Experten diskutieren in Bonn über Grundrechte im Netz Wie Hass im Netz die Meinungsfreiheit untergräbt
Bonn · Hass ist im Netz alltäglich. Leider. Was sich mit Regeln, die sich hinter Wortungetümen Netzwerkdurchsetzungsgesetz verbergen dagegen ausgerichtet werden kann, diskutiert der Datenschutzbeauftragte Ulrich Kelber mit Gästen.
Das Internet ist kein gesetzfreier Raum. Auch in der virtuellen Welt gelten Paragraphen und die Artikel des Grundgesetzes. Kein Wunder also, dass es am Montagabend beim Expertenforum im Bonner Leoninum anlässlich des diesjährigen Grundrechtetages eingangs „Willkommen in der Stadt des Grundgesetzes“ hieß. Passend zum Auftrag des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber. Und den beschreibt Kelber so: „Wir verstehen uns als Grundrechtsbehörde, die sich als Verteidigerin und Durchsetzerin der Grundrechte versteht, auch im digitalen Raum.“ Was abstrakt klingt, ist also dich dran, am Hass im Netz, dem Thema des Abends.
Frauen als Zielscheibe
Zur Zielscheibe dieses Hasses werden laut Kelber unter anderem Frauen, religiöse Minderheiten und die LGBTQ-Community. „Die Grundrechte zu wahren und ihnen Geltung zu verschaffen, wo sie drohen verloren zu gehen, ist eine Herausforderung“, findet er. Dazu müsse das Thema Hassrede mehr in den Fokus gerückt werden, denn gerade im Netz seien Menschen angreifbar und es sei schwer, sich gegen Anfeindungen zur Wehr zu setzen.
Die Präsidentin des Bundesamtes für Justiz, Veronika Keller-Engels, setzt auf spezifischere gesetzliche Reglungen: „Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist die Grundlage für eine wirksame Bekämpfung.“ Es sei Grundlage unter anderem für die Durchführung von Bußgeldverfahren bei Verstößen, habe somit auch repressiven Charakter. Ihre Behörde beschreibt sie als „Gefahrenabwehrbehörde“, sie handele somit auch präventiv. „Wir überprüfen jeden gemeldeten Fall daraufhin, ob es sich um eine Straftat handelt.“ Dazu sei ihre Behörde auch auf die Mitarbeit aus der Bevölkerung angewiesen.
Strafverfolgung reicht nicht
Der Kölner Jurist Markus Hartman ist Leiter von ZAC NRW, der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime, die sich mit Cyberkriminalität befasst. „In kaum einem anderen Feld haben wir so viele Diskussionen und Veränderungen“, sagt Hartmann. Seiner Ansicht nach werde Strafverfolgung allein das Problem allerdings nicht lösen. Denn Betroffene hätten es bisweilen nicht leicht, angesichts der bürokratischen Hürden, Anzeige zu erstatten. „Für Strafanzeigen können mittlerweile Muster ausgefüllt werden“, so Hartmann. Er fordert: „Die Staatsanwaltschaften müssen für die Betroffenen zugänglicher werden.“
„Menschenrecht gilt auch digital“ lautete der Titel zum Vortrag von Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin und Gründerin der 2018 gegründeten Organisation HateAid, zu deutsch Hass-Hilfe, einer bundesweit tätigen Betroffenen-Beratungsstelle. „Wir ermutigen Betroffene sich zu wehren“, sagte von Hodenberg. HateAid finanziert zivilrechtliche Prozesse. Bislang wurden rund 3000 Betroffene beraten und 450 Strafanzeigen gestellt. „Hassrede hat eine verstörende und beängstigende Wirkung“, schildert sie. Und zudem keine Seltenheit: „Digitaler Hass ist leider Teil unserer Lebensrealität.“
Hälfte der Nutzer werden Opfer
Was sie mit Zahlen belegen kann: 76 Prozent der Internetnutzer geben an, bereits Hass im Netz miterlebt zu haben. 50 Prozent der 18- bis 35-Jährigen waren selbst Opfer von Hass im Netz. „Das ist kein Randphänomen“, sagt von Hodenberg. So gerate die Meinungsfreiheit und damit zugleich auch die Demokratie unter Druck. Denn Hass im Netz führe dazu, dass sich Leute nicht mehr trauten ihre Meinung zu sagen. Das gelte durchaus auch für Profis: Selbst Journalisten trauten sich an bestimmte Themen nicht heran, aus Angst, im Netz attackiert, gebrandmarkt oder bedroht zu werden. Auch vielen Bürgermeistern und Politikern gehe es so.
Die Behörde des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), die in Bonn-Castell ihren Sitz hat, hatte die Veranstaltung organisiert, im Internet gestreamt und aufgezeichnet. Die Aufzeichnung ist im Internet abrufbar unter www.bfdi.bund.de.