GA-Serie: Die Friedensstifter Wie Schiedsleute die Gerichte entlasten

Bonn · Nachbarschaftsstreitigkeiten, Lärmärger, Beleidigungen – was den Betroffenen mächtig ärgert, ist oft noch längst keine Sache für Rechtsanwälte und Gerichte. Ehrenamtliche Schiedsleute wie Ulrich Twrsnick ersparen den Streithähnen im besten Fall viel Zeit und Geld. Wir stellen sie vor.

 Ulrich Twrsnick ist seit sieben Jahren für den Bonner Teilschiedsamtsbezirk 4 in Bad Godesberg tätig.

Ulrich Twrsnick ist seit sieben Jahren für den Bonner Teilschiedsamtsbezirk 4 in Bad Godesberg tätig.

Foto: Leif Kubik

„Wir fällen keine Urteile, sondern versuchen eine gütliche Einigung zu erzielen“, erläutert Ulrich Twrsnick. Der pensionierte Oberst der Bundeswehr ist Schiedsmann im Bonner Bezirk Mehlem und bemüht sich mit seinem Engagement seit Jahren, kleinere Streitigkeiten schnell und unbürokratisch zu lösen – damit ist er einer von 56 Männern und Frauen in Bonn und der Region. Der GA stellt einige von ihnen in einer neuen Serie vor.

„Das Schiedswesen geht als kommunale Einrichtung auf den Wiener Kongress von 1815 zurück“, erläutert Twrsnick. „Es dient dazu, zivil- und teilweise auch strafrechtliche Fälle, die von geringem öffentlichen Interesse sind, zu schlichten“, skizziert der ehemalige Sprecher des Verteidigungsministeriums die Geschichte seines Ehrenamts. Analog zu den in den französisch besetzten Teilen des Königreichs Preußen bereits zuvor wirkenden Friedensrichtern, führte der preußische Staat auch außerhalb des Rheinlands ein entsprechendes Amt ein, das dort Schiedsmann hieß. Dem Beispiel folgten schnell weitere deutsche Länder, und heute hat sich der Begriff der Schiedspersonen bis auf das Land Sachsen, wo man noch immer zum Friedensrichter geht, bundesweit durchgesetzt.

Nach den Vorschriften des NRW-Schiedsamtsgesetzes sind die Kommunen für die Durchführung des Schiedsamtswesens verantwortlich – von der Wahl der Schiedspersonen über die Aus- und Fortbildung bis zur Ausstattung. Bei den sogenannten Privatklagesachen ist das Einschalten der Schiedsperson vor dem Gang zum Gericht sogar vorgeschrieben. Privatklagesachen sind Straftaten, bei denen die Staatsanwaltschaft nur Anklage erhebt, wenn sie ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung sieht.

Das Bonner Stadtgebiet ist derzeit in zwölf Teilschiedsamtsbezirke unterteilt, der Rhein-Sieg-Kreis in weitere 46. „Um für die Bürger eine möglichst optimale Erreichbarkeit der Schiedspersonen zu erreichen, wohnt jede Schiedsperson in ihrem eigenen Teilschiedsamtsbezirk“, sagt Helmut Beines, der seitens der Stadt Bonn für das Schiedswesen verantwortlich ist. Die Fachaufsicht über die Schiedsleute führt das Amtsgericht aus. Durch die Verhandlung bei einer Schiedsperson werden insbesondere auch die Gerichte entlastet: „Schiedsleute leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Streitschlichtung“, lobt die stellvertretende Direktorin des Bonner Amtsgerichts, Gabriela Wester, die Ehrenamtlichen.

Egal, ob es um den berühmt-berüchtigten Ast geht, der um ein paar Zentimeter zu weit über den Gartenzaun auf das Grundstück des Nachbarn ragt, um mehr oder minder exotische Gerüche im Treppenhaus oder auch um kleinere Beleidigungen oder sogar um eine handfeste Ohrfeige: Twrsnick und seine Kollegen in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis können helfen. „Der Weg zum Gericht ist mit erheblichen Kosten verbunden, Rechtsanwälte wollen ihr Geld, die Justizbehörden müssen bezahlt werden, und der Zeitaufwand steht meist in keinem Verhältnis zu Wert oder Bedeutung der Streiterei“, sagt der 68-Jährige. „Und genau für solche Fälle hat der Gesetzgeber das Schiedswesen vorgesehen.“

Seit sieben Jahren ist Twrsnick für den Bonner Teilschiedsamtsbezirk 4 in Bad Godesberg tätig. „Der Gang zum Schiedsmann ist nicht nur meistens der schnellste Weg, um Streitigkeiten kostensparend beizulegen, sondern seitens der Staatsanwaltschaft auch explizit gewünscht“, berichtet er. Schiedspersonen kommen bei kleinen Privatklagedelikten – neben Beleidigungen auch Hausfriedensbruch, Verletzung des Briefgeheimnisses oder leichter Körperverletzung wie einer Ohrfeige – zum Einsatz.

„Der Schiedsmann ist aber kein Richter. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen und Zugeständnisse sowie Abstriche machen“, sagt der 68-Jährige. Von der Schlichtung ausgeschlossen sind Ehescheidungen, Erbschaftsangelegenheiten und selbstverständlich schwere Straftaten wie Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung. „Da ist der Weg über die Anzeige bei der Polizei unumgänglich“, sagt Twrsnick. Die darf übrigens nicht von vornherein auf die Schlichtung hinarbeiten und eine Anzeige aus diesem Grund ablehnen. „Die Polizei ist grundsätzlich verpflichtet, jedes Privatklagedelikt aufzunehmen“, erläutert der Bonner Polizeisprecher Robert Scholten.

Ulrich Twrsnick ging 1969 nach dem Abitur in Hamburg zur Bundeswehr. Interessante Stationen in der Karriere des ehemaligen Obersts waren neben Auslandsaufenthalten in Khartoum, Madrid und dem belgischen Mons zwei Generalstabsausbildungen in Deutschland und Spanien sowie die Position eines Sprechers im Bundesverteidigungsministerium. Der 68-Jährige ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Im Ehrenamt möchte der Pensionär nun der Gesellschaft etwas zurückgeben.

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