Hinter Ihnen liegen anstrengende Wochen. Jetzt steigen die Fallzahlen wieder. Wie gehen Sie damit um?
GA-Interview Wie das Bonner Gesundheitsamt mit der Corona-Krise umgeht
Interview | Bonn · Das Bonner Gesundheitsamt stand in den vergangenen Monaten aufgrund der Corona-Pandemie unter Druck wie selten zuvor. Inge Heyer und Susanne Engels sprechen im Interview über die Probleme während der Krise.
In den vergangenen Monaten war das Gesundheitsamt besonders gefragt. Schließlich musste die Bundesstadt mit einer noch nie dagewesenen Pandemie fertig werden. Wie die Mitarbeiter der Einrichtung diese Zeit erlebten und wie das Amt auf eine zweite Welle vorbereitet ist, darüber sprachen Inge Heyer und Susanne Engels mit Lisa Inhoffen und Thomas Leurs.
Inge Heyer: Nachdem es einige Wochen bezüglich der Fallzahlen etwas ruhiger war, haben wir in den letzten Wochen sehr viele Hygienekonzepte und andere Sachen überprüft und Anfragen bearbeitet. Das hat uns sehr beansprucht. Zusätzlich erhalten wir viele Meldungen von Reiserückkehrern
Wie ist das Verfahren?
Heyer: Die Leute rufen in der Regel hier an oder nutzen das Kontaktformular auf www.bonn.de.
Es gibt Klagen, dass Ihre Hotline kaum zu erreichen ist. Reichen die Personalkapazitäten nicht aus?
Heyer: Im Moment schaffen die Mitarbeiter an der Hotline das noch, aber es sind schon sehr viele Anfragen. Seit dem 5. August haben wir zusätzlich vormittags eine vierte Leitung geschaltet.
Was raten Sie den Reiserückkehrern?
Heyer: Wir machen die Tests nicht vor Ort. Aber wir beraten sie natürlich und müssen auch prüfen, ob sie die Quarantäne einhalten. Das ist bei der Bearbeitung positiver Fälle immer notwendig. Es lässt sich ja auch nicht jeder Reiserückkehrer testen.
Und wenn Quarantäne angeordnet ist, wie prüfen Sie, ob die eingehalten wird? Mit Telefonanrufen?
Heyer: Ja, soweit wir es können.
Ab wann kommt das Ordnungsamt ins Spiel?
Heyer: In dem Moment, wenn es Auffälligkeiten gibt. Dann kontaktieren wir das Ordnungsamt.
Susanne Engels: Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir mit dem Handy weggedrückt werden oder wir irgendwelche Hintergrundgeräusche hören, die darauf hinweisen, dass derjenige nicht in der Wohnung ist.
Muss deswegen auch am Wochenende gearbeitet werden?
Heyer: Wir arbeiten immer am Wochenende.
Reicht das Personal dafür aus?
Heyer: Kolleginnen und Kollegen arbeiten aktuell zusätzlich vor Ort.
Welcher Corona-Fall war für Sie bisher der spektakulärste?
Heyer: Am meisten in Erinnerung geblieben ist der erste Fall.
Der Student aus Poppelsdorf?
Heyer: Ja, genau. Ich hatte den Tag ganz normal durchgearbeitet. Dann erhielt ich spät abends einen Anruf und fuhr ins Gesundheitsamt. Dort habe ich mich schnell mit vier Kolleginnen zusammengesetzt. Um Mitternacht kam der Leiter der Feuerwehr Bonn hinzu – im Anschluss die Kollegen des Universitätsklinikums. Die erste Krisenstabssitzung wurde direkt nachts hier im Haus abgehalten. Das war schon sehr schnell.
Engels: Für mich war dieser erste Tag natürlich eine besondere Situation. Das hat sehr viel Arbeit erfordert. Es war ja alles neu, und wir hatten ständig neue Informationen vom Robert Koch-Institut und von allen möglichen anderen Stellen.
