Franziska Müller-Rech und Joachim Stamp von der FDP "Wir brauchen den Quereinstieg in Kindergärten"

Interview | Bonn · Die Bonner FDP-Landtagskandidaten Franziska Müller-Rech und Joachim Stamp sprechen über den Mangel an Erziehungskräften, Schule und steigende Mietpreise.

 Joachim Stamp und Franziska Müller-Rech im Interview: „In einer Pandemie läuft leider nicht alles nach Plan.“

Joachim Stamp und Franziska Müller-Rech im Interview: „In einer Pandemie läuft leider nicht alles nach Plan.“

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Die FDP-Landtagsabgeordneten Franziska Müller-Rech und Joachim Stamp wollen bei ihrer Wiederwahl eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik fortsetzen. Im Gespräch mit Philipp Königs sprechen sie über Erfolge und Misserfolge nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung.

Was ist aus Ihrer Sicht in Düsseldorf gut, was schlecht gelaufen?

Joachim Stamp: Es ist ein entscheidender Erfolg, dass wir einen neuen Aufbruch in der Wirtschaft geschafft haben: Mit den Entfesselungspaketen unseres Wirtschaftsministers Andreas Pinkwart, mit einer völlig neuen Gründerkultur und mit besseren Standortbedingungen haben wir den Rahmen gesetzt, sodass in den letzten fünf Jahren trotz Krisenzeiten 400.000 neue Arbeitsplätze entstanden sind.

Franziska Müller-Reich: Ein großer Erfolg ist auch, dass wir die ideologische Bildungspolitik von Rot-Grün beendet haben. Die umstrittene Methode „Lesen durch Schreiben“, auch bekannt als „Schreiben nach Hören“, ist abgeschafft. Wir haben die Förderschulen gerettet und das Fach Wirtschaft eingeführt. Und jetzt geht es darum, dass wir mit der Talentförderung und mit den Talentschulen weitermachen und die Chancen für alle Kinder besser machen.

Was ist Ihnen nicht gelungen?

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Stamp: Wir haben durch die Pandemie und den Krieg Rahmenbedingungen bekommen, die wir vorher niemals erwarten konnten. Das hat vieles, was wir gerne noch weiter nach vorne gebracht hätten, ein Stück weit erschwert. Bei der Entschuldung wären wir zum Beispiel gerne weiter. Aber wir sind jetzt in einer Zeit, in der historische Entscheidungen getroffen werden müssen und wo wir eine große Verpflichtung haben, gerade auch gegenüber den Menschen, die vor dem Krieg von Putin fliehen. Es ist jetzt unsere Aufgabe, diesen Menschen Schutz zu bieten – so lange sie ihn brauchen.

Was wollen Sie bei einer Wiederwahl in den nächsten Jahren erreichen?

Stamp: Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung in NRW. Wir setzen weiter auf eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik. Wir wollen bei der Digitalisierung und der Gründerkultur unseren Weg fortsetzen. Im Gegensatz zu SPD und Grünen sind wir der Meinung, dass die Energiewende mit Innovationen statt Verboten gelingt. Wir haben nur eine Chance, wenn wir neue Technologien und den Umbau unserer Wirtschaft umfassend fördern.

Müller-Rech: In der Bildungspolitik haben wir viel geschafft, aber wir haben auch noch viel zu tun. Den Lehrermangel müssen wir weiter bekämpfen. Wir haben es jetzt in fünf Jahren geschafft, dass heute 13 300 Menschen mehr in den Schulen arbeiten. Aber das reicht nicht. Wir müssen weitermachen und mehr Studienplätze für die Mangelfächer Grundschullehramt und Sonderpädagogik anbieten. Ein weiterer Schwerpunkt wird sein, bei der Digitalisierung der Schulen weiterzumachen. Es reicht nicht aus, einmal Geräte in die Klassenräume zu werfen.

Wie soll das pädagogisch begleitet werden?

Müller-Rech: Der Schlüssel wird die Fortbildung der Lehrkräfte sein. Die besten Geräte nützen nichts, wenn sie nicht zum Einsatz kommen. Die Lehrkräfte-Fortbildung ist noch zu antiquiert. Wir brauchen neue Formate, auch von externen Partnern, und eine Fortbildungspflicht für Lehrkräfte.

