Interview mit Jugendamtsleiter Udo Stein Wie Bonn mehr Kita-Plätze schaffen möchte

Bonn · „Wir bauen, so viel wir können“, sagt Jugendamtsleiter Udo Stein. Denn auch in Bonn gibt es eine langfristige Not an Kita-Plätzen. Im GA-Interview spricht er auch über den weiterhin bestehenden Fachkräftemangel bei Erzieherinnen.

Herr Stein, ein Vater aus Endenich hatte sich beim GA beklagt, weil er keine wohnortnahe Kita in Endenich gefunden hatte. Können Sie das nachvollziehen?

Udo Stein: Natürlich kann ich nachvollziehen, wenn Eltern sich beklagen, dass sie keinen Platz in dem Kindergarten bekommen, den sie gerne für ihr Kind hätten. Gerade wenn es um Wohnortnähe geht. Tatsächlich ist es aber so, dass wir zwar rechnerisch nahezu ausreichend viele Plätze für Kinder zwischen drei und sechs Jahren haben. Aber diese Plätze liegen nicht immer dort, wo Eltern sie haben wollen.

Ist das eine Erscheinung der letzten Jahre?

Stein: Früher hat man den Kindergarten um die Ecke gewählt. Das stellt sich heute anders dar. Es gibt unterschiedliche Bedarfe. Neben dem wohnortnahen Kindergarten ist das beispielsweise die Nähe zu den Großeltern, ganz oft die Nähe zum Arbeitsplatz, gerade für Unter-Dreijährige. Auch die Nähe zum Bahnhof kann ein Kriterium sein.

Wie verändert dieses Verhalten die Arbeit der Stadt?

Stein: Für uns macht es die Planbarkeit schwieriger, weil wir nicht mehr abschätzen können, wo welcher Bedarf entsteht.

Wo sind aus Ihrer Sicht momentan die größten Engpässe?

Stein: Regional gesehen sind das der südliche Teil Bonns, also der Stadtbezirk Bad Godesberg, und der Bonner Westen.

Wie gehen Sie da ran?

Stein: Das ist unser Auftrag, den wir auch erfüllen. In Bad Godesberg haben wir eine neue sechsgruppige Kindertagesstätte in Mehlem aufgemacht. Das entlastet enorm. Im Westen ist der Kindergarten an der Bahnhofstraße kurz vor der Fertigstellung. Wir werden bald in Medinghoven am Tüv bauen. Auch das Neubaugebiet der ehemaligen Gallwitzkaserne wird eine Kita auf städtischem Grundstück bekommen. Unser Ziel ist, so schnell wie möglich für jedes Kind einen passenden Platz zur Verfügung zu stellen. Aber die Dynamik in einer Stadt wie Bonn darf man nicht unterschätzen.

Es kommen jedes Jahr mehr Kinder dazu...

Stein: Darüber freue ich mich sehr. Wenn man sich aber die Größenordnung in den letzten drei Jahren von etwa 200 zusätzlichen Kindern jährlich vor Augen hält, erkennt man die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Das sind drei bis vier neue Kindergärten, um diesen zusätzlichen Bedarf zu decken. Das führt dazu, dass wir unserem Ziel einer bedarfsgerechten Kindergartenversorgung immer noch hinterherhinken.

Die Stadt ist so sehr in Zugzwang, dass sie an der Friedrich-Wöhler-Straße in Auerberg einen Mietvertrag mit einem privaten Investor auf 20 Jahre abschließen musste – zu ungünstigen Konditionen…

Stein: Die werden bei einer Quadratmetermiete von 13,50 Euro liegen. In anderen Kommunen werden viel höhere Mieten aufgerufen. Damit will ich nicht sagen, dass die Stadt nicht gerne weniger gezahlt hätte. Aber ich denke, das ist noch in einem adäquaten Bereich.

In der Politik hat dieser Vertrag eine Debatte darüber ausgelöst, ob die Stadt nicht lieber konsequent selbst bauen soll. Was meinen Sie?

Stein: Ich denke, wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen. Das liegt schon daran, dass der Stadt gar nicht ausreichend eigene Flächen an den notwendigen Stellen zur Verfügung stehen. Wir werden auch künftig dort, wo Investoren Häuser errichten, Kindergärten anmieten. Aber die Stadt wird aufgrund der Marktlage keine Dumpingmieten aushandeln können. Das bedeutet aber nicht, dass sie beliebig hohe Mieten zahlen wird. Wir müssen von Fall zu Fall verhandeln und entscheiden.

Zurück zum Beispiel Auerberg: Hat sich die Stadt in diesem Ortsteil nicht ungeschickt angestellt? Es sind in den letzten Jahren viele Baugebiete ausgewiesen worden. Hätte man nicht erkennen müssen, dass der Bedarf steigen wird?