Was hat Sie in der ganzen Krise bisher am meisten gestört?
Engels: Das Unangenehmste ist die Informationsflut von vielen Stellen. Es werden kurzfristig Nachrichten über Radio und Fernsehen verbreitet, und wir sitzen dann da und denken uns: Super, wir wissen nicht Bescheid, aber die Bevölkerung ist schon mal informiert. Und das sind dann auch manchmal nur Halbwahrheiten, weil die Bundesländer Empfehlungen des Bundes unterschiedlich umsetzen.
Wie könnte man das verbessern? Haben Sie einen Vorschlag?
Engels: Bei der Krisenbearbeitung müsste man prinzipiell – sowohl auf Landes- und Bundesebene als auch auf der kommunalen Ebene – andere Mechanismen finden. Umfangreiche Erlasse oder Verordnungen sollten in einem zeitlichen Rahmen veröffentlicht werden, der es den zuständigen kommunalen Behörden, seien es die Gesundheitsämter, die Ordnungsämter oder andere, ermöglicht, sich entsprechend darauf einzustellen, um eine gute Umsetzung zu gewährleisten.
Heyer: Man sollte direkt am Anfang Leute mit ins Boot nehmen, die die praktische Arbeit kennen. Unser Gesundheitsamt hat zum Glück mehrere ärztliche Kolleginnen und Kollegen, sodass wir fachlich sehr gut aufgestellt sind. Es gibt aber auch bundesweit ganz kleine Gesundheitsämter, etwa in den Landkreisen, und da ist die Situation viel schwieriger.
Was ist denn aus Ihrer Sicht in der Krise bisher besonders gut gelaufen?
Heyer: Besonders gut gelaufen ist die Zusammenarbeit hier im Amt. Das fand ich sensationell. Direkt in der Vorbereitung schon im Februar haben wir versucht, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fachlich in die Thematik einzuarbeiten. Die sehr gute und schnelle Kooperation mit den Krankenhäusern und dem leitenden Notarzt der Stadt Bonn vor dem Eintreten des ersten Falles ermöglichte Absprachen und hat uns sehr unterstützt. Mit anderen Ämtern der Stadtverwaltung erlebten wir ein sehr gutes Miteinander. Und was auch sehr gut lief, waren die regelmäßigen Krisenstabssitzungen.
Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land?
Heyer: Bestimmte Sachen waren am Anfang einfach nicht vorhanden. Ich hätte mir ein großes Depot an Materialien gewünscht, auf das wir zurückgreifen können. Das war insbesondere am Anfang sehr schwierig, weil niemand mit dem Umfang einer solchen Pandemie gerechnet hatte. Ansonsten kommt natürlich eine Fülle von Erlassen, die sich alle drei, vier Tage ändern. Das ist für uns ganz schwierig umzusetzen. Wir haben ja Mitarbeiter an der Hotline, die wir eingearbeitet haben. Dann hat man den Erlass mit allen durchgesprochen und zwei, drei Stunden später kommt der nächste Erlass, und es geht wieder von vorne los.
Haben Sie auch Personen im Telefonkontakt erlebt, die besonders aggressiv auf Anweisungen reagiert haben?
Engels: Es gibt Menschen, die nehmen die Quarantänepflichten einfach hin. Es gibt aber auch Menschen, mit denen muss man jedes Wort der Coronaeinreiseverordnung abklären und die Paragrafen rausholen und die Erlasse zitieren. Das ist schon sehr anstrengend. Und man wird auch schon mal verbal angegriffen.
Gab es schon Fälle, bei denen Sie die Polizei hinschicken mussten?
Engels: Nein, Polizei mussten wir noch nicht schicken, aber das Ordnungsamt.
Also haben sich am Ende im Großen und Ganzen alle dran gehalten?
