Viereinhalb Jahre nach dem Tod Wie laufen die Ermittlungen im Fall Jens Bleck?

Bonn/Bad Honnef · Vor viereinhalb Jahren kam der 19-jährige Bad Godesberger Student Jens Bleck nach dem Besuch einer Bad Honnefer Diskothek ums Leben. Bis heute warten die Eltern vergeblich auf eine Erklärung.

Die Mühlen der Bürokratie mahlen mitunter langsam. Vermutlich, weil sie so gründlich und akkurat mahlen. Mitunter so akkurat, dass man als Bürger von Glück sagen kann, nicht unter die Mühlsteine zu geraten. Seit viereinhalb Jahren bewegen sich Alma und Torsten Bleck im Radius der Mühlsteine. Weil sie keine andere Möglichkeit sehen, eines Tages vielleicht doch noch zu erfahren, warum ihr Kind sterben musste.

Wenn das eigene Kind stirbt, ist dies die größtmögliche seelische Verwundung. Nichts ist mit diesem Schmerz vergleichbar. Jens Henrik Bleck aus Bad Godesberg war 19 Jahre alt, als er in der Nacht zum 9. November 2013 nach dem Besuch der damaligen Bad Honnefer Diskothek "Rheinsubstanz" unter mysteriösen Umständen starb. Zwei Wochen später, am Abend des 24. November 2013, teilte die Polizei dem Ehepaar Bleck mit, dass man die Leiche ihres Sohnes im Rhein gefunden hatte. 50 Kilometer flussabwärts, im Norden Kölns.

Eine Opferschutzbeauftragte der Bonner Polizei empfahl den traumatisierten Eltern, sich dringend professionelle Hilfe zu holen - und machte für die Blecks gleich einen Termin mit einer ihr bekannten Fachärztin der Psychiatrischen Klinik des Landschaftsverbands Rheinland aus. Die Ärztin in der LVR-Ambulanz an der Kölnstraße drückte Alma und Torsten Bleck Formulare in die Hand, die möchten sie doch bitte ausfüllen und unterzeichnen, das brauche sie für ihre Abrechnung. Mutter und Vater des toten Studenten füllten noch unter Schock die Papiere aus, gaben sie der Ärztin zurück und vergaßen augenblicklich den Inhalt. Es gab weiß Gott Wichtigeres, das Platz in ihren Köpfen und in ihren Herzen beanspruchte.

Auf verwundete Seelen sind die Mühlen der Bürokratie selten eingestellt. Dieser Tage, viereinhalb Jahre nach dem Tod ihres Sohnes, geht Alma Bleck morgens zum Briefkasten. "LVR - Qualität für Menschen" steht auf dem Kuvert. Sie öffnet es und überfliegt den Inhalt des Schreibens aus Köln: "Bescheid ... Ihren Antrag muss ich leider ablehnen ... Sie beantragen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) für die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung (Trauma), die Sie nach Ihren Angaben am 9.11.2013 erlitten haben ... Zur Begründung Ihres Antrags haben sie angegeben, dass Ihr Sohn durch Gewalteinwirkung in den Rhein gestoßen wurde und ertrank ... Um den Tatablauf und die gesundheitlichen Folgen zu ermitteln, habe ich die Staatsanwaltsakte ausgewertet ... Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff ist nicht nachgewiesen."

Feuerwehr stelle Rechnung an die Familie Bleck

Alma Bleck reißt es die Beine weg. So wie damals, im Januar 2014, zwei Monate nach dem Tod ihres Sohnes, als eines Morgens ein Brief der Feuerwehr der Stadt Köln in ihrem Briefkasten lag. Eine Rechnung für den Einsatz namens "Jens Henrik Bleck / Krankenkasse: unbekannt" am 24. November 2013 um 12.50 Uhr: "Aufgrund der Gebührensatzung für den Rettungsdienst der Stadt Köln werden folgende Gebühren festgesetzt ..." Mit angehängtem, maschinell ausgefülltem Zahlungsformular. Alma Blecks Sohn war am 24. November 2013 um 12.50 Uhr nicht mehr zu retten, ihr Sohn hatte da schon zwei Wochen tot im Wasser gelegen, aber die in der Rechnung vermerkte Diagnose des Kölner Notarztes ("Exitus") hatte ihren Preis: 325 Euro.

