Vormundschaft für afghanischen Flüchtling Wie eine Bonnerin Mutter auf Zeit wurde

Bonn · Christine Mauelshagen engagierte sich als Vormund sechs Jahre lang für einen minderjährigen Flüchtling aus Afghanistan. Warum sie sich dafür entschied - und wie das funktioniert.

 Christine Mauelshagen hat sich sechs Jahre lang um Mohamed aus Afghanistan gekümmert. Als junger Mann steht er heute auf eigenen Füßen.

Christine Mauelshagen hat sich sechs Jahre lang um Mohamed aus Afghanistan gekümmert. Als junger Mann steht er heute auf eigenen Füßen.

Foto: Benjamin Westhoff

Ein flüchtiger Moment im Sommer 2015 veränderte alles im Leben von Christine Mauelshagen. Damals machte sie mit ihrer Familie Urlaub an der ligurischen Küste. Zum Eis essen wollte sie mit ihren beiden Kindern und ihrem Ehemann die italienisch-französische Grenze von Ventimiglia nach Menton passieren.

Während die Urlauber am Kontrollpunkt höflich und zuvorkommend behandelt wurden und passieren konnten, versuchten andere vergeblich, sich in Sicherheit zu bringen. „Der Grenzübergang liegt direkt am Meer. Am Strand hielten sich viele Flüchtlinge auf, die nach Frankreich einreisen wollten. Aber bewaffnete Beamte ließen nur uns Touristen durch“, erzählt die Marketingexpertin aus Bonn.

Ein Anblick, den sie nicht mehr vergessen konnte. „Mütter saßen mit ihren Kindern auf den Felsen, ungeschützt in der prallen Sonne, nur mit dem, was sie am Leib trugen“, erinnert sie sich. „Ich dachte damals, dass ich irgendetwas tun muss, um solchen Menschen zu helfen.“

Zurück in Bonn, setzte sie diesen Vorsatz in die Tat um. Mit Unterstützung des Jugendamts ist sie seit ein paar Jahren als ehrenamtlicher Vormund aktiv. Ihr Mündel Mohamed aus Afghanistan ist mittlerweile 22 Jahre alt. Sechs Jahre begleitete ihn Christine Mauelshagen dabei, sich hier in Sicherheit eine Zukunft aufzubauen. Heute hat er einen Schulabschluss in der Tasche, macht eine Ausbildung als Werbetechniker, ist finanziell unabhängig und lebt in einer eigenen kleinen Wohnung in Endenich.

„Ich bin wirklich sehr froh, dass ich mich damals so entschieden habe“, erzählt sie. Derzeit sucht das Jugendamt der Stadt wieder Ehrenamtliche, die wie Mauelshagen bereit sind, die Vormundschaft für einen Minderjährigen zu übernehmen.

Einfach waren die vergangenen sechs Jahre jedoch nicht. „Geflüchtete Kinder haben fast alle ein Trauma erlitten. Sie kennen Krieg, Gewalt und Hunger. Die Kinder haben in ihrem Leben meist viele Brüche erlebt, die in der Regel Narben hinterlassen haben“, sagt sie. „Ich weiß, dass Mohamed immer noch großes Heimweh hat. Aber er ist sich im Klaren darüber, dass es unter dem derzeitigen Regime keine Rückkehr in seine Heimat geben wird.“

Unerschütterlichkeit ist nötig

Mit einer Vormundschaft übernehmen Ehrenamtliche die komplette elterliche Sorge und sind dem Wohl des Kindes verpflichtet. Sie entscheiden wo das Kind lebt, wählen die Schule aus und stimmen notwendigen medizinischen Behandlungen zu. „Um das leisten zu können, braucht es ein hohes Verantwortungsbewusstsein und eine gewisse Unerschütterlichkeit, um auch in schwierigen Situationen nicht die Flinte ins Korn zu werfen. Denn eine Vormundschaft kann man nicht einfach ablegen wie einen alten Mantel, der einem zu eng geworden ist“, betont Mauelshagen.

Das Jugendamt machte sie in verschiedenen Seminaren fit für die Arbeit. Die Mitarbeiten stehen den Eltern auf Zeit jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung. „Wann immer es für mich schwierig wurde oder ich auch nur eine Frage hatte, haben mir die Mitarbeiterinnen dort immer weitergeholfen. Toll ist auch das große Netzwerk zwischen den ehrenamtlichen Vormündern, das vom Jugendamt gepflegt wird. Mehrmals im Jahr finden unverbindliche Treffen statt. Das hilft bei eigenen Sorgen und sorgt gleichzeitig dafür, dass man Tipps für Therapieplätze, Sportvereine, Sprachkurse etc. erhält. Außerdem gibt es regelmäßig ,Hilfeplangespräche‘ mit dem Jugendamt. Dabei wird besprochen, wie es dem Kind geht, was seine nächsten Pläne sind und ob es speziellen Unterstützungsbedarf hat“, so Mauelshagen.

Wichtig war ihr von Anfang an, dass man respektvoll miteinander umgeht. „Man kann einem Minderjährigen nicht einfach seine eigene Kultur überstülpen. Wir dürfen unsere Identität nicht auf einen anderen übertragen. Nur so gelingt ein respektvolles Zusammenleben“, ist sie überzeugt. „Mohamed steht heute auf eigenen Füßen. Manchmal fragt er mich noch um Rat. Beispielsweise neulich, als er einen Mobilfunkvertrag kündigen wollte. Andererseits bitte ich ihn schon mal, mir einen Gefallen im Garten zu tun. Wir helfen uns inzwischen gegenseitig. Auf Augenhöhe.“

Die Entscheidung war richtig

Rückblickend würde sie dieselbe Entscheidung wie 2015 treffen. „Ich hatte das Glück, meinem Mündel in vielen Dingen helfen zu können, und das ist eine Erfahrung, die mich sehr zufriedenstellt. Bei einem Jungen aus Afghanistan kommt natürlich noch dazu, dass ich eine ganz andere Kultur kennengelernt habe. Mich und auch meine Familie bereichert es heute noch, diesen jungen Mann zu kennen“, berichtet sie.

Zurzeit sei sie allerdings beruflich sehr eingespannt und übernimmt daher keine Vormundschaft. „Um dieser verantwortungsvollen Arbeit nachgehen zu können, braucht man genügend eigenen Freiraum und mentale Kraft. Die fehlt mir im Moment. Aber wenn ich beruflich kürzer treten kann, werde ich auf jeden Fall über eine weitere Vormundschaft nachdenken“, ist sie sich sicher.

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