Stein: Auerberg ist ein Beispiel dafür, dass neue Kindergärten manchmal nur schwer planbar sind. Die Baugebiete entlang der Pariser Straße und An der Josefshöhe, die in den letzten Jahren entstanden sind, sind auf Grundstücken gebaut worden, auf denen das Planungsrecht Jahrzehnte alt ist. Da ist nie gebaut worden, die Nachfrage war nicht da. Relativ kurzfristig ist dort der Wohnungsbau entstanden, und wir mussten hinterherlaufen. Wenn das frühzeitiger erkennbar gewesen wäre, hätte das Jugendamt mit den Investoren dieser Neubauten Gespräche über den Bau von Kitas führen können.

Hat die Stadt aus diesem Verlauf gelernt?

Stein: Hat sie. Die eben genannten Kitas an der Gallwitzkaserne und der Bahnhofstraße sind Beispiele dafür, wie es gut laufen kann. Dort entwickelt die Stadt ihre Kindertagesstätten parallel zu den Neubauprojekten. Ähnlich wird es in den westlichen Ortsteilen bei den Wohngebieten Vogelsang und Westside oder im Stadtbezirk Beuel Am Ledenhof über städtebauliche Verträge erfolgen. In Geislar West bauen wir wieder selber parallel zur Bebauung des Gebietes. Wir bauen, so viel wir können.

Ein anderes Problem ist der Fachkräftemangel.

Stein: Ja, der Mangel ist da. Früher konnte die Stadt aus einem Portfolio an Erzieherinnen und Erziehern auswählen. Das gibt es heute nicht mehr. Es gibt eher die Situation, dass wir Stellen vorübergehend nicht besetzen können. Oder dass wir uns innerhalb der Probezeit von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern trennen müssen, weil die Eignung nicht da ist. Gerade das zeigt, welche Not wir haben.

Ist das Berufsfeld nicht attraktiv genug?

Stein: Die Anforderungen an Menschen im Erziehungsdienst sind hoch. Nach den letzten Tariferhöhungen ist die Bezahlung nicht so schlecht. Aber das soziale Ansehen ist nicht so hoch, wie es nach meinem Dafürhalten eigentlich sein sollte. Eine andere Fehlentwicklung ist aus dem rasant gestiegenen Bedarf erwachsen. Seit dem Rechtsanspruch auf Betreuungsplätze ist die Nachfrage nach qualifiziertem Personal gestiegen, aber mein Eindruck ist, dass es zu wenige Ausbildungsplätze an den Schulen gibt.

Was ist mit Mitarbeitern aus dem Ausland?

Stein: Da sind uns oft die Hände gebunden, weil die Anforderungen an das Personal gesetzlich festgelegt sind. Wir können deshalb nur mit sozialpädagogischen Fachkräften oder Ergänzungskräften arbeiten. Oft wird eine im Ausland erworbene Ausbildung bei uns nicht anerkannt. Wenn diese Anerkennung fehlt, wird die Stelle nicht refinanziert, und eine zusätzliche Kraft kann sich keine Kita ohne Refinanzierung durch das Land erlauben. Den Weg, ausländische Mitarbeiter einzustellen, wollen wir in der Stadt dennoch gehen. Ich bin dabei, festzustellen, ob wir Personal im Ausland, das die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, auch anwerben können.

Was ist mit der eigenen Ausbildung an den 70 städtischen Kitas?

Stein: Das ist eine andere Möglichkeit, die wir verfolgen. Die sogenannte praxisorientierte Ausbildung bieten wir seit einigen Jahren an. Rund 15 Azubis besuchen derzeit die Praxisschulen und arbeiten im dualen Ausbildungsgang an den städtischen Kitas. Ein sehr guter Weg, aber dafür muss vor Ort eine Anleiterin sein, die praxisnah ausbildet. Den Weg wollen wir konsequent weitergehen. Und es hilft schon, wenn eine zusätzliche Person in den Kitas ist. Auch wenn sie noch nicht voll ausgebildet ist.

Seit dem Rechtsanspruch auf die Betreuung von U 3-Kindern haben Eltern gegen die Stadt geklagt. Worum ging es bei diesen Klagen?

Stein: Der Rechtsanspruch selbst stand nicht im Vordergrund. Bei den sieben Klagen gegen die Stadt seit 2013 ging es um Schadensersatzforderungen. Die Eltern haben ihre Kinder in privaten Kitas untergebracht und wollten die Differenz der Beiträge zu den Elternbeiträgen der Stadt als Schadensersatz einklagen. In einem Fall hat die Stadt die Klage verloren, in einem weiteren gab es einen Vergleich. Es ging um 1500 Euro beziehungsweise 2500 Euro. In vier Fällen wurden die Klagen abgewiesen, ein Verfahren läuft noch.

Der Jugendhilfeausschuss hat gerade den Bedarf für den Ausbau von U 3-Betreuungsplätzen nach oben korrigiert. Hat Bonn derzeit ausreichend Plätze für Kinder unter drei Jahren?