Die Rechnung der Kölner Berufsfeuerwehr haben die Blecks damals beglichen. Auch mit einer Hilfe nach dem Opferentschädigungsgesetz haben die Eltern nie gerechnet, weil sie schon gar nicht mehr wussten, was sie vor viereinhalb Jahren auf Anraten der Ärztin unterschrieben hatten und gar nicht wussten, was dieses Opferentschädigungsgesetz eigentlich besagt. Und weil es sie auch nicht interessierte.

Aber der viereinhalb Jahre nach Antragstellung eingegangene Bescheid aus der Kölner LVR-Zentrale beschäftigt sie derzeit aus einem anderen Grund. Und aus diesem Grund rief Torsten Bleck bei der im Schreiben genannten zuständigen Sachbearbeiterin an. "Die Mitarbeiterin gab schließlich zu, den Inhalt der Ermittlungsakte gar nicht zu kennen. Man habe zwar die Akte bei der Bonner Staatsanwaltschaft angefordert, um sich ein Bild zu machen, und am 22. Februar 2017 eine CD erhalten - allerdings ohne Zugangscode. Die CD sei daher nicht lesbar. Auf mehrfache Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Bonn nach dem Zugangscode sei aber bis heute, mehr als ein Jahr danach, keine Antwort erfolgt.

Keine Akteneinsicht mehr für die Eltern

Allerdings sei man das von dort auch nicht anders gewöhnt, erzählte mir die LVR-Sachbearbeiterin am Telefon. Der Tenor des Begleitschreibens zur CD vom 22. Februar 2017 habe bei ihr jedoch den Eindruck erweckt, dass die Ermittlungen ohne Ergebnis eingestellt worden seien. Deshalb habe sie unseren Antrag vom Dezember 2013 jetzt abgelehnt." Torsten Bleck bat die LVR-Sachbearbeiterin um eine Kopie des Begleitschreiben der Bonner Staatsanwaltschaft. Das sagte sie ihm freimütig zu. Als Tage später nichts eingetroffen war, rief Tosten Bleck erneut in Köln an. "Jetzt war die Mitarbeiterin deutlich zurückhaltender und sagte mir, das dürfe sie nicht."

Die Blecks wüssten zu gerne, was in dem Schreiben der Bonner Staatsanwaltschaft vom Februar 2017 bei der LVR-Sachbearbeiterin den Eindruck erweckte, die Ermittlungen seien ergebnislos eingestellt. Denn dem Anwalt der Familie wird seit geraumer Zeit (und zuletzt noch eine Woche vor dem LVR-Bescheid) die Akteneinsicht verwehrt - mit der Begründung, das Ermittlungsverfahren gegen zwei namentlich bekannte Tatverdächtige sei noch nicht abgeschlossen. Seit März 2016 hat der Anwalt der Eltern keine Akteneinsicht mehr erhalten. Und seit einer Woche hat er schwarz auf weiß vom Bonner Amtsgericht, dass dies seine Richtigkeit habe: aus ermittlungstaktischen Gründen - und wegen der Nähe der Eltern zum General-Anzeiger.

Tatsächlich hatten Alma und Torsten Bleck im Herbst 2014, fast ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes, Kontakt zum General-Anzeiger gesucht. Und erst die darauffolgende Veröffentlichung im General-Anzeiger, die jene Ungereimtheiten des Todesfalles aufzeigte und die Absurdität der bisherigen Suizid-Annahme deutlich machte, brachte erstmals Bewegung in den Fall: Plötzlich wurde intensiv ermittelt, plötzlich gab es eine Zeugin, plötzlich gab es zwei Tatverdächtige, der Tod des 19-Jährigen wurde Thema im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtages.

Bonner Staatsanwaltschaft wollte Ermittlungen einstellen

Wäre es nach der Bonner Staatsanwaltschaft gegangen, dann wären die Ermittlungen tatsächlich längst eingestellt. Erst musste die Kölner Staatsanwaltschaft im Frühjahr 2014 die Bonner Behörde in harschem Ton darauf hinweisen, dass auch im Hinblick auf ein mögliches Fremdverschulden zu ermitteln sei, dann wurde die Bonner Staatsanwaltschaft im Oktober 2016 von der in Köln ansässigen Generalstaatsanwaltschaft als Dienstaufsichtsbehörde angewiesen, die Ermittlungen im Todesfall Jens Bleck wieder aufzunehmen - verbunden mit der Benennung konkreter Schritte. Ein höchst seltener Vorgang.

Seit geraumer Zeit fordert der Anwalt der Familie eine richterliche Vernehmung der sogenannten Brückenzeugin, die gemeinsam mit den beiden Tatverdächtigen zugegen gewesen sein muss, als der 19-jährige Student in der Nacht zum 9. November 2013 gegen 2.52 Uhr vermutlich von der Brücke zur Bad Honnefer Rheininsel Grafenwerth in den Hochwasser führenden Fluss stürzte. In den polizeilichen Vernehmungen hatte sich die Brückenzeugin in heillose Widersprüche verrannt und schien auch unter erheblichem Druck zu stehen - von wem auch immer. Der Anwalt der Familie Bleck machte sich große Hoffnungen, dass die Zeugin vor einem Richter unter Eid mit der Wahrheit herausrücken würde.

Ist eine Zeugin plötzlich eine Tatverdächtige?

Am Morgen des 9. März 2018 war es dann soweit. "Ein Kriminalbeamter erschien mit seinem Laptop im Gerichtssaal, um entsprechende Szenen aus den Videos der Überwachungskameras der Diskothek vorführen zu können", berichtet Torsten Bleck. "Aber sein Laptop musste er erst gar nicht starten, denn die Veranstaltung war schnell beendet: Der Rechtsbeistand der Brückenzeugin gab bekannt, dass seine Mandantin die Aussage verweigere, um sich nicht selbst zu belasten."

Das akzeptierte der Amtsrichter. Der Anwalt der Familie Bleck hat inzwischen Beschwerde gegen die Billigung des Auskunftsverweigerungsrechts eingelegt. Darüber muss nun das Bonner Landgericht befinden. Von einem Auskunftsverweigerungsrecht darf zum Beispiel Gebrauch machen, wer sich durch eine Zeugenaussage selbst strafrechtlich belasten würde. Bedeutet dies, dass die Brückenzeugin nun selbst zum Kreis der Tatverdächtigen gehört?

Eine Anfrage des General-Anzeigers beim zuständigen Amtsrichter wurde an die Direktorin des Amtsgerichts verwiesen. Eine Anfrage des General-Anzeigers bei der Direktorin Birgit Niepmann wurde an die Bonner Staatsanwaltschaft verwiesen. Und eine Anfrage des General-Anzeigers bei der Staatsanwaltschaft blieb insofern ergebnislos, weil man dort aus ermittlungstaktischen Gründen nichts sagen will.

Es wird weiter ermittelt

Das wäre dann zumindest die gute Nachricht: Auch viereinhalb Jahre nach dem mysteriösen Tod des 19-Jährigen wird weiter ermittelt - nachdem in der kriminalistisch kostbaren Zeit der ersten Monate nach dessen Tod die Ermittlungen in nicht nachvollziehbarer Weise vernachlässigt worden waren.

Eine Bürgerinitiative hat mit Spenden aus der Bevölkerung 17.000 Euro gesammelt - als Belohnung für sachdienliche Hinweise, die zur Aufklärung des Todesfalles führen. Diese Belohnung steht noch immer zur Verfügung.

"Die Verweigerung der Akteneinsicht mit dem Hinweis, die Eltern von Jens hätten Kontakt zur Presse, sind für uns nicht nachvollziehbar", erklären die beiden Sprecher der Bürgerinitiative, Änne von Bülow und Jan Maresch. "Erst nachdem sich die Eltern ein Jahr nach dem Tod ihres Sohnes an die Presse gewandt hatten, wurde ernsthaft ermittelt. Was wäre wohl ohne den Druck der Öffentlichkeit aus dem Verfahren geworden?" Weiter erklären die Sprecher der Initiative: "Angefangen mit der Verweigerung von Hilfe durch die Polizei für den sich verfolgt und mit dem Tode bedroht fühlenden Jens in jener Nacht bis zu dieser jetzigen Verweigerung der Akteneinsicht gibt es in diesem tragischen Todesfall so viele Zeichen der Unwilligkeit, dass wir inzwischen an dem ernsthaften Willen und damit auch an dem Funktionieren der Ermittlungsbehörden in Bonn zweifeln."

Mehr zum Thema "Jens Bleck" gibt es in unserem Special. Die Rekonstruktion der Todesnacht gibt es in der Reportage "Der Fall Jens Bleck".

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