Engels: Davon gehen wir aus. Wir kontrollieren die Einhaltung der Quarantäne. Die Menschen sind natürlich sehr aufgeregt, das verstehen wir. Dafür sind wir geschult. Wir haben extra eine Psychiaterin im Quarantäne-Team, weil viele mit großen Sorgen anrufen und sich fragen: Wie kann ich mit meinen Ängsten umgehen?
Was muss denn noch getan werden, damit Sie und Ihre Kollegen die zweite Welle – in der wir uns allem Anschein nach schon befinden – im Griff behalten können?
Heyer: Ganz wichtig ist das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Wir können noch so tolle Konzepte machen und planen. Wenn Menschen mit Symptomen, die auf eine Corona-Erkrankung hinweisen, in sensible Bereiche wie etwa zur Arbeit gehen oder auf einer Party feiern, dann können wir noch so gut sein, das werden wir nie einholen können. Aber wir sind nicht davor gefeit, plötzlich zwei, drei Hotspots zu bekommen. Das hängt wirklich von jedem Einzelnen ab. Und insofern hoffe ich, dass die Bürgerinnen und Bürger sich weiterhin einigermaßen diszipliniert verhalten, Abstand halten und Maske tragen. So lästig das manchmal ist.
Die Erkältungszeit steht uns bevor. Abwarten und Tee trinken?
Heyer: Da bleibt uns im Moment nichts übrig als abzuwarten. Ich befürchte, dass es noch länger geht. Das wird uns mindestens bis nächsten Sommer beschäftigen.
Sie haben gesagt, dass Sie in den vergangenen Monaten mit Corona stark ausgelastet waren. Was ist denn dabei auf der Strecke geblieben?
Heyer: Wir haben die regulären Schul-
eingangsuntersuchungen großteils nicht gemacht. Auch die ganzen Regelaufgaben wie zum Beispiel die Einstellungsuntersuchungen und amtsärztlichen Untersuchungen und vieles mehr mussten wegfallen. Wir haben keine Krankenhausbegehungen mehr machen können, sondern nur noch anlassbezogene Begehungen. Im Arzneimittelwesen haben alle mitgearbeitet, der sozialpsychiatrische Dienst hat unterstützt, wobei wir für die akuten Fälle noch Teams hatten. Viele Untersuchungsaufträge gehen jetzt über den Betriebsärztlichen Dienst. Oder wir sagen dem Gericht: Bitte sucht euch andere Gutachter, wir können das nicht wahrnehmen.
War die Influenza bisher ein Thema?
Heyer: Ja, aber differentialdiagnostisch. Also es stellte sich die Frage: Ist es Corona oder eine Influenza? Aber es war jetzt nicht so brisant.
Wie weit ist die Digitalisierung auch im Gesundheitsamt vorangeschritten?
Engels: Am Anfang haben wir noch alles händisch bearbeitet. Wir haben zeitgleich angefangen, unsere Ermittlungs- und Erfassungsdokumente elektronisch umzustellen. Da haben wir von den entsprechenden Ämtern der Stadt Unterstützung erhalten.
Heyer: Und wir haben jetzt eine eigene Datenbank, in der wir unsere Fälle dokumentieren.
Die Rolle der Gesundheitsämter hat ja durch die Corona-Pandemie einen ganz anderen Stellenwert bekommen. Was wünschen Sie sich und was muss man Ihrer Meinung nach noch besser machen?
Engels: Wir müssen die Öffentlichkeitsarbeit auf jeden Fall verbessern. Wir haben immer schon gesagt: Wir haben zu wenig Personal, wir müssen uns ganz anders aufstellen. Wir hatten ja schon SARS, die Grippe-Pandemie, zwischendrin Ebola und EHEC als intensive Arbeitssituationen. Das haben wir alles irgendwie geregelt. Es ging immer noch so gerade gut, aber es wird vielleicht mal ein Moment kommen, wo es nicht mehr reichen wird.