Stein: Nein, haben wir nicht. Der Bedarf ist stetig gestiegen. Als wir vor zwölf Jahren begonnen haben, die Betreuungsplätze konsequent auszubauen, sind wir von einem Bedarf von etwa 15 Prozent der Kinder in diesem Alter ausgegangen. Das hat uns mit einer unglaublichen Dynamik überholt. Gesamtstädtisch gehen wir derzeit von einer Planungsgrundlage von 50 Prozent aus. Das wird aber nicht mehr ausreichen und ich vermute, dass der Bedarf auf etwa 60 Prozent korrigiert werden muss. Zurzeit haben wir für die Altersgruppe vier Monate bis unter drei Jahre für knapp 47 Prozent dieser Kinder Plätze. Zu den 50 Prozent fehlen uns noch 900 Plätze. Sollte der Bedarf tatsächlich auf 60 Prozent steigen, reden wir also von etwa 1800 zusätzlichen U 3-Betreuungsplätzen.

Die Ansprüche an Arbeitnehmer und damit an die Flexibilität der Betreuungszeiten scheinen immer größer zu werden. Wird die Kita von morgen noch länger geöffnet haben, als das heute der Fall ist?

Stein: Das sehe ich immer aus Kindersicht. Und da stößt es bei mir auf Widerstand, beliebig ausgeweitete Betreuungszeiten für Kinder vorzuhalten. Ich vertrete die Auffassung, dass die Arbeitswelt sich an Familien orientieren muss – und nicht umgekehrt. Insofern würde ich immer genau hinschauen, ob ein 24-Stunden-Kindergarten die richtige Wahl ist, gerade mit Blick auf Beziehungen und Bindungen der kleinen Kinder. Da habe ich große Vorbehalte. Der Primäranspruch aus meiner Sicht: Wir wollen Familien unterstützen, mit ihren Kindern gut aufzuwachsen und einem Job nachgehen zu können. Aber nicht um jeden Preis.

Die große Koalition will jetzt den Rechtsanspruch der Plätze für die offene Ganztagsschule an Grundschulen verankern. Die Nachfrage steigt ebenfalls. Inwiefern ändert das Ihre Arbeit im Amt für Kinder, Jugend und Familie?

Stein: Nach meiner Meinung hätte der Rechtsanspruch auf OGS-Plätze eigentlich vor dem Rechtsanspruch auf Kindergartenplätze erfolgen müssen. In der jetzigen Situation haben die Familien gesicherte Kita-Plätze, und dann folgt eine gewisse Unsicherheit in der Nachfolgebetreuung. Grundsätzlich begrüße ich den Ausbau offener Ganztagsschulen, weil es Bildungsgerechtigkeit für mehr Kinder gibt und weil es das Zusammenleben von Familien vereinfacht. Das beeinflusst die Jugendarbeit übrigens auf anderer Ebene, wenn es beispielsweise um Jugendzentren geht, weil es immer mehr Angebote für Schüler gibt. Unsere Einrichtungen merken das natürlich. Das ist zwar keine Konkurrenz, aber wir müssen uns auf diese Veränderungen einstellen und die Öffnungszeiten und Freizeitangebote so attraktiv gestalten, dass sie noch interessant bleiben. Denn Jugendliche benötigen neben der Bildungsinstanz Schule heute mehr denn je Orte, an denen sie ihre sozialen Kompetenzen ausbilden können.

Herrscht auch im Bereich der Jugendzentren, für die Ihr Amt zuständig ist, weiterhin ein Fachkräftemangel?

Stein: Den gibt es noch. Die Arbeitszeiten sind nicht so attraktiv, weil sie sich in die Abendstunden erstrecken. Da haben wir weiterhin eine hohe Fluktuation. Mehr, als das früher der Fall war.

Aus Stadtentwicklungssicht betrachtet. Sind die Jugendzentren noch zeitgemäß?

Stein: Da muss man genau hinschauen, welche Ansprüche Jugendliche haben, wo sie sich aufhalten wollen. Es hat Versuche gegeben, für Jugendliche Treffpunkte zu schaffen, die wir als Stadt bestimmt haben. Nur haben diese Plätze nie einen Jugendlichen gesehen, weil die sich flexibel die Orte suchen, an denen sie sich treffen wollen. Und das Recht haben die Jugendlichen auch. Ich bin ein Verfechter der Ansicht, dass Jugendliche sich an jedem Ort der Stadt treffen und versammeln können, wo sie es wollen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass sie sich benehmen. Wenn das aus dem Ruder läuft, müssen das Jugendamt steuernd und Polizei oder Ordnungsdienst eingreifen. Den öffentlichen Raum zu nutzen , ist das Recht eines jeden Menschen und natürlich auch eines jeden Kindes oder Jugendlichen.

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