Die Regierung hat die Abstandsregel für Windräder eingeführt. Wie passt das zu dem von Ihnen propagierten Innovationsschub?

Stamp: Wir stehen bei den erneuerbaren Energien unter den Top drei der Bundesländer, was den Ausbau angeht, sowohl bei Windkraft als auch bei Photovoltaik. Wir müssen alle Regeln im Baugesetzbuch auf den Prüfstand stellen und zu bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen kommen. Trotzdem muss auch die Akzeptanz für die Energiewende gesichert werden. Das Entscheidende ist aber, dass wir Planungs- und Genehmigungsverfahren wesentlich beschleunigen.

Die Kindergärten fallen in Ihren Aufgabenbereich als Minister. Was muss passieren, um dort den Fachkräftemangel wirksam zu bekämpfen?

Stamp: Die Personaldecke ist bundesweit dünn. Das ist insofern ein komplexes Thema, weil wir den Arbeitskräftemangel und Fachkräftemangel quasi in allen Branchen spüren. Wir können es in den Kindergärten nur schaffen, wenn wir mehr Quereinstieg ermöglichen. Da stellen sich momentan aber die Bildungsgewerkschaften quer, weil sie Sorge haben um die Qualität des Erzieherinnen- und Erzieherberufs. Es geht aber nicht darum, den Beruf oder Qualitätsstandards infrage zu stellen, sondern wir wollen einfach mehr Möglichkeiten schaffen, dass Quereinsteiger in multifunktionalen Teams in den Kitas mitarbeiten und auf diese Art und Weise mehr Personal gewinnen.

Sie standen immer wieder in die Kritik, weil Sie die Kitas trotz steigender Inzidenzen durchgehend offenhielten...

Stamp: Mir wurde Leichtfertigkeit beim Umgang mit der Gesundheit und dem Leben von Kindern unterstellt. Das hat mich getroffen. Denn ich habe bewusst auf den Rat der Kinderärzte in NRW gehört. Ich bin überzeugt, dass es richtig gewesen ist, dass wir die Kitas für all diejenigen, die darauf angewiesen waren, offengehalten haben. Wir hatten dadurch keine verstärkte Infektionsgefahr, und wir sind mit der Art und Weise, dass wir auf die Verhältnismäßigkeit geachtet haben, besser gefahren als andere. Wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems jetzt nicht mehr gegeben ist, auch perspektivisch nicht gegeben ist, müssen Grundrechtseinschränkungen wegfallen.

Schwarz-Gelb hat in NRW entschieden, die Corona-Maßnahmen zu lockern. Ist das nicht verfrüht?

Müller-Rech: Als FDP haben wir schwerwiegende Grundrechtseingriffe mitgetragen in einer Zeit, in der es für den Gesundheitsschutz notwendig war. Wir halten nun diesen Schritt zu mehr Freiheit und Normalität für verantwortbar. Wir sind immer im engen Austausch mit der Wissenschaft und den Kinderärztinnen und Kinderärzten.

Schulministerin Gebauer war während Corona dem Vorwurf ausgesetzt, die Schulen viel zu spät zu informieren. Hätte das nicht anders laufen müssen?

Müller-Rech: In einer Pandemie läuft leider nicht alles nach Plan, sondern die Dynamik erfordert meist schnelle und unmittelbare Reaktionen. Das war für alle Beteiligten oft unbefriedigend und eine enorme Herausforderung, insbesondere für Eltern, Schüler und Lehrkräfte. Schulministerin Gebauer hat stets im Blick gehabt, bei allen Maßnahmen den Schulen ausreichende Vorbereitungszeit zu geben. Oft mussten die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz dann sehr kurzfristig umgesetzt werden.

Kommen wir zum Thema Verkehr: Ab 2025 soll der Tausendfüßler auf sechs Spuren erweitert werden. Steht die FDP für dieses Projekt?

Müller-Rech: Die Planungen sollten nicht mehr verändert werden. Der Tausendfüßler muss jetzt saniert werden. Wir können das nicht noch einmal vertagen, weil da unbedingt noch ein Radschnellweg hin soll. Ich fahre selbst viel Rad in Bonn, aber neben der Autobahn herzufahren, ist jetzt auch nicht das Schönste. Wer dieses Projekt weiter aufhält, nimmt in Kauf, dass der Tausendfüßler irgendwann nicht mehr tragfähig ist und gesperrt werden muss. Und wir müssen eben auch festhalten, dass es Leute gibt, die auf das Auto angewiesen sind.

Die Preise im Nahverkehr sind im Verkehrsverbund Rhein-Sieg im Vergleich mit anderen Verbänden hoch. Ist das Land gefragt, sich stärker in die Finanzierung einzubringen?

Müller-Rech: Es ist sinnvoll, dass wir einen einheitlichen Tarif für NRW finden. Wir wissen, wie schwer es ist, mit den Tarifverbünden darüber zu sprechen. Aber diese Gespräche sollte man nicht abreißen lassen. Es wäre sinnvoll und zügig machbar, eine App für den Personennahverkehr in ganz NRW zu haben, um den Tarif-Dschungel etwas zu lichten. Es ist völlig klar, dass im ÖPNV auch die Zukunft liegt. Wir müssen uns auch anschauen, wie wir die ländlichen Räume besser anschließen können. Das Problem ist sehr vielschichtig. Es stellt sich nicht allein die Frage, wie sich die Ticketpreise senken lassen.

Die Mieten in den Städten steigen und steigen. Welche Antwort darauf haben die Liberalen in Nodrhein-Westfalen?

Müller-Rech: Bauen, bauen, bauen. Wenn wir immer wieder sagen, wir dürfen den Wohnraum nicht verdichten, aber wir brauchen mehr Wohnungen in Bonn, kommen wir nicht weiter. Die FDP hat in ihrem Wahlprogramm die innovative Idee der Hochhinaushäuser verankert. Das sind Hochhäuser, die attraktiv gestaltet sind und hohen Klimaschutz-Anforderungen genügen, gut an die Infrastruktur angebunden sind und mit einer Kita, einem Ärztehaus oder einem kleinen Supermarkt ausgestattet sind.

Sollte der Wohnungsbau dem freien Markt überlassen werden?

Stamp: Wir wollen die besten Architekten der Welt nach NRW einladen, um Stadtentwicklung voranzubringen und auch anspruchsvoll in die Höhe zu bauen. Wir wollen mit der Bauwirtschaft zusammen einen Innovationsschub erreichen und zeigen, wie es geht. Wir sehen ja in Berlin, dass eine linke Wohnungspolitik gegen Vermieterinnen und Vermieter komplett scheitert. Dort wird weniger gebaut, und es verschärft sich die Krise. Wir müssen insgesamt das Bauen attraktiver machen.

Aus welchem Grund sollten Sie die Bonner wählen?

Müller-Rech: Ich möchte mich im Landtag weiterhin für bessere Bildung einsetzen. Wir müssen auch in Bonn die Schulen modernisieren. Da haben wir einen großen Sanierungsstau vor uns. Konkret heißt das: Mit uns wird es weiterhin Unterstützung vom Land für das Programm „Gute Schule 2030“ geben, um Schulen zu schönen Lernorten weiterzuentwickeln. Ein zweites Herzensthema für Bonn ist der Bau der Seilbahn zum Venusberg. Dafür braucht es starke Bonner Abgeordnete in Düsseldorf. Dieses Projekt ist auch wichtig für unsere Bonner Uniklinik, die zu den besten Kliniken Deutschlands zählt und auf die wir ebenso stolz sein können wie auf unsere Hochschulen.

Stamp: Wir setzen auf Innovation, wir setzen auf Wachstum, wir setzen auf neue Technologien. Steigenden Preisen müssen wir mit einer guten Wirtschaftspolitik begegnen. 2017 stand NRW auf den Abstiegsplätzen. Wir sind ins Mittelfeld gekommen. Jetzt wollen wir an die Spitze. Als Minister für Kinder und Familie ist für mich ganz wichtig, dass wir die frühkindliche Bildung stärken, damit von Anfang an jeder unabhängig von seiner Herkunft die besten Chancen in unserer Gesellschaft bekommt. Der dritte Punkt sind die Bürgerrechte. Es darf keine Grundrechtseinschränkungen auf Vorrat geben.

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