrücke.

Foto: Benjamin Westhoff

Edelsteine hat Jannis Vassiliou gewissermaßen im Blut, seit er in seiner Kindheit in Athen seinem Großvater, einem namhaften Edelsteinhändler, bei der Arbeit über die Schulter schaute. Auch Bonn hat der Juwelier bald als Perle identifiziert, nachdem er am 1.April 1969 als junger Mann die Stadt erstmals betrat. Über den Wandel Bonns und seiner Geschäftswelt, genutzte und verpasste Chancen und langgehegte Wünsche sprach mit ihm Rüdiger Franz.

Herr Vassiliou, wie war das 1969, als Sie nach Bonn kamen?

Tristesse im einstigen Vorzeigeobjekt: In der Kaiserpassage dominiert seit einigen Jahren der Leerstand.

Tristesse im einstigen Vorzeigeobjekt: In der Kaiserpassage dominiert seit einigen Jahren der Leerstand.

Foto: Meike Böschemeyer

Jannis Vassiliou: Ich kam in eine kleine Stadt, die ich aus der Presse als „Bundesdorf“ kannte. Es war ein sonniger Frühlingstag, und ich fühlte mich direkt gut aufgenommen.

Sie kamen direkt aus Griechenland?

 Jannis Vassiliou.

Jannis Vassiliou.

Foto: Privat

Vassiliou: Nein, aus Griechenland kam ich 1965. Ich habe zunächst in Pforzheim eine Lehre als Goldschmied gemacht. Dann schickte mich mein Lehrherr nach Bonn, um mir dort ein Ladenlokal am Kaiserplatz anzusehen. Dort haben wir dann eine Filiale für die Firma Robert Schütt eröffnet, die ich 1972 selbst übernommen habe.

Wir sprechen hier über die Blütezeit des inhabergeführten Bonner Einzelhandels. Alle waren noch da – von Poerschke über Carthaus, Schmalzgräber & Driesen bis hin zu Sahne Schmitz, Strömer & Emons und der Metzgerei Fendel-Fix…

Vassiliou: Richtig, auch bei den Juwelieren spiegelte sich diese Vielfalt wieder. Bonn bürstete sich gerade den Staub des Krieges aus den Kleidern. Äußerlich eine sympathische Kleinstadt, entwickelte sich hier mit der zunehmenden Zahl von Politikern und Diplomaten gesellschaftlich ein internationales Flair.

Hat die „Bonner Republik“ auch bei Ihnen eingekauft?

Vassiliou: Es war natürlich ein Glück für mich, dass mein Chef mich damals nach Bonn und nicht nach Darmstadt oder sonst wohin geschickt hat. Natürlich wollte ich mich hier beweisen und habe mich gefragt, wie ich am besten Fuß fassen konnte. Da lag der Kontakt zu den Botschaften natürlich nahe. Als erstes bin ich bei Griechen und Zyprioten vorstellig geworden, und nach und nach entwickelte sich ein stabiler Kundenkreis.

Welche Spitzenpolitiker zählten zu Ihren Kunden?

Vassiliou: Enge Kontakte bestanden zu Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher, Georg Leber, Hans Friedrichs, Manfred Wörner, Hans-Jürgen Wischnewski, Egon Bahr, Rainer Barzel, Nobert Blüm, Horst Ehmke usw. Auch Annemarie Renger war eine sehr enge Freundin des Hauses und kam mit ihrem Schmuck immer zu mir.

In ihrem blauen Mercedes-Cabriolet, nehme ich an?

Vassiliou: Ja, aber auch in der Dienstlimousine mit Begleitung. Zuweilen habe ich Schmuck an Politiker verliehen. Als der jugoslawische Staatschef Tito 1974 nach Bonn kam, bat mich Frau Renger um ein passendes Collier für ihr hellblaues Kleid. Leider hat sie es ein paar Tage später wieder zurückgebracht. Aber solche Leistungen dienten natürlich auch meiner Reputation.

Wie hat Bonn die Zäsur des Berlin-Umzugs vor 20 Jahren verkraftet?

Vassiliou: Wir Einzelhändler und auch ich persönlich haben das in Gestalt großer Umsatzeinbußen zu spüren bekommen. Den einen oder anderen hat es sogar die Existenz gekostet. Die Konsolidierung hat fünf, sechs Jahre gedauert. Denn die Politik hat Bonn ja nicht im Stich gelassen, sondern mit der Ansiedlung der Dax-Konzerne und Behörden für Nachfolger gesorgt.

Wer über die Sternstraße geht, dem fällt auf, dass inhabergeführte Geschäfte wie Ihres gegenüber den großen Filialisten die Minderheit darstellen. Ein Preis für die konstant hohen Mieten?

Vassiliou: Die Mietpreise gestalten sich in der Marktwirtschaft aus Angebot und Nachfrage. Insofern sind den Eigentümern die Preise nicht zu verdenken. Im Augenblick sind sogar rückläufige Mietpreise zu verzeichnen. Insofern kommt es auch hier zu natürlichen Korrekturen des Marktes. Zugleich tragen lokale Händler zur Identität einer Stadt bei, die von den Kunden geschätzt wird. Allein mit Filialisten werden die Städte austauschbar.

Und dann gibt es noch „lost Places“ wie die Kaiserpassage, die größtenteils leer steht.

Vassiliou: Die Kaiserpassage war nach ihrer Entstehung in den späten 70er Jahren mit ihrer guten Mischung aus Handel und Gastronomie ein Juwel in Bonn, dessen Mieter handverlesen wurden. Dieses Zentrum ist im Hinblick auf den Einzelhandel und abgesehen von der großen Arztpraxis leider von einer Versicherung als wesentlicher Eigentümer kaputt gemacht worden. Der Einzelhandelsverband befindet sich zurzeit im Gespräch mit der Stadtverwaltung, um dem Kaiserlatz seine alte Position zurück zu geben.

Wie ist Ihre Meinung über die Neubauten am Bahnhof?

Vassiliou: Ich persönlich finde, dass Bonn am Bahnhof eine Jahrtausendchance verpasst hat. Seit dem Bau des Bonner Lochs schrie die Öffentlichkeit nach einer Veränderung. Nun war die Gelegenheit da, mit einer zurückhaltenden, luftigen Bebauung ein Entrée zu schaffen und womöglich den Busbahnhof unter die Erde zu verlegen. Stattdessen hat man nur in Euro gedacht.

Also Politikversagen?

Vassiliou: Nein, es handelt sich um eine Einstellungsfrage und Geschmackssache. Auch Politiker versuchen, das Beste für die Stadt zu erreichen. Sie haben aus Ihrer Überzeugung eine Entscheidung getroffen, die sie nun zu vertreten haben. Ich hätte es schlichtweg anders gemacht.

Haben Sie eigentlich einen Blick hinter die Kulissen bei Kaufhof und Karstadt? Wird es trotz der Fusion bei der Koexistenz beider Kaufhäuser bleiben?

Vassiliou: Beide Bonner Häuser sind sehr gut geführt. Sie haben jetzt die Möglichkeit, sich zu ergänzen. Insofern erscheint es plausibel, wenn beide Häuser mit unterschiedlichen Sortimenten und Preisklassen weiterbestehen. Dem Standort würde das auf jeden Fall gut tun. Das Beispiel Primark zeigt ja, dass ein breites Preisspektrum nachgefragt wird.

Ungeachtet der Demonstrationen bei der Eröffnung…

Vassiliou: Ich war bei der Eröffnung. Die ersten Kunden, die ungeduldig vor der Tür gewartet hatten, strömten massenweise und völlig unbeeindruckt von den Aktivisten ins Geschäft. Man sollte bei allen moralischen Ansprüchen nicht diejenigen vergessen, deren schmales Portemonnaie auf günstige Angebote angewiesen sind. Insofern finde ich, dass solche Häuser ihre Berechtigung haben. Auf die Mischung kommt es an.

Demonstriert wurde zuletzt auch in der Südstadt. Sie als Vertreter der Einzelhändler haben gegen die neue Verkehrsführung auf der Kaiserstraße klar Position bezogen – allerdings vergeblich.

Vassiliou: Die ganze Angelegenheit hat meines Erachtens vor allem deshalb Gräben aufgerissen, weil es in Wirklichkeit nicht ums Klima und um bessere Luft, sondern um parteipolitische Spielereien geht. Die Grünen haben sinngemäß vertreten, dass Autofahren in Bonn unattraktiv zu machen. Sie sollten daran denken, dass die Zeit der politischen Umerziehung in Deutschland vorbei ist. Bestrafung ist nicht das Mittel moderner Politik. Man muss die Bürger abholen, nicht bestrafen.

Das Gegenargument lautet: Eine Innenstadt mit wenig Autoverkehr gewinnt auch an Aufenthaltsqualität. Ihre Meinung dazu?

Vassiliou: Meine Erfahrung ist, dass der Verkehr Publikum und damit Leben in eine Stadt bringt. Unattraktiv wird eine Stadt hingegen, wenn dort künstlich Staus produziert werden durch unkoordinierte Baustellen.Im Übrigen entstehen die meisten Staus durch den Berufsverkehr der Pendler. 50 000 Pendler täglich weniger in die Stadt und wieder raus. Für sie bräuchte es ein vernünftiges Mobilitätskonzept, etwa in Gestalt einer App für Fahrgemeinschaften, Park-und-Ride-System, einen gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr mit Elektrobussen, unterirdischer Schienen Verkehr aber auch einer Seilbahn, welche außerhalb der Rushhour eine exzellente touristische Attraktion werden könnte. Vor kurzem gab es eine Besprechung bei der Stadt zum Thema Mobilität, Herr Wiesner präsentierte ein Regio-Hub-Zentrum als Idee mit Umsteigemöglichkeiten vor den Toren Bonns, die ich persönlich, auch der Einzelhandelsverband Bonn, Rhein Sieg, Euskirchen stark unterstützen würden.

An welchen Positivbeispielen sollte sich Bonn orientieren?

Vassiliou: Das nicht unbedingt. Positiv überrascht war ich hingegen beispielsweise von Bern, wo mein Sohn mit seiner Familie lebt. Dort gönnt man sich nicht nur den Raum für große Vorplätze und Arkaden und mehrspurigen Straßen bei einer Einwohnerzahl von etwa 145 000, außerdem kommt die Stadt ausgesprochen sauber daher. Auch wenn sich das Erscheinungsbild unseres Hauptbahnhofs zuletzt verbessert hat, frage ich mich in einer Stadt wie Bern: Warum geht es in Bonn nicht